Hochschule:Gleichheit - (k)ein Traum

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In "Die Biologisierung des Denkens" kritisierte Thomas Steinfeld Frauenquoten für wissenschaftliche Literatur an Schwedens Hochschulen. Leserinnen dagegen freuen sich über diese Entwicklung.

"Die Biologisierung des Denkens" vom 17. November:

Überwindung der "Natur"

Welch ein prägnanter, vielversprechender Titel! Dabei gänzlich gegenteilig vom Autor Thomas Steinfeld gemeint. Fraglos sind die technokratischen bildungspolitischen Umsetzungen einer ehemals US-amerikanischen Forschungskategorie namens Gender aberwitzig, da stimme ich dem Autor zu. Nur: Immerhin zeigt seine Fallgeschichte von der schwedischen Universität Lund, wie eine geschlechterquotengerechte Literaturliste die Selbstreferentialität und Deutungshoheit des männlichen Diskurses aufmischt. Peinlich, peinlich, nämlich seine offensichtliche monokulturelle Prägung.

Nun den gesellschaftlichen Fortschritt darin zu sehen, "sich um die biologische Bestimmtheit des Menschen nicht mehr kümmern zu müssen", erscheint mir geschichtslos. Gern wiederum lese ich von dem Wunsch, sich in aller Freiheit mit dem Wissen und Können und der Eigenart anderer untereinander auszutauschen. Nicht, weil uns das sonst immer wieder und tiefer in die Natur zurückstößt, was Steinfeld als Erniedrigung wahrnimmt. Sondern weil die Grenzziehung zwischen Natur und Kultur, dem Physischen und Psychischen usw. eine künstliche ist.

Die Biologie ist kein Schicksal, möchte man dem Autor zurufen. Schauen Sie, wie Frauen weltweit in den letzten 40 bis 50 Jahren das ihnen zugewiesene "Schicksal der Biologie", ihre sogenannte "Natur" überwunden haben. Mit Wahrnehmung, Intelligenz, Bejahung ihrer Geschlechtlichkeit und der ersten Differenz, die in jeder/jedem zu Hause ist: ich und anders zu sein. Das Schwierigste, so der US-Philosoph Thomas Nagel, ist die fortdauernde Diskrepanz zwischen Vermittlung und Macht in foro interno eines jeden. Mit dieser (Selbst-)Wahrnehmung lässt sich ein vielversprechendes wie auch prekäres lebendiges Miteinander von Männern und Frauen praktizieren, gegründet auf Vertrauen und relationaler Menschlichkeit.

Gise Jürgens, Büttelborn

Ende der Freiheit zur Ignoranz

Zu Recht kritisiert der Autor die an der Universität Lund praktizierte "rückwirkende Frauenquote" in Bezug auf die Autorenschaft historischer Texte. Auch mir erscheint eine Selektion von historischen Texten nach dem Geschlecht des Verfassers nur dann sinnvoll, wenn der Anteil der damals wissenschaftlich publizierenden Frauen bei der Höhe der Quote berücksichtigt wird. Andernfalls würden die Bereiche, in denen die Quote angewandt wird, inhaltlich verarmen. Damit wäre meines Erachtens alles Relevante zu diesem Thema gesagt. Stattdessen beschreibt Thomas Steinfeld sein Gefühl, die Gesellschaft bewege sich auf eine erzwungene geschlechtsspezifische Wertung von Leistungen zu.

In seinem Schlussargument nennt er die Beschäftigung mit dem Wissen und Können eines Menschen ohne Betrachtung seines Geschlechts als wahren gesellschaftlichen Fortschritt. Offenbar träumen wir hier von derselben Sache: Es wäre wirklich wunderbar, wenn ein und dieselbe Publikation nicht schlechter bewertet würde, sobald ein Frauenname die Autorenliste anführt, oder wenn die Chancen einer Frau, als Orchestermitglied aufgenommen zu werden, durch Musizieren hinter einem Vorhang nicht um 300 Prozent anstiegen. Wenn das Geschlecht eines Menschen also nicht häufig das ausschließliche Kriterium dafür bildete, ob er in die "Literaturliste einer akademischen Veranstaltung aufgenommen" wird, er also nicht nach Geschlechtsmerkmalen "sortiert" würde, wie es nach Faktenlage bisher mehrheitlich der Fall ist und wie der Autor es in einer erstaunlichen Verdrehung und Verkennung der Tatsachen erst für eine Zukunft mit Quotenregelung befürchtet.

Wenn Menschen beiderlei Geschlechts bei der Auswahl von Orchestermitgliedern oder Autoren von Sekundärliteratur von ihrer Freiheit Gebrauch machen, dann werden sie sich nachgewiesenermaßen mehrheitlich und unabhängig von dessen Wissen und Können für einen Mann entscheiden. Unser individuelles und gesellschaftliches Denken ist von jeher "biologisiert", und die angeführte "Freiheit der Wissenschaft" beinhaltet daher regelmäßig die Freiheit, die Leistungen von Frauen zu ignorieren.

PD Dr. Sophia Horster, München

Wie im Totalitarismus

Der Inhalt des ausgezeichneten Artikels macht mich fassungslos, der ich ein Leben lang in Forschung und Wissenschaft gearbeitet habe. An Schwedens Universitäten etabliert sich ein Aufpassersystem, das die richtige geschlechtspolitische Gesinnung überprüft und einfordert. So müssen zum Beispiel unabhängig vom Seminarthema und unabhängig davon, ob es sich um Primär- oder Sekundärliteratur handelt, 40 Prozent der Seminarliteratur von Frauen verfasst sein. Wenn dies themenbedingt nicht möglich ist, wurde gefordert, die Feministin Judith Butler auf die Literaturliste zu setzen, die zwar nichts mit dem Thema zu tun hat, wohl aber als Schöpferin der Kategorie "soziales Geschlecht" geschlechtspolitisch die angemessene Gesinnung vertritt. Solche Eingriffe in den universitären Wissenschaftsbetrieb und die Freiheit der Forschung kennt man eigentlich nur von totalitären Systemen. Das scheint aber die schwedischen Universitäten nicht zu stören, zumal sie ganz gleichgeschaltet "versprachen ... noch mehr als bisher die Lehren der Genderforschung zu beherzigen und sich der 'Normkritik' zu widmen". Die Absolventen der neu etablierten schwedischen Ausbildung zum "zertifizierten Normeningenieur" können dann ja die Fortschritte kontrollieren.

Nur noch als letzte Bemerkung: Die Ideologie, dass das Geschlecht eine pure soziale Konstruktion sei, ist in ihrer Absolutheit garantiert falsch und nur unter Leugnung von Evolution und sexueller Selektion möglich. Der Mensch ist eben nicht nur Kultur-, sondern auch Naturwesen.

Dr. Leslie R. Schwarz, Freising

© SZ vom 06.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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