Antisemitismus:Toleranz und Davidstern

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Die Übergriffe auf Juden in Deutschland sind nach Meinung von Lesern nicht zu tolerieren. Für einen anderen ist die Verquickung von Antisemitismus und dem Existenzrecht Israels ein Ärgernis.

Gehäkelte Solidarität: Ein Teilnehmer des Kippa-Walks in Hannover. (Foto: dpa)

"Judenhass" vom 28./29. April, "Eine besondere Verantwortung" vom 27. April, "Zentralrat der Juden rät vom Kippa-Tragen ab" und "Bürger auf die Straße" vom 25. April sowie "Das ist Kunst, du Opfer" vom 21./22. April:

Alles sagen, alles tun?

Es stellt sich in der Tat allzu oft wie zunehmend die Frage, wer und wo sind wir denn eigentlich, normativ betrachtet? Wir sind in Deutschland, einem Staat mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, verankert in unserer Verfassung, dem Grundgesetz. Wer in diesem Land lebt, wer nicht zuletzt und freilich völlig zu Recht die geltenden und unabänderlichen Werteprinzipien beansprucht, dem obliegt die äquivalente Pflicht und Bringschuld, ebendieses Recht gegenüber dem Staat und der Gesellschaft wahrzunehmen, einzuhalten und zu verteidigen.

Wer dieser verfassungsmäßigen Ordnung nicht nachkommt, wer sich mithin distinktiv außerhalb der Gemeinschaft stellt, sollte umgehend und konsequent die Rechtswirksamkeit der gemeinschaftlichen Verfasstheit annehmen müssen.

Unser Land steht für Humanität und Sozialität, und gewiss steht es auch für Toleranz. Aber wo Rechte von anderen gebrochen werden, wo Toleranz missbraucht wird, kann es selbstverständlich keinerlei Toleranz geben, denn anderenfalls ist das nicht (mehr) unser Land. Auch sollten wir der weisen Erkenntnis des Napoleon I., Kaiser der Franzosen, höchste Beachtung schenken: "Ein Volk, das in der Lage ist, alles zu sagen, ist bald in der Lage, alles zu tun."

Ira Bartsch, Lichtenau-Herbram

Unselige Verquickung

Der Bundestag hat sich in seiner Resolution dem Antisemitismus entgegengestellt; das ist wichtig und löblich. Allerdings hätte man sich eine ähnliche höchstoffizielle Frontstellung gegen den anderen, ja ganz und gar nicht verschwundenen, gegen Flüchtlinge gerichteten Rassismus gewünscht; oder gilt der inzwischen endgültig als Ausdruck nur zu verständlicher "Sorgen der Bevölkerung"? Eine empörende Generalentschuldigung übrigens, die im Falle des Antisemitismus glücklicherweise noch nie jemandem eingefallen ist.

Ärgerlich ist die unsachliche Verquickung der Themen "Antisemitismus" und "Israel". Als wäre jemand, der sich kritisch mit diesem Land auseinandersetzt, eigentlich/tendenziell/möglicherweise Judenhasser! (So als würde jemand, der sich kritisch zur gegenwärtigen polnischen Regierung stellt, wie etwa die Bundesregierung, im Grunde Katholiken hassen - oder könnte beides nicht unterscheiden). Die Absicht liegt auf der Hand: Kritik an Israels Politik soll unterbunden oder wenigstens ins moralische Abseits gestellt werden.

Seiner Bekräftigung des Existenzrechts Israels hätte der Bundestag besser noch hinzugefügt, welches Israel gemeint sein soll: das von 1967, das von 1981 (also incl. des annektierten Golans und Ost-Jerusalems), das von 2018, also mit den Siedlungen im Westjordanland sowie angegliederten Grenzstreifen - oder das offensichtlich angestrebte Großisrael unter Einschluss ganz "Judäas und Samarias", wie es heute schon auf israelischen Landkarten eingezeichnet ist? Aber Verweise auf Völker- und Menschenrechte sind ja im Falle Israels nicht so gefragt beziehungsweise werden ignoriert - oder mit dem "Verdacht" des Antisemitismus abgefertigt.

Mathias Günther, Hamburg

Hand in Hand durchs Leben

Muss ich eine Kippa oder ein Kopftuch tragen, um meine Solidarität und Toleranz gegenüber der Kultur und Religion unserer andersgläubigen Mitbürger und Mitbürgerinnen zu beweisen? Muss ein Moslem oder ein jüdischer Freund seine Solidarität gegenüber dem christlichen Glauben durch den Schmuck einer Kreuzkette äußern? Ich habe mit meinen syrischen Freunden den Kölner Dom besucht. Niemand nahm Anstoß daran, als vier kopftuchtragende Frauen als Zeichen ihrer Solidarität eine Kerze anzündeten und still um Frieden und Freiheit für alle baten. Es gibt viele freundschaftsfördernde Beispiele des friedlichen Miteinander und gelungener Integration. Feste feiern - gemeinsam nach landestypischer Musik tanzen und sich freuen, wenn ein Moslem sich am Schuhplattler versucht oder der gläubige Christ eine koschere Speise probiert. Solidarität heißt nicht, seine eigene kulturelle Identität zu leugnen, sondern Hand in Hand mit dem Anderen durchs Leben zu gehen. Es muss die Frage erlaubt sein, wann Solidarität in Provokation umschlägt, um dem Mob der Straße keinen Raum für Untaten zu bieten.

Beate Schöne, Wuppertal

Davidstern neben dem Kreuz

Es darf und kann nicht sein, dass auf das heutige Deutschland mit seiner starken jüdischen Tradition als einem Grundpfeiler abendländischer Zivilisation seit dem hohen Mittelalter, aber leider auch den unheilvollen Verbrechen von Pogromen und Holocaust, die Einschätzung des Zentralrats der Juden tatsächlich zutrifft. Sollte doch weiten Teilen unserer Gesellschaft inzwischen längst bewusst sein, dass ohne ein lebendiges, gleichberechtigtes Judentum unser aktuelles Ansehen und die Erfolge auf vielen Ebenen in der Welt sehr viel tiefer angesiedelt wären. Darum müssen Toleranz und Zivilcourage gerade auch gegenüber Minderheiten wichtige Eckpfeiler und Stützen unserer fortschrittlichen Gesellschaft sein. Nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Warum also nicht der Davidstern neben dem Kreuz in öffentlichen Räumen?

Jochen Freihold, Berlin

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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