Familiennachzug:Gespaltene Gesellschaft

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Der Kompromiss in der Frage, wie viele Flüchtlinge ihre Familien nach Deutschland holen können, wird von den Parteien der Groko unterschiedlich interpretiert. Die Leser, das zeigen diese Briefe, sind dazu ebenfalls sehr gespalten.

"Zementierter Riss" vom 31. Januar, "Nachzug von Zweitfrau", vom 30. Januar:

Wohnraum, Schulen, Jobs

Ferdos Forudastan hält die beschlossene Begrenzung des Familiennachzugs (1000 plus Härtefälle) nicht nur für eine "außerordentlich bittere Nachricht" für alle Flüchtlinge, die sehnsüchtig auf Angehörige warten, sondern nennt diese Regelung auch unchristlich; sie sei allein parteitaktischen Erwägungen geschuldet. Vor allem die CSU habe "bei ihren bayerischen Wählern" punkten wollen. Und bei diesen Wählern kommt man offenbar nur an, indem auf das "christliches Menschenbild" und das "Leitbild Familie" gepfiffen wird.

Es gibt aber sehr wohl verantwortungsbewusste und vernünftige Stimmen, die für eine zeitlich begrenzte Aussetzung des Familiennachzugs plädieren und diesen auf Härtefälle beschränken wollen. Ein Argument ist zum Beispiel, dass Begrenzung nötig sei, weil man zur Integration Wohnraum, Sprachkurse, soziale Teilhabe, Kitas, Jobs, Schulen brauche, die "knappe Güter" seien (so Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag). Solche Positionen werden in dem Kommentar gar nicht erst in Betracht gezogen. Wer aber so argumentiert, der leistet keinen Beitrag zur gesellschaftlichen Aufgabe der Integration von Flüchtlingen, sondern vertieft die Spaltung der Gesellschaft in dieser Frage. Josef Eigelshoven, Langerwehe

Gegen die kleinen Leute

Die SPD hält offensichtlich unerbittlich an ihrer Meinung fest, dass der Einsatz für den Familiennachzug in ihrer Klientel der sogenannten kleinen Leute auf Begeisterung stoßen wird. Dabei ist mir unerklärlich, wie man ausgerechnet Migranten mit eingeschränktem Schutz diese Möglichkeit eröffnen möchte, sind sie doch eigentlich nur so lange bei uns, bis der Krieg in Syrien beendet ist. Ein Zuzug von 1000 Angehörigen pro Monat bedeutet bei Familien mit drei Personen die Nachfrage von 4000 Wohnungen im Jahr. Diese fehlen dann dem Wählerreservoir der SPD. Nur weiter so - die 18 Prozent sind nicht mehr fern. Eilhard Mitscherlich, München

Für den kurzfristigen Wahlerfolg

Die schneidig in Kameras gesprochenen Absagen Alexander Dobrindts und Andreas Scheuers - "Anspruch auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte endgültig abgeschafft" - überraschen nicht mehr. Das Fehlen jeder humanitären Regung angesichts des großen Leids der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge macht einen aber doch immer wieder betroffen. Ebenso stellt sich die Frage, wieso in einer sich christlich nennenden Volkspartei in der aktiven politischen Arena keine Gegenstimmen vernehmbar sind, die diesem inhumanen und unsäglichen politischen Stil entgegentreten oder zumindest differenzierter argumentieren. Hat denn das Statement von Hans Maier nicht wenigstens einigen Politikern, die den Kurs der Partei bestimmen, die Schamesröte ins Gesicht getrieben? Dürfen denn für den kurzfristigen Wahlerfolg humane Grundprinzipien gänzlich geopfert werden? Dr. Toni Liebl, München

Zweitfrauen hierher?

Wieso wundern sich die "großen Volksparteien" eigentlich, wenn ihnen die Wähler weg- und der AfD zulaufen? Die Vizefraktionschefin der SPD, Eva Högl, erklärt, "im deutschen Aufenthaltsgesetz ist ein Nachzug von Zweitehegatten einer polygamen Ehe ausdrücklich ausgeschlossen". Trotzdem, sagt sie, solle man in konkreten Fällen schon mal ein Auge zudrücken. Genauso handeln die CDU-Innenminister von Schleswig-Holstein und NRW und erlauben immer wieder den Nachzug von Zweit- und sogar Drittfrauen, um familiäre Härten zu vermeiden ... Wozu haben wir eigentlich Gesetze, wenn sie ganz bewusst und regelmäßig von den verantwortlichen Politikern/Ministern nicht eingehalten werden? Jürgen Lambrecht, Icking

Applaus und Anstand

Zum Artikel "Mahnungen der alten Dame" vom 1. Februar: Deutschland habe sich ihnen (den Flüchtlingen) geöffnet in einer "unglaublich generösen, mutigen menschlichen Geste", sagte Anita Lasker-Wallfisch beim Holocaust-Gedenktag im Bundestag. Da gibt es Applaus im Parlament. Wie schizophren muss man sein, wenn man zur gleichen Zeit und nur wenige Meter entfernt genau das Gegenteil beschließt? Stattdessen biedern sich in nicht zu überbietender Unterwürfigkeit verantwortliche Manager an, um Rendite zulasten von Menschen zu machen. Krieg schafft Arbeitsplätze. So war es in unserer ererbten Vergangenheit. Damals konnten sich unsere Großeltern damit rausreden, sie hätten davon nichts mitbekommen. Damit können wir vor unseren Kindern und Enkeln nicht bestehen. Beschämend, wenn Frauen, Überlebende des Holocaust reden, weil wir schweigen. Rolf Milasta, München

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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