G8 / G9:Dem Murks ein Ende machen

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Wäre das G 8 eine Chance zur Reform der Gymnasien gewesen? Ein Leser stellt eine schlechtere Allgemeinbildung der Abiturienten fest und macht das sogenannte Bulimie-Lernen dafür verantwortlich.

Auch in Nordrhein-Westfalen ist das G 8 umstritten: Karnevalswagen beim Rosenmontagszug in Köln. (Foto: Getty Images)

"Gerechtigkeit für das G 8" vom 14. März und "Bildungspolitik für Dumme" vom 13. März:

Gegen das Bulimie-Lernen

In der Außenansicht "Gerechtigkeit für das G 8" von Silke Anger hieß es: "Die Probleme des verkürzten Gymnasiums rühren daher, dass es überstürzt eingeführt wurde. Man sollte ihm noch eine Chance geben." Doch nach zwölf Jahren Murks wird wohl kein Mensch mehr glauben, dass beim bayerischen Kultusministerium jetzt endlich die göttlichen Eingebungen angekommen sind, die aus dem G 8 noch den "großen Wurf" machen, wie er uns damals vollmundig versprochen worden war. Die von der Autorin ins Feld geführte Versachlichung ist letztlich auch nur eine tendenziöse Auswertung und Interpretation von Daten. Dabei weiß doch jeder: Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!

Unerwähnt bleibt, was auch in der SZ nur allzu oft zu lesen ist, dass die Kinder zu wenig Sport treiben und zu dick werden. Wo soll die Zeit für die Bewegung herkommen, wenn normale Kinder im G 8 mehr als eine 40-Stunden-Woche arbeiten? Dann verwundert es auch nicht, dass das Leistungsniveau auf etwa demselben Level blieb. Und dass den Kindern bei dieser Belastung, die auch vor den Ferien nicht Halt macht, die Kindheit geraubt wird, verwundert auch nicht.

Ebenfalls in der SZ zu lesen sind immer wieder Artikel zum Bildungsgefälle, was zum nicht unerheblichen Teil darauf zurückgeführt wird, dass Nachhilfeunterricht teuer ist und weniger gut situierte Familien sich diesen nicht leisten können. Auch dass Nachhilfeinstitute einen Boom erlebt haben, konnte man über lange Zeiträume in der SZ lesen. Unter einem gelungenen Schulsystem verstehe ich etwas anderes. Im Sinne der Belebung des Arbeitsmarktes ist das aber natürlich eine positive Entwicklung.

Mir sind die Worte meiner Tochter, mittlerweile im Masterstudium, noch in Erinnerung, die von Bulimie-Lernen sprach. Und dazu passt es auch, dass man bei heutigen Abiturienten sehr oft eine weniger ausgeprägte Allgemeinbildung feststellen kann. Verständlich, woher soll auch die Zeit kommen, sich mit seinen Interessen zu befassen? Josef Feuerstein, Markt Schwaben

Eine Chance zur Reform - vertan

Der Artikel "Gerechtigkeit für das G 8" bringt etwas Vernunft in die Debatte. Trotz eklatanter Leerläufe vor dem Abitur war die Einführung des G 8 nicht zwingend notwendig. Einer Wirtschaftskrise kann man nicht mit einer kürzeren Schulzeit entgegentreten. Das G 8 war aber eine große Chance, das bayerische Gymnasium zu reformieren. So waren etwa die Intensivierungsstunden ein vielversprechender Ansatz. Und: Das G 8 hat keineswegs zu den von interessierter Lehrerseite prophezeiten katastrophalen Folgen geführt. Weder kam es zu einer Überfüllung der jugendpsychiatrischen Abteilungen in den bayerischen Kliniken noch zu schlechteren Noten. Weder hat es den Ansturm auf das Gymnasium vermindert noch das Binnenklima in schulverzweifelten Familien endgültig zerstört. Auch musikalische oder sportliche Freizeitbeschäftigungen blieben nicht wie vorausgesagt auf der Strecke. Klar ist aber auch, dass die Reform wegen des von der Staatskanzlei ausgeübten Druckes überhastet eingeführt worden ist. Zudem boykottierten viele im Philologenverband organisierte Lehrer die Reformschritte bis hin zur Dienstverweigerung.

Angeblich ging es um das Kindeswohl, um Persönlichkeitsentwicklung und ganz allgemein um hehre Bildungswerte. In Wahrheit war es der Kampf eines Lobbyistenverbandes gegen Mehrarbeit am Nachmittag. In den Internetforen des Verbandes wurden G-8-Befürworter persönlich angegriffen und diffamiert. Ebenso ist es offensichtlich, dass auf dem Gymnasium, der neuen Hauptschule der Nation, mehr und mehr Kinder trotz mangelnder Begabung landen. Für diese ist das G 8 in der Tat ein Problem, das nur mit mehr Ganztagsgymnasien zu lösen gewesen wäre.

Nun also die Reform der Reform. Wieder neue Lehrpläne. Wieder Unruhe an den Schulen. Erbärmlich, was sich die bayerische Staatsregierung hier leistet. Längst hat Bayern seine jahrzehntelang gehaltene stolze Spitzenposition verloren. Und zwar an Sachsen, ein G-8-Land mit hohen gymnasialen Anforderungen. Werner Siebeck, Gräfelfing

Diesmal solide

Ausgangspunkt muss doch sein: Was muss ein Abiturient des 21. Jahrhundert wissen und können, wenn er das Gymnasium verlässt? Und wenn man einen soliden Lehrplan erarbeitet hat, was man voraussetzen darf, wird man entscheiden können, ob dieses Ziel in acht oder neun Jahren gymnasialen Unterrichts zu erreichen ist. Geld spielt ja glücklicherweise nach der Erklärung der bayerischen Staatsregierung keine Rolle und darf auch bei einer so wichtigen Entscheidung in einem der reichsten Länder auf diesem Globus keine Rolle spielen. Dr. Jürgen Harbich, Feldkirchen-Westerham

Das Geld ist gut angelegt

In "Gerechtigkeit für das G 8" wird die treibende Kraft hinter der Einführung des G 8 benannt: Das Primärziel war allein die Senkung des Altersdurchschnitts der Abiturienten. Dies war wohl darauf zurückzuführen, dass Wirtschaftslobbyisten für eine Verkürzung und damit angebliche verbesserte Wettbewerbsfähigkeit jüngerer Absolventen geworben haben. Das erinnert an das Klagen über angeblich zu alte Uni-Absolventen. Heute klagt die Wirtschaft über zu junge, unreife und zu wenig lebenserfahrene Absolventen. Wie man es auch macht, die Wirtschaft jammert halt immer, das ist der Job von Lobbyisten. Davon sollten sich verantwortungsvolle Bildungspolitiker nicht beeinflussen lassen, sondern ausschließlich schülerorientierte Bildungspolitik betreiben.

Ob ein Abiturient 18 oder 19 Jahre alt ist, ist völlig egal angesichts der immer länger werdenden Lebensarbeitszeit, es ist so irrelevant, dass der Aufwand für die Umstellung geradezu grotesk wirkt angesichts eines Nutzens, der eigentlich nicht zu erkennen ist. Warum dann keine Rückkehr? Sicher, die Kosten würden etwas steigen, weil die Schülerzahl an den Schulen etwas steigen würde. Aber gerade wenn es um die Lehre geht, könnte man die gewonnene Zeit nutzen, um die Qualität zu verbessern. Ein höherer Zeitdruck hat noch nie zu besserer Qualität geführt, eher im Gegenteil, die Qualität bleibt in der Regel als Erstes auf der Strecke.

Daher sollte in ganz Deutschland G 9 gelten, eine Verlängerung wäre wesentlich einfacher zu organisieren als eine Verkürzung. Eine qualitativ hochwertige Ausbildung unseres Nachwuchses, der später die Leistungsträger der Gesellschaft hervorbringen soll, sollte uns die höheren Kosten wert sein. Dr. Patrick Schneider, Berlin

Postkartenweisheiten

Der Leserbrief von Claus Graf Stauffenberg ("Guerillakrieg der Lehrer", 14. März) macht richtig Lust, die unkorrigierten Deutschaufsätze dem heimischen Kaminfeuer anzuvertrauen, im Unterricht genauso unvorbereitet zu erscheinen wie manch ein Schüler und die Organisation der nächsten Klassenfahrt den angeblich durch Nachhilfedienste ohnehin schon überlasteten Erziehungsberechtigten zu überlassen. Kurz: sich den freien Nachmittag zu gönnen, den der Verfasser allen ehemaligen und eventuellen zukünftigen G-9-Lehrkräften zuschreibt. Auch andere Berufsgruppen, die teils von zu Hause aus arbeiten, werden sicher mit Freude vernommen haben, dass sie sich im Sinne der in diesem Leserbrief geäußerten Meinung halbtags dem Müßiggang hingeben. Ob die wohl in ihren Bereichen ähnlich konspirativ gesinnt sind wie die bayerische Gymnasiallehrerschaft, die einer Unterstellung Graf Stauffenbergs zufolge aus egoistischen Beweggründen die Beibehaltung des G 8 sabotiert? Ganz ehrlich: Es ist schon traurig, dass es SZ-Leser gibt, die humorige Postkartenweisheiten ("Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei") offenbar mit der Realität verwechseln. Ulrike Lieret, Schwabmünchen

© SZ vom 29.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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