Antisemitismus:Tief verwurzelt und gefährlich

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Innenminister Thomas de Maizière hat am Wochenende einen Antisemitismus-Beauftragten gefordert. Andere Politiker folgen ihm hier. Leser sehen den neuen Antisemitismus in Deutschland auch sehr kritisch. Israel-Kritik halten viele aber für legitim und geboten.

Zeichen setzen gegen Antisemitismus: Vor einigen Jahren nahm diese Frau an einem Kippa-Spaziergang in Berlin teil. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

"Steinmeier verurteilt 'neuen Antisemitismus'" und "In unserem Land" vom 13. Dezember sowie "Ich hasse Juden" vom 12. Dezember:

Gegen Hass und Intoleranz

Es ist schon erstaunlich, wie wenig die Deutschen ihre Geschichte kennen. Trotz Bildung, guter Schulen und der Beherrschung von Schreiben und Lesen war das Interesse an der Geschichte der Urahnen nie sehr groß. Und die Kirche nahm das Judentum zum Anlass, das "Neue Jerusalem" in Rom auszurufen, um sich als religiöse Großmacht zu zeigen. Hier entstand im Mittelalter der Satz "Nächstes Jahr in Jerusalem", weil die unterdrückten Juden in Deutschland und der Welt ihrer Seele Luft machen wollten.

Als Gastarbeiter kamen sie einst nach Deutschland und bauten ihre Synagogen in Dörfern und Städten und lebten friedlich. Bis der Hass eines Martin Luther hochkochte, weil seine Christianisierung bei den Juden nicht ankam. Da wurde Luther samt Ehefrau sehr böse. Aber auch in Medina lebten einst Juden, sie bauten Datteln an und arbeiteten auf den Feldern. Auch sie wurden vom Islam umworben, weigerten sich aber, die neue Religion anzunehmen. Ihr Ende ist Geschichte.

Sind also Religionen ein Unglück? Ja, wenn sie zum Fanatismus werden. Nein, wenn sie aufgeklärt und mit Demut und Toleranz gelebt werden.

Und hier wird es kritisch. Deutschland wandert auf schmalem Grat, wenn es Intoleranz und Hass gegen Israel zulässt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat es begriffen. Erika Lutz, Grafing

Israel muss die Hand reichen

Wer Fahnen verbrennt, verbrennt morgen Bücher und wird auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Es geht nicht darum, sich lediglich von dem Inhalt der europäischen Hymne emotional berühren zu lassen ("Alle Menschen werden Brüder"), es muss darum gehen, sich diesen Gedanken zu eigen zu machen und ihn zu leben.

Wir haben das Problem, dass der tief verwurzelte Antisemitismus immer wieder wie Eisbergspitzen hervorzüngelt und sichtbar wird. Die Konfrontation mit den geschichtlichen Erfahrungen des Abgründigen lähmt uns bei der notwendigen Differenzierung zwischen der ethnischen Zugehörigkeit und den politischen Zielsetzungen des Staates Israel. In dem Artikel von Thorsten Schmitz sagt die Autorin Deborah Feldmann: "Es gibt leider so viel blinden Hass in der Welt, warum?"

Was würde Feldmann sagen, wenn sie als Palästinenserin im Gazastreifen leben müsste? Frieden schafft man, wenn man als der Stärkere die Hand reicht. Die Siedlungspolitik ist lediglich dazu geeignet zu demütigen und Hass entstehen zu lassen. Vom Schwächeren, dem man die Hand, das geistige Zentrum und vieles mehr genommen hat, kann man nicht erwarten, dass er die Hand zur friedlichen Koexistenz reicht. Die Politik des Staates Israel ist nicht geeignet, Frieden entstehen zu lassen. Dr. Johannes Horn, München

70 Jahre Elend

Ich bin traurig und verwirrt. Alle sprechen von Fahnen, keiner vom Unglück des palästinensischen Volkes. 70 Jahre dauert das Elend schon. Die Palästinenser haben die Schoah nicht zu verantworten! Paul Jud, Stühlingen

Netanjahus zynischer Rassismus

Ich halte es nicht nur für vollkommen übertrieben, sondern sogar für unzulässig, das Verbrennen von israelischen Fahnen oder Symbolen als antisemititisch zu bezeichnen. Solche Handlungen (die ich durchaus nicht befürworte) richten sich nicht gegen Juden, weil sie Juden sind, sondern gegen einen Staat und dessen völker- und menschenrechtswidrige Vorgehensweisen. Vergleichbar wäre, wenn Ukrainer oder deren Sympathisanten hier russische Flaggen wegen der Annektierung der Krim anzünden würden. Würde es dann zu Strafanzeigen kommen und gäbe es bei unseren Politikern und Medien ähnliche Reaktionen?

Im Strafrechts-Kommentar des ehemaligen Bundesrichters Thomas Fischer zu Flaggenverbrennungen heißt es: "Durch Beschimpfung fremder Staaten sind weder deren in Deutschland lebende Staatsangehörige angegriffen noch Teile der deutschen Bevölkerung, die sich dem anderen Staat besonders verbunden fühlen." Wer sich also durch das Verbrennen einer Flagge (nur) gegen den Staat Israel wendet, aber nicht gegen "die Juden" in Deutschland, der begeht demnach keine Volksverhetzung. Und weit schlimmer als das Verbrennen einer Flagge ist das, was den Palästinensern angetan wird.

In den Fernsehnachrichten war zu sehen, wie Netanjahu bei seinem Besuch in Brüssel die EU-Außenbeauftragte breit lächelnd und mit Küsschenaustausch begrüßte, obwohl Federica Mogherini die BDS-Bewegung (internationaler Druck auf Israel durch Boykott, Kapitalentzug und Sanktionen bis zur Beendigung der Besatzung in den palästinensischen Gebieten) für legitim erklärt und damit indirekt unterstützt hat.

Netanjahus Aufforderung an die EU-Außenminister, damit aufzuhören, die Palästinenser zu verhätscheln, und ihnen gegenüber nicht zu nachsichtig zu sein, halte ich für zynischen Rassismus. Mit westlichen Werten ist die israelische Vorgehensweise gegenüber den Palästinensern nicht zu vereinbaren. Sie schadet auch der langfristigen Sicherheit der Israelis und ihres Staates. Frieden kann es nur auf der Basis von Recht und Gerechtigkeit geben. Das Recht des Stärkeren ist das größte Unrecht. Siegfried Ullmann, Alfter

Sauber formulieren

Ein Verbrennen von Flaggen ist nicht unbedingt gegen Juden (Ethnie oder Religion) gerichtet. Es ist gegen den Staat Israel gerichtet - leider hier mit Hass. Dessen Regierung gibt ja auch immer wieder Anlass, schwer kritisiert zu werden. Der Bundespräsident sprach von Antisemitismus. Dieser ist eine schreckliche Haltung. Und er hat einen krummen Wortlaut - zu den Semiten gehören auch die Palästinenser/Araber. Ähnlich krumm ist das Wort "Rassismus" - es geht dabei ja gar nicht um Rassen (beim Namen zu nennen wäre das, was drinsteckt: Ablehnung von Menschen fremder Ethnien/Kulturen), durch das Wort werden Rassen aber leider quasi suggeriert. Krumm ist auch "Europa", wenn es für die EU mit ihren Mitgliedern verwendet wird - Weißrussland gehört dazu. Jedes falsche Wort schafft Trennung/Ausgrenzung. Jörg Rechner, München

Sanktionen? Fehlanzeige

Der Spruch des Philosophen Karl Popper "Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz" gewinnt leider außerordentlich an Aktualität. Ein beträchtlicher Teil der Muslime in unserem Land erfährt eine enorme Toleranz, die sie aber nicht würdigen und im Gegenteil ihren Israelhass und Antisemitismus voll ausleben. Denn außer netten, mahnenden Worten haben sie keine maßgeblichen und nachhaltigen Sanktionen zu fürchten. Normalerweise schützt ein rechtschaffener Staat seine eigenen Bürger und weist Gäste mit diesen Manieren aus, aber siehe oben.

Frappierend ist zugleich, mit welcher Impertinenz die Araber vergessen haben, dass sie 19 lange Jahre (1948 - 1967) Herr über das Westjordanland einschließlich gesamt Ost-Jerusalem waren und jederzeit einen Staat Palästina mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem hätten ausrufen können. Dr. Aviv Judelbaum, München

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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