Debatte@sz:Wie war's beim Arzt?

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Lange Wartezeiten, teure Extra-Leistungen, dubiose Abrechnungen - privat und gesetzlich Versicherte berichten über ihre Erlebnisse beim Arzt. Dabei wird klar: Es gibt ein Zweiklassensystem, und es nervt viele ganz gewaltig.

"Ich rief bei der Frauenärztin meiner Schwester an, die privat versichert ist, um für eine Routine-Untersuchung eine Ärztin zu finden. Am Telefon wurde ich nach meiner Versicherung gefragt und antwortete wahrheitsgemäß: bei der Techniker Krankenkasse. Mir wurde dann mitgeteilt, dass keine neuen Patienten mehr aufgenommen werden. Unglaublich. Ein weiteres Mal rief ich bei unserem Hausarzt an, meine Schwester und ich sind dort Patienten, wir haben den gleichen Nachnamen. Am Telefon wurde ich gebeten, sofort vorbeizukommen. Dort angekommen, waren alle total verwirrt, weil ich mein Kärtchen auf den Tresen legte, sie dachten meine Schwester kommt. Man fühlt sich wie ein Mensch zweiter Klasse." (Siv N., 31 Jahre)

"Sportunfall und der Verdacht: Kreuzbandriss. Der Orthopäde sagt, ich brauche ein MRT, um dies zu bestätigen, und wünscht mir viel Glück bei der Suche. Ich rufe alle radiologischen Praxen im Umkreis von 50 Kilometern an. Mindestwartezeit: sechs Wochen. Die erste Frage am Telefon war immer: Kasse oder privat? Als Privatpatient hätte ich am nächsten Tag einen Termin haben können." (Kamil J., 39 Jahre)

"Ich erlebe regelmäßig, dass der Facharzt meiner Tochter kein Rezept für ihr täglich benötigtes Kortisonspray und ihr Notfallspray ausstellt, sondern uns an den Hausarzt verweist. Wenn ich Glück habe und wir liegen in der ersten Hälfte des Quartals, dann stellt der Hausarzt das Rezept netterweise aus. Liegen wir später im Quartal, sind wir Opfer des Budget-Pingpongs: Wir werden an den Facharzt zurückverwiesen und können schauen, wo wir die Arzneien herbekommen." (Andrea K., 48 Jahre)

"Ich habe eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten gemacht. Nicht mein Traumjob, aber im Dorf und mit 15 Jahren muss man nehmen, was da ist. Ich habe in einer großen Praxis von zwei Ärzten gelernt. Termine wurden zwischen acht und 18 Uhr vergeben, jeden Werktag, mit zweistündiger Mittagspause, zu der es jedoch selten kam. Das lag an der mangelhaften Zeitplanung, auf der die Ärzte bestanden: acht Patienten pro Arzt pro Stunde, das heißt pro Patient 7,5 Minuten Zeit. Es ist nicht schwer zu erraten, dass das zeitlich nicht funktioniert. Dieser organisatorischen Schwäche war geschuldet, dass Kassenpatienten auch mit Termin teilweise mehr als zwei Stunden warten mussten. Privatpatienten hingegen, egal ob mit oder ohne Termin, wurden vorgezogen.

Ab einem gewissen Zeitpunkt wurde bei jedem Kassenpatienten nur noch das Notwendigste gemacht, da die Krankenkassen nur einen Pauschalbetrag bezahlen, der nun mal die erbrachten Leistungen oft nicht aufwiegen konnte. Wir ArzthelferInnen waren dafür da, den (verständlichen) Groll und den Frust der Kassenpatienten abzufangen und gleichzeitig den Privatpatienten den roten Teppich auszurollen - als Mensch, der auch nur das geringste bisschen Gerechtigkeitssinn hat, eine selbst Groll und Frust auslösende Aufgabe, die man neben den vielseitigen Tätigkeiten auf sich nehmen musste. Diese totgeschwiegene Zweiklassengesellschaft ist einer der Gründe, weswegen ich den Job an den Nagel gehängt habe. Ich bin mir aber sicher, dass es auch für die Ärzte eine Belastung ist - für diejenigen, die den Beruf als Berufung ansehen oder angesehen haben und feststellen mussten, dass das System ihnen im Weg steht und sie letztendlich zu der Frage zwingt: Wähle ich Geld oder Gerechtigkeit?" (Sarah S., 28 Jahre)

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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