Italien:Bitte nicht schulmeistern

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Gefährdet der Ausgang der Wahl in Italien das europäische Projekt? Ein Leser meint, man dürfe nicht zu streng mit dem Land umgehen. Es sei Mitbegründer der EU und habe doch in der Flüchtlingskrise zu wenig Solidarität erfahren.

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: N/A)

" Weiter im Wahlkampfmodus" vom 5. Juni, " Europa und der Populismus von rechts" und "Italien weckt Furcht vor neuer Finanzkrise" vom 30./31. Mai sowie " Schach dem König" vom 29. Mai:

Hilfe für den Arbeitsmarkt

Mit Respekt ist festzuhalten, dass Italien ein würdiger Mitbegründer der EU ist. Ein Blick ins europäische Geschichtsbuch des 20. Jahrhunderts vermittelt die Erkenntnis, dass Nationalismus Krisen nicht bewältigt, sondern mindestens mitverantwortlich für die Schrecken zweier Weltkriege ist. Italien kämpft durch seine geografische Lage mit der Zuwanderung aus Afrika und Nahost, ohne von den EU-Partnern angemessen unterstützt zu werden. Ein weiteres Problem ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Deutschland und Schweden haben zwar in vorbildlicher Weise mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen und damit Solidarität bewiesen. Berlin könnte aber im EU-Rahmen mit den deutschen Erfahrungen in dualer Ausbildung Angebote machen und mit der Industrie, die über Fachkräftemangel klagt, Arbeitsplätze schaffen.

Wer Rom wegen der Staatsfinanzen ohne Lösungsvorschläge unsolidarisch schulmeistert, gießt Wasser auf die Mühlen demokratiefeindlicher Kräfte, die gern andere Länder zum Sündenbock machen und für ihre Gefolgschaft Feindbilder pflegen. Friedenspolitik ist mühsam, kann aber Grundrechte und Wohlstand der Menschen in Europa sichern helfen.

Rolf Sintram, Lübeck

Der Wille der Mehrheit

Die SZ bezeichnet die Politiker von Lega und Cinque Stelle andauernd als Populisten. Diese zwei Parteien setzen nur die Wünsche des Großteils des italienischen Volkes in die Tat um und sind im Gegensatz zum Großteil der deutschen Politiker (unter anderem Seehofer, Söder, Dobrindt) keine Populisten. Oder stört es Sie etwa, dass sich das italienische Volk von der korrupten Politikerkaste und von der EU, hier insbesondere Deutschland mit seinem Exportüberschuss, nicht mehr weiter ausbeuten lassen will?

Bernd Zeisberger, Uhingen

Zu viel Begeisterung für Macron

In "Europa und der Populismus von rechts" schreibt Daniel Brössler, dass der Vormarsch der Populisten nicht beendet sei - "anders als 2017 die Niederlage der Chefin des FN, Marine Le Pen hoffen ließ". Er schreibt weiter: "In Frankreich unterlag Le Pen mit 33,9 Prozent der Stimmen dem enthusiastischen Pro-Europäer Macron". Ich lebe Teile des Jahres in Südfrankreich, am Mittelmeer. Mich stört die Begeisterung, mit der die deutsche Presse Frankreichs Präsident Emmanuel Macron immer wieder hochleben lässt. Wahr ist doch, dass Macron im ersten Wahlgang nur auf 24 Prozent und Le Pen auf 21,3 Prozent kam, also lächerliche 2,7 Prozent lag Macron vorne. Und bei der Stichwahl waren es 66,1 Prozent für Macron, aber 33,9 Prozent für Le Pen. Das heißt im Klartext: Jeder dritte Franzose entscheidet sich lieber für eine nationale Ausrichtung. Und das ist auch meine Empfindung, wenn ich mich hier mit Nachbarn und Freunden unterhalte. Die Begeisterung der Franzosen für Macron ist im deutlichen Sinkflug.

Markus Ohorn, Bad Vilbel

Längst aufgewacht

Egal ob in Großbritannien beim Brexit oder jetzt in Italien; es wird immer klarer, dass die EU längst ihre Leute an den nationalen Schaltzentralen hat. In GB sind es diejenigen Parlamentarier, auch im nicht gewählten Oberhaus, die den per Referendum erklärten Willen des Volkes vereiteln wollen; in Italien ist Präsident Mattarella eindeutig pro EU und findet sich jetzt zu Recht als Gegenstand von Amtsenthebungsüberlegungen der EU-skeptischen Koalition. Italien mit seinen etwa 60 Millionen Einwohnern zahlt jährlich vier Milliarden Euro netto an die EU (die BRD mit ihren 82 Millionen 24 Milliarden!). Die meisten Italiener sind nicht so verschlafen wie der deutsche Michel; viele wollen jetzt die Zombiewährung Euro aufgeben, wenn nicht gar aus der EU austreten.

George Morton, Stuttgart

Verzweifelte Wähler

Die Probleme in Italien mit 32 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und in vielen anderen Ländern hängen mit dem deutschen Exportüberschuss (rund 200 Milliarden Euro jährlich) zusammen. Er schafft hier zusätzliche Arbeitsplätze, vernichtet aber anderswo welche. Zudem steigt die Verschuldung der Importländer. Die EU-Kommission hat mehrfach höhere Löhne in Deutschland gefordert, damit die Produktion im eigenen Land gekauft und verbraucht werden kann und dem sozialen Auseinanderdriften entgegengewirkt wird. Steigt dann der deutsche Konsum nicht so stark, um das Minus beim Export auszugleichen, ist Arbeitszeitverkürzung notwendig. Höhere Löhne und die Arbeitszeitverkürzung können zur Verlegung der Produktion in andere Länder führen. Um auch das in geordnete Bahnen zu bringen, ist verantwortungsvolle Zusammenarbeit der Regierungen nötig. Solange sich aber die Länder nur als Konkurrenten sehen, also nur der Markt herrscht, werden immer mehr Demokratien und auch die Umwelt an die Wand gefahren. Die Wahlen in Italien mit zwei entgegengesetzt extremen Parteien an der Spitze zeigen wieder einmal die Verzweiflung der Wähler über das, was die Politik bisher abgeliefert hat.

Hans Oette, Neuenstadt

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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