"Das Kapital":Verelendung der anderen

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Erst jüngst haben die Volontäre der "Süddeutschen Zeitung" den Theorien von Karl Marx eine ganze Wochenend-Beilage gewidmet. Leser begrüßen das, wollen aber anmerken, dass die Bedeutung von "Das Kapital" für die heutige Zeit nicht ganz erfasst wurde.

"Das Kapital" vom 8./9. Juli:

Die Form, in der Sie in Ihrer Sonderausgabe "Das Kapital" über die Leidtragenden des Kapitalismus schreiben, halte ich für durchaus zu euphemistisch und abstrakt. Einen Arbeiter (nach Karl Marx), der am absoluten Existenzminimum und in der absoluten Abhängigkeit seines Arbeitgebers lebt und dessen Willkür ausgeliefert ist, den gibt es hier in Deutschland nicht. Dafür verschafft ihm die rechtliche Situation hier zu viel Schutz und gewährt ihm Unterstützungsmöglichkeiten.

Das heißt dennoch nicht, dass es einen solchen Arbeiter nicht in unserem gesellschaftlich-wirtschaftlichen Kosmos gibt. Durch die Globalisierung ist unsere Gesellschaft mit allen anderen stark vernetzt, sodass man nicht umhinkommt, den in unserem gesellschaftlich-wirtschaftlichen System am schlechtesten Dastehenden im ausgebeuteten Arbeiter in China zu identifizieren. Geht es um die Frage nach der Gerechtigkeit unseres Systems - und um die geht es maßgeblich, wenn man über Marx spricht - dann hat man meines Erachtens die Pflicht, diesen Schlechtestgestellten zu betrachten.

Die tatsächliche Aktualität der Marx'schen Kritik offenbart sich nämlich maßgeblich in der Verelendung und Ausbeutung großer Erdteile. Der Umstand, dass es riesige Kapitalagglomerate gibt, die immense Machtpotenziale (und Monopole) bedeuten, und dass auf der anderen Seite Menschen ein menschenunwürdiges Leben führen müssen, belegt die Relevanz des Gedankengutes.

Paul Hirsch, Köln

Triumph der Macht

Die Beilage suhlt sich wiederholt in dem Argument, Karl Marx sei durch die Geschichte überholt worden. Und offenbar benötigt selbst eine kritisch-aufgeklärte Zeitung wie die Süddeutsche Zeitung zur Feier des Siegeszugs des Kapitalismus keinerlei theoretische Widerlegung irgendeiner These von Marx. Es reicht schon der pure Verweis auf den Niedergang des realen Sozialismus im direkten Systemvergleich. Die Richtigkeit einer Theorie ist aber immer noch eine Frage der Folgerichtigkeit von Gedanken, wohingegen der Erfolg einer Sache eine Frage ihrer praktischen Durchsetzung, also eine Frage der Gewalt ist. So feiern die Volontäre der Süddeutschen Zeitung den Triumph der Macht über die Gedanken.

Helmut König, München

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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