AfD und die Medien:Von der "Lügenpresse" zum Wahlhelfer - stimmt das?

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Was ist dran an dem Vorwurf, die Medien hätten ihren Teil dazu beigetragen, dass die AfD mit knapp 13 Prozent in den Bundestag einzieht? Leserinnen und Leser diskutieren.

"Die kritische Masse" und "Die mit dem Stöckchen" vom 27. September sowie "Das Streiflicht" vom 26. September:

Schlag nach bei Erich Kästner

Volle Zustimmung zum Leitartikel "Die mit dem Stöckchen" von Detlef Esslinger. Der Aufstieg der Rechten als Bewegung und Partei begann mit den Losungen von der "Lügenpresse". Fortan bemühten sich die Medien um die "faire" Behandlung von Nazis und Rechtspopulisten. Sie biederten sich an. Es folgten Veränderungen in Quantität und Qualität. Höhepunkt war das Kanzlerkandidatenduell. Man hatte den Eindruck, die AfD führe Regie.

Statt "Lügenpresse" muss von einer "Lückenpresse" gesprochen werden. Wenn 5000 Menschen in Ramstein gegen den von dort geführten Drohnenkrieg der USA (und der Nato) protestieren, dann erfährt die Öffentlichkeit nichts. Eine Lücke gibt es auch in historischer Sicht. Erich Kästner sagte 1958: "Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf..." Im Mai 1928 lagen die Nazis und die rechtsextremen Konservativen (DNVP plus weiterer rechter Anhang) bei 16,9 Prozent reichsweit. Heute bekam die AfD bundesweit 12,6 Prozent der Stimmen, die 0,4 Prozent für NPD müssen hinzugezählt werden. Haben wir es mit einem Schneeball oder schon mit einer Lawine zu tun? Ulrich Sander, Dortmund

Es geht offenbar um die Quote

Für mich ist erschreckend, dass Moderatoren und Redakteure in den öffentlich-rechtlichen Sendern des deutschen Fernsehens offen rechtsradikal und antisemitische Positionen vertretende Politiker der AfD einladen und sie dann in einer Weise befragen und zu Wort kommen lassen, als wären sie Vertreter eines gesellschaftlich-demokratischen Diskurses. Wenn Maybrit Illner in ihrer Talkrunde im ZDF André Poggenburg von der AfD liebenswürdigst nach seiner Ansicht zur Rentenfrage befragt und ihn sich somit als bürgerlich soliden Politiker darstellen lässt, oder wenn Anne Will in ihrer Talkrunde nach der Wahl in der ARD Alexander Gauland, der "die Kanzlerin jagen will", ein Forum für seine offen rassistischen Positionen gibt, dann ist das eben nicht einfach nur so ein Talk, sondern lässt die Vermutung aufkommen, dass es trotz dieser antidemokratischen Gesinnungen nur um die "Einschaltquote" geht. Gertrud Reuter, Heidelberg

Übersoll an AfD-Bashing

Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist über jedes provozierende Stöckchen gesprungen, das Gauland, Höcke und Co. ihm hingehalten haben. Meist wurde sogar ein Übersoll an AfD-Bashing erfüllt, etwa wenn Moderatorin Marietta Slomka, grimmige Scharfrichterin des bundesdeutschen Kosmopolitismus, ihren Ekel bereits bei der Nennung des Kürzels AfD kaum verbergen konnte. Hinzu kamen törichte "Nazi"-Vorwürfe, die bestenfalls zeigen, dass der jeweilige Sprecher außerstande war, zwischen konservativ, nationalistisch (nationalreaktionär) und nationalsozialistisch zu unterscheiden. Dass solche begrifflichen Einebnungen den üblen Kollateralschaden einer Verharmlosung des echten Nationalsozialismus anrichten, sei nicht nur am Rande erwähnt.

Für die Zukunft gilt Folgendes: Die AfD mag an ihren Widersprüchen und ihrem kraftmeiernden ideologischen Rabaukentum scheitern. Der von ihr inspirierte, sich ausbreitende Geist massiver EU-Skepsis, Islamkritik und Rückbesinnung auf das Nationale aber dürfte überleben und zumindest die CDU/CSU-Haltung der Post-Merkel-Ära formen. Dr. Björn Schumacher, Saarbrücken

Live-Auftritte begrenzen

Auch ich habe mit Unbehagen die zahlreichen Auftrittsmöglichkeiten von AfD-Wortführern in den Talkshows von ARD und ZDF wahrgenommen und war immer wieder erstaunt, wie es geschehen konnte, dass Moderatoren, Moderatorinnen und Gäste sich auf die fremdenfeindliche, nationalistische und die Gesellschaft spaltende Themensetzung einließen.

In unserer einstmals "wehrhaften Demokratie" war es Konsens, diese Stimmen nicht wieder laut werden zu lassen. Und wenn es möglich war, das Kandidatenduell durch vorherige Absprachen und Bedingungen so weit zu beschneiden, dass bekanntlich nur "ein Duett" dabei herauskam, ist die Frage angebracht, ob es in den Rundfunkanstalten nicht denkbar wäre, zur Abwehr rechtsextremer Propaganda eine Begrenzung von Live-Auftritten offen verfassungsfeindlicher Politiker zu erwägen. Analytische und kritische Berichterstattung und Beiträge in Magazinen und Nachrichten wären davon ja nicht betroffen, der Erwähnung dieser Partei wäre Genüge getan. Die Frage, wie groß der Einfluss von Medien wirklich ist, scheint mir der Beliebigkeit preisgegeben, wenn man bedenkt, wie rasch es der Medienmacht zum Beispiel gelingt, in kürzester Zeit in Katastrophenfällen eine überwältigende Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zu erzeugen. Zu Recht sind die Medienvertreter dann stolz darauf, was sie angestoßen haben. Dann sollten verantwortungsbewusste Journalisten auch selbstkritisch das eigene Tun infrage stellen können, wenn sie merken, dass etwas aus dem Ruder läuft. Christoph Berger, Hamburg

Überschätzter Einfluss

Inwieweit die Berichterstattung der Medien über die AfD diese Partei erst großgemacht hat, mag diskutierbar sein. Allerdings ist es zum Beispiel der seinerzeit monopolistisch in West-Berlin vertretenen und agierenden Springerpresse nicht gelungen, die Wiederwahl Willy Brandts zum Regierenden Bürgermeister zu verhindern. Insofern wird der direkte Einfluss der Medien oft überschätzt.

In letzter Zeit spricht jedoch viel dafür, dass die permanente einseitige Skandalisierung der Politikerarbeit durch Berichte in den Provinzblättern und bei den Privatsendern dazu beigetragen hat, dass der Ruf nach starken Männern und Politik-Entrümplern bei Teilen der Bevölkerung allzu rasch verfangen konnte. Muss es nicht unweigerlich ins dumpfe politische Abseits führen, wenn zur wohlfeilen Auflagensteigerung und Quotenerhöhung unsere Politiker penetrant und undifferenziert als unfähig, geldgierig und abgehoben dargestellt werden? Nur selten werden positive Aspekte und Entwicklungen in der Politik thematisiert. Zum Glück gibt es zwar auch noch um journalistische Qualität und Objektivität bemühte Medien, wie die Süddeutsche Zeitun g, aber allzu oft werden in verantwortungsloser Weise nur Neid und Frust geschürt. Stefan Sethe, Erfurt

Unangemessenes verschweigen

Von Medienvertretern darauf angesprochen, wie er denn seinen Marihuana-Konsum vor der Öffentlichkeit rechtfertigen könne, sagte seinerzeit John Lennon zu diesen: "You make the news!" Damit verwies er in schlichter, aber genialer Weise auf den Vergrößerungseffekt hin, den die Medien nun einmal haben, und auf die Verantwortung, die sie damit für die Auswahl dessen tragen, was allgemeingesellschaftlich relevant ist. Angewendet auf die AfD finde ich daher auch, dass zu viel über Dinge und Bemerkungen berichtet wird, die im Ton unangemessen sind, aber eben noch keinen Straftatbestand erfüllen. Ganz aktuell wieder die ausführliche Berichterstattung über Alexander Gaulands Anmerkung, dass er "die Kanzlerin oder wen auch immer jagen will".

Das alles verweist für mich auf einen Aspekt, der im Artikel "Die kritische Masse" gar nicht zur Sprache kommt: nämlich den der moralischen Bewertung von aktuellen Vorgängen (in diesem Fall die Entwicklung der AfD) durch die - objektiven - Nachrichten. Gregor Leschig, Nürnberg

Woher diese Angst?

Seit Beginn des Bürgerprotestes (zum Beispiel durch Pegida) hat man von den noch etablierten Parteien aus nur auf die beteiligten Bürger geschimpft und sie unisono in die rechte Ecke gesteckt, anstatt deren Ängste und Sorgen aufzugreifen. Der weitaus größte Teil der Wähler hat mit rechts gar nichts am Hut, er hat nur keine andere Chance mehr gesehen. Über Inhalte hat man nicht geredet und so diese Partei großgemacht. Genauso geht es jetzt weiter.

Warum fürchtet man eine Partei so, die (noch) fast keine Stammwähler hat und von deren 13 Prozent Wählern zehn Prozent Protestwähler sind, anstatt sich um deren Wähler wirklich zu bemühen und sie nicht nur zu beleidigen? Da muss man schon ziemlich satt und/oder selbst inhaltsleer sein. Oder fürchtet man so sehr, dass diese Partei am Ende sogar noch Inhalte liefert oder manchen Rechtsbruch der Vergangenheit zu Tage fördert? Jürgen Dorn, Pullach

Menschenverachtende Personen

Monate-, wenn nicht gar jahrelang musste ich in der SZ lesen, dass man es sich zu einfach macht, wenn man die AfD und deren Gefolge als rechtsradikale Partei und Ansammlung von Neonazis bezeichnet. Jetzt, einen Tag vor der Wahl lese ich - endlich - genau diese Bezeichnungen für die AfD - das ist zu spät! Seit dem offensichtlichen, massiven Rechtsruck dieser Partei erlebe ich fast tagtäglich in meiner Arbeit als Lehrer an einem Gymnasium und Parteimitglied der SPD, dass der von der SZ in den letzten Jahren geforderte Dialog nur etwas bringt, wenn man die Wahrheit auch ausspricht.

Und so traurig es klingt, die Wahrheit ist, dass es sich sowohl bei den Wählern der AfD als auch bei deren Mitgliedern um Nazis und menschenverachtende Personen handelt, die Frauen diskriminieren, Minderheiten missachten und ein Weltbild aus vergangenen Tagen haben. Wenn ein Mensch rechtsradikal ist, dann soll man einerseits den Dialog suchen, aber andererseits ihn auch als das bezeichnen, was er ist. Fabian Metzger, Berlin

Tendenz zum rechten Winkel

Ich teile nicht die Hoffnung Ihres Streiflichtes vom 26. September, dass die Gehrungssäge der AfD diese Partei auf den jeweils passenden Winkel zurechtschneiden kann. Ich fürchte, sie kann nur rechte Winkel. Andreas Rehm, Münster

Nur Essig

Gut, dass es Alexander Gauland selbst war, der den Ausdruck "gäriger Haufen" für die sogenannte AfD verwendet hat! Danke für die philosophische Betrachtung im Streiflicht, köstlich! Hierzu fällt mir ein Limerick ein: "There was a young lady from Hyde,/who ate green apples and died./The apples fermented/Inside the lamented/ And made cider inside her inside." Eine (sehr) freie Übersetzung: "War einst eine Maid aus Berlin,/die aß grüne Äpfel - war hin./Die Äpfel vergärten/In der Verehrten/Und wurden zu Most in ihr drin." Bekanntlich steigt ja durch die Gärung der Alkoholgehalt, so wie bei der AfD der Bekanntheitsgrad gestiegen ist, aber am Schluss reicht es vielleicht/hoffentlich nur zum Essig. Gunther Langeheine Annenheim/Österreich

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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