Familie:Von Recht und Ethik

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Im "Wissen" am Wochenende wurde jüngst ausführlich dargestellt, wie man "Kinder kriegen" kann. Leserinnen und Leser lobten die Aufzählung, äußerten aber Kritik an der Bewertung - vor allem von Reproduktionsmedizin und Adoptionsrecht.

"Kinder kriegen" vom 29./30. April/1. Mai:

Halbwissen über Adoptionen

Grundsätzlich begrüßen wir es sehr, dass das Thema Reproduktion mit einer Doppelseite der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Gerade auch die Idee, darzustellen, für welche Formen der Partnerschaft rechtlich welche Möglichkeiten zugänglich sind, hat uns gefallen.

Aus diesem Grund sind wir auch besonders enttäuscht, dass bei der Rubrik "Adoption" nicht differenziert wurde, dass für homosexuelle Paare in Deutschland ausschließlich die Formen "Stiefkindadoption" und "Sukzessivadoption" möglich sind. Das bedeutet bei ersterem, dass die Adoption eines Kindes für eine in einer eingetragenen homosexuellen Partnerschaft lebende Person nur möglich ist, wenn die Partnerin/der Partner eine genetische Verbindung zu einem Kind hat (also "leiblicher" Elternteil eines Kindes ist). Sukzessivadoption bedeutet, dass zunächst ein Elternteil als Einzelperson adoptiert und anschließend eine Stiefkindadoption für den zweiten Elternteil möglich ist. Rechtlich ausgeschlossen ist also für lesbische und schwule Paare, gemeinsam als Eltern ein Kind zu adoptieren.

Diese Situation wird im Artikel mit keinem Wort erwähnt - im Gegenteil, in unserer Wahrnehmung wird hier sogar suggeriert, dass Lesben und Schwule, was das Adoptionsverfahren betrifft, die gleichen Rechte hätten wie heterosexuelle Paare. Dies ist leider ganz und gar nicht der Fall, und für viele homosexuelle Paare mit Kinderwunsch ein sehr existenzielles und lebensbeeinträchtigendes Problem.

Die Tatsache, dass diese elementare Ungleichbehandlung einfach nicht erwähnt und damit eine völlige Fehlinterpretation bei den LeserInnen in Kauf genommen wird, sehen wir als symptomatisch für das Halbwissen über dieses Thema, das in einem großen Teil der Gesellschaft vorhanden zu sein scheint. Gerade wer das Privileg hat, sich damit nicht aus seiner eigenen Lebenssituation heraus auseinandersetzen zu müssen, hat vielleicht oft den Eindruck, dass alle Aspekte der eingetragenen Lebenspartnerschaft der Ehe inzwischen gleichgesetzt sind - auch im Adoptionsrecht. Dabei machen wir immer wieder die Erfahrung, dass die meisten Menschen ehrlich betroffen sind, wenn sie erfahren, wie die gesetzliche Lage derzeit tatsächlich ist.

Mareike Haus und Verena Graf, München

Liebe - zu wem?

Es ist dankenswert, dass die SZ es unternommen hat, die derzeit gegebenen Möglichkeiten, ein Kind zu "kriegen", darzustellen, in einer vorzüglichen, weil sehr hilfreichen Piktografie und in einem Text, in dem Katrin Zinkant versucht, diese Veränderungen in einem zeitlichen Zusammenhang einzuordnen. Ihr Fazit im letzten Satz jedoch kann einem die Sprache verschlagen: "Auf welchem Weg sie auch immer gezeugt werden: Wenn Menschen sich so sehr ein Kind wünschen, dass sie sich weder von der Biologie den Schneid abkaufen lassen noch von überkommenen Werten eines rückständigen Familienmodells - dann ist auch das ein Akt der Liebe."

Nun könnte man fragen, welches Verständnis von "Liebe" hier gemeint sein kann. Die Liebe zu dem Kind, das man auf diese Weise "schaffen" will, das man aber noch gar nicht kennt? Die Liebe zu einem Partner, der sich ein Kind wünscht? Eigenliebe (Selbstbestätigung)?

Es ist seltsam: Wir haben heute die Möglichkeit, unsere eigene "Reproduktion" in all ihren Stufen selber zu gestalten, angefangen bei Eizelle und Spermium bis hin zur genetischen Ausstattung. Auf jeder dieser Stufen können wir Entscheidungen treffen, die diesen künftigen Menschen in seiner psycho-physischen Struktur formen. Stolz verkünden wir, dass damit für jeden Mann und jede Frau die Möglichkeit gegeben ist, ein Kind zu bekommen, gleich ob diese Person alleine oder in welcher Partnerschaft er oder sie auch lebe. Das heißt: Wir können einen radikal neuen Menschentyp schaffen.

Doch diskutiert werden eigentlich nur die sich unmittelbar ergebenden juristischen und gegebenenfalls die medizinischen Probleme, nicht jedoch die Frage, was das für die so produzierten künftigen Personen bedeuten könnte. Diese Überlegungen fanden bei uns nur beim Verbot von Klonen und Leihmutterschaft ihren Weg vom Ethikrat in die politische Gestaltung. Man ist versucht zu fragen: warum eigentlich, bzw. warum nur diese?

Damit fangen aber die Fragen erst an: Was verändert sich, wenn Menschen ihre psycho-physische Grundausstattung nicht mehr der Natur, einem Zufall oder Gott verdanken, sondern den an ihrer "Produktion" Beteiligten? Woher nehmen wir die Sicherheit, dass eine gezielte Steuerung menschlichen Werdens durch uns erfolgreicher sein oder zumindest bessere "Produkte" erbringen wird? Was ist das Ziel, worum geht es uns? Um die "Selbstoptimierung" des Menschen? Welches Menschenbild leitet uns? Auf diese Fragen werden sich sehr unterschiedliche Antworten ergeben. Aber sie sollten in der öffentlichen Diskussion nicht unterschlagen werden. Vielleicht sind wir in der Entwicklung an einen Punkt gelangt, an dem es gefährlich ist, "überkommene Werte" als "rückständig" und damit unbrauchbar anzusehen.

Prof. Jochen Huhn, Ottobrunn

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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