Flüchtlingspolitik:Geordnete Ausreise

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Statt weiter mit kurzatmigen Aktionen auf die Flüchtlinge zu reagieren, könnten die EU-Staaten ihre Botschaften in Afrika als Startpunkt für die Ausreise nutzen. Voraussetzung ist: Alle stellen sich der Wirklichkeit.

"1984, 2017" vom 4. August, "Der Staat ist stark, aber er weiß es nicht" und "Bollwerk ohne Bestand" vom 28. Juli:

Wissen um die Auflagen

Den Behörden Unkenntnis der Rechtslage oder mangelnden Willen, "terroristische Gefährder zu packen", vorzuwerfen, geht fehl. In der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist zwar die Abschiebebestimmung für verfassungsgemäß erklärt worden. Der Vollzug der Abschiebung eines algerischen Staatsangehörigen, der nach eigenen Angaben der "radikal-islamistischen Szene Deutschlands" zuzurechnen ist, wird von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht. Der Beschluss verlangt die Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle, dass dem Algerier keine Folter, unmenschliche erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Diese Zusicherung muss mit spezifischen Garantien verbunden sein, die eine Überprüfung der Haftbedingungen des Beschwerdeführers im Falle von dessen Inhaftierung und insbesondere den ungehinderten Zugang zu seinen Prozessbevollmächtigten erlaubt; Bevor auf solche Zusicherung die Abschiebung erfolgt, ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen und gegebenenfalls um Rechtsschutz nachzusuchen. Auf die Behörde kommt sonach noch eine Menge Arbeit zu. Fraglich ist, ob die vom Gericht verfügten Auflagen jemals erfüllt werden können.

Dr. Herbert Kempfler, Eggenfelden

Zurechtgestutztes Recht

In der deutschen Asylpolitik fallen die Schleier, die verbargen, wie es wirklich um Demokratie und Menschenrechte steht. Es ist sicher kein Zufall, dass das Bundesverfassungsgericht in jüngster Zeit auffallend oft angerufen wurde - und für die Geflüchteten entschied. Der Staat missbraucht in zunehmendem Maße die deutsche Rechtsordnung: durch willkürlich gesetzte Verordnungen, permanente Modifikation oder Verschärfung von Paragrafen, ständige Etablierung von zusätzlichen Paragrafen und nicht zuletzt, indem er basale Artikel des Grundgesetzes und des EU-Rechts ignoriert. Selbst wenn man all dies nur als Ausdruck der Hilflosigkeit der "Staatsdiener" betrachten würde, so schließe sich doch die Frage an: Wie kompetent sind unsere Politiker eigentlich? Gibt es in der Politik noch so etwas wie Charakterstärke, geleitet von ethischen Werten? Oder haben sich hier schon die menschenunwürdigen Werte verselbständigt? An vorderster Front dieser Auswüchse steht die bayerische Staatsregierung, zu denen das Bundesverfassungsgericht mittlerweile auch Stellung genommen hat: "Das Recht auf Gesundheit und Leben gilt auch in Bayern."

Angelika Schretter, München

Geordnete Ausreise

Die Überschrift zu Thomas Kirchners Kommentar, den Flüchtlingsstrom aus Afrika zu stemmen, könnte auch lauten: "Kurzatmigkeit führt oft zum Infarkt". Diese Kurzatmigkeit charakterisiert alle Reaktionen der EU während und vor der Völkerwanderung über das Mittelmeer, einschließlich des Dubliner Abkommens. Für Migranten aus Subsahara-Afrika gibt es eine bisher nicht diskutierte, durch andere Einwanderungsländer (Australien, Kanada, USA) geübte Praxis, mit der letztendlich auch den strapaziösen Trecks durch die Sahara ein Ende gemacht werden könnte: In jedem afrikanischen Staat gibt es mindestens eine Botschaft eines EU-Mitgliedslands. Diese Botschaften könnten Einwanderungsabteilungen beherbergen, in denen Anträge qualifiziert gestellt, bearbeitet und beschieden werden. Senegalesen müssten dafür nur nach Dakar, Kameruner nur bis Yaundé reisen, niemand mehr quer durch eine lebensfeindliche Wüste, hinter der ein Meer wie eine Verlockung liegt. Mit keinem afrikanischen Regime müsste darüber eine Vereinbarung geschlossen werden, da die Botschaften exterritoriales Gebiet sind. Die EU müsste auch nicht Milliarden in den Schlund von Kleptokraten werfen. Sie müsste die Möglichkeit geordneter Migration nur bekannt machen. Und sie müsste sich darüber einig sein, dass sie längst zum Einwanderungsziel geworden ist. Diese Einsicht in die Wirklichkeit ist der schwierigste Part, aber auch jenseits Süditaliens alle Mühe wert.

Dr.-Ing. Reinhold Gütter, Hamburg

Der Samariter als Straftäter

Einmal mehr deckt Heribert Prantl in "1984, 2017" die Wunden unserer Gesellschaft auf. Ich spitze seine klaren Worte noch weiter zu. Ausgerechnet im katholischsten Bundesland Bayern werden Nothelfer für Flüchtlinge verfolgt und im katholischen Italien werden sie "in die Nähe von Straftätern" gerückt. Die ansonsten rigorosen Verteidiger des christlichen Abendlandes erklären also den barmherzigen Samariter zum Straftäter. Demgegenüber stellt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest, dass die Pflicht zur Rettung aus Seenot als Ausdruck der Menschlichkeit tief in der humanitären Tradition verankert sei. Ist die Menschlichkeit also nicht mehr in der christlichen Tradition verankert?

Artur Borst, Tübingen

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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