Europa:Im Zweifel trennen

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Die Weigerung der osteuropäischen Länder, Flüchtlinge aufzunehmen, sollte die anderen Staaten der EU nach Meinung eines Lesers zu grundsätzlichen Überlegungen veranlassen. Damit die Werte der EU nicht verloren gehen.

"Zwei Europas wagen" vom 7. September:

Statt über finanzielle Sanktionen zu debattieren, welche die Nichtbeachtung des Urteils des EuGH zur Flüchtlingsverteilung durch Ungarn zur Folge haben könnten und die, wenn überhaupt, erst nach Jahren verhängt und dann wahrscheinlich doch wieder wegverhandelt würden, sollte den Visegrad-Staaten deutlich zu verstehen gegeben werden, dass ihre Vorstellung von Europa nicht dem Europa entspricht, dem sie beigetreten sind und deren Prinzipien und Rechtsordnung sie versprochen hatten zu achten.

Es geht hier nicht allein um die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen. Das ist nur der Auslöser eines tiefer gehenden grundsätzlichen Missverständnisses. Mit der Euphorie im Zuge des Verschwindens des Eisernen Vorhangs meinten die Westeuropäer, die Segnungen eines vereinten Europas müssten auch den Osteuropäern zugutekommen. Das war gut gemeint und vom politischen Willen getragen, ein großes vereintes Europa zu schaffen und die durchaus erkennbaren Hürden geflissentlich zu übersehen.

Diese treten heute offen zutage: Es sind nicht unsere Werte, welche für diese Länder attraktiv waren, es waren die mit dem Beitritt verbundenen wirtschaftlichen Vorteile. Es ist aber nunmehr, nicht zuletzt aufgrund der anmaßenden und aggressiven Rhetorik sowohl in Polen als auch in Ungarn, der Zeitpunkt gekommen, zu entscheiden, welchen Charakter Europa künftig haben soll: eine Gemeinschaft, weltoffen und überkommenen ethischen Grundsätzen verpflichtet, oder ein Zusammenschluss von Staaten, die jede Einschränkung ihrer Souveränität bei der Bewältigung gemeinsamer Aufgaben als Rechtsbruch betrachten. Wenn wir so ein Europa nicht wollen, dann sollten unsere Repräsentanten das auch klar zum Ausdruck bringen und die Öffnung der EU nach Osten, wenn nicht als Fehler, so doch als vorübergehend gescheitert anerkennen. Den Regierenden der Visegrad-Staaten sollte unmissverständlich zu verstehen gegeben werden, dass sie, wenn sie sich in der EU mit ihren Institutionen und Werten nicht wohlfühlen, diese doch verlassen mögen. In der Zwischenzeit sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, im Rahmen des rechtlich Möglichen die Voraussetzungen für eine Trennung zu schaffen.

Dr. Michael F. Griesbeck, Kronberg

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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