Flüchtlinge:Niemand will schuld sein

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Wie fühlen sich Flüchtlinge in Deutschland? Erst kürzlich hat das der syrische Schriftsteller Chadar Al-Agha im Artikel "Wortlos ortlos" beschrieben. Darauf antwortet ihm ein Leser, der vor 50 Jahren aus Italien ausgewandert ist - und sein Schicksal heute noch betrauert.

Ich habe den Artikel "Wortlos ortlos" von Chadar al-Agha vom 16./17. September gelesen und möchte ihm gerne ein Feedback geben:

Ja, schreiben Sie, Herr Al-Agha, schreiben Sie, das tut Ihrer Seele gut. Seien Sie ein Sprachrohr für all die Menschen, die ihre Heimat aus verschiedenen Gründen (Krieg, Zwangsvertreibung, politische Verfolgung, Hungersnot, Arbeitsmangel usw.) verlassen mussten.

Ich kann Sie gut verstehen, denn ich musste auch meine Heimat vor über 50 Jahren verlassen. Das kann man mit Ihrem Schicksal nicht vergleichen, aber ich habe ebenso viel darunter gelitten. Ich bin einer von den über fünf Millionen Italienern, die auf der ganzen Welt verstreut sind und eine neue Heimat suchen mussten. Bei mir ist es bereits die dritte Generation, die ausgewandert ist.

Heute leben in Italien über fünf Millionen Ausländer aus verschiedenen Kulturen, auch aus Ihrem Land. Sie müssen täglich ihr Dasein verteidigen und sind gar nicht beliebt bei der dortigen Bevölkerung. Wenn man genauer hinschaut, so gibt es mittlerweile auch sehr viele Deutsche, die ihr Land verlassen, weil sie es hier aus verschiedenen Gründen nicht mehr aushalten. Darunter sind viele Abenteurer, aber auch sehr viele Rentner, Arbeitslose und Verlierer der Globalisierung.

War oder ist der Mensch also auch eine Import- und Exportware geworden? Sind wir ein Spielball der Mächtigen geworden?

Es wäre wichtig, dass Sie dieses Phänomen genauer analysieren und darüber schreiben. Sie haben die Zeit und die Fähigkeit dazu.

Wie viele Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht? Wie vielen fehlt es an der notwendigen Grundversorgung? Diese Menschen werden beraubt, sie müssen alles verlassen: Haus, Land, Wertgegenstände, nicht nur Heimat, Verwandte und Freunde. Das verstehen viele Menschen in der westlichen Welt noch nicht.

Das Traurige ist, dass niemand schuld an dieser Tatsache sein will. Tatsache ist aber auch, dass ein Land nicht immer im Kriegszustand überleben kann. Irgendwann muss Frieden einkehren, es muss wieder etwas produziert und aufgebaut, nicht nur zerstört werden. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie bald wieder in Ihre Heimat zurückkehren können, dort weiterschreiben und unterrichten können. Rino R. Cecconi, Weilheim a.d. Teck

P. S. Eine Ansicht meiner Frau möchte ich Ihnen noch mitteilen: Sie beschreiben Ihr Leiden und das Ihres Sohnes, erwähnen aber mit keinem Satz das Leiden und die Traurigkeit Ihrer Frau. Warum?

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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