AfD:Neoliberaler Dampfdrucktopf

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Stephan Lessenich hat jüngst in der SZ mit der Mär aufgeräumt, die AfD-Anhänger seien im Wesentlichen in den Reihen der Abgehängten zu suchen. Leser geben ihm recht, deuten einige Fakten aber anders.

"Der Klassenkampf der Mitte", 3. Januar:

Brillant entlarvt Stephan Lessenich die Legende, die Wähler der AfD wären im Wesentlichen in den Reihen der "prekären Unterschichten" zu suchen. Und zutreffend ist sicherlich auch seine Wertung, dass es sich um ein "Aufbegehren" der sogenannten Mitte handelt.

Allerdings ist ihm da zu widersprechen, wo er die Ursachen für dieses "Unbehagen am Gang der gesellschaftlichen Dinge" bei den Mittelschichten verortet. Seiner Ansicht nach ist es eine "Bewegung zur Verteidigung von als gerechtfertigt erachteten und durch den Aufstieg von Außenseitern als gefährdet wahrgenommenen ökonomischen, sozialen und kulturellen Vorrechten". Dem ist nicht so: Einen sozialen Aufstieg hat die große Zahl an (geflüchteten) Migranten der vergangenen Jahre keineswegs vollzogen, und auch die Aussichten auf einen solchen sind sehr begrenzt. Zudem gefährden sie (zunächst) auch kein einziges Vorrecht dieser Mittelschichten.

Was diese gefährdet sehen, ist das einzige Integrationsmodell, welches bisher bei uns - wenngleich von vielen zähneknirschend - akzeptiert worden ist: die Übernahme von Arbeiten durch neue Migranten, und zwar in der Regel auf der untersten Stufe der Einkommenspyramide - natürlich zugunsten eben jener Mittelschichten, die durch lang anhaltende Unterschichtungsprozesse erst in diese Positionen gekommen sind. Deren Unbehagen erwächst also nicht daraus, dass immer mehr Paketfahrer einen arabischen Migrationshintergrund oder eine dunkle Hautfarbe haben, sondern daraus, dass sie nicht mehr daran glauben, dass das Gros der neuen Zuwanderer sich über solche Jobs wird selbst versorgen können und stattdessen dauerhaft von staatlichen Transferleistungen abhängig sein wird.

Weil die Angehörigen der Mittelschichten in unseren Arbeitsgesellschaften selbst unter massivem Druck stehen und glauben, dass ihr Wohlstand alleine ihrem Dauerarbeitseinsatz geschuldet ist, können und wollen viele davon die notwendige Solidaritätsfähigkeit nicht (mehr) aufbringen, mit ihren Steuergeldern Geflüchtete zu alimentieren, die eventuell auch langfristig nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar sind. Gesellschaften, die unter ständiger Anspannung und gleichsam in einem neoliberalen Dampfdrucktopf leben, sind nicht gut in Sachen Brüder- und Schwesterlichkeit. Dr. Helmut Däuble, Stuttgart

Gegen die Mär des Mainstreams

Stephan Lessenichs fundamentale Analyse widerlegt mit präziser Argumentation die Mär des Mainstreams von den "Abgehängten" als den Wählern der AfD. Wer - und seien es "bloß" zwei Jahre - arbeitslos gewesen ist, hat erfahren, wie schnell man vereinsamt. Auch wenn man an Kino, Theater, Museen interessiert ist oder an Sportevents, kann man diese nur sehr selten wahrnehmen, weil sie unbezahlbar geworden sind. Und es dauert nicht lange, um zu begreifen, dass man zu den "Ausgeschlossenen" gehört. Aus welchen Gründen sollte man sich für irgendeine Partei interessieren? Arbeit wird man von keiner bekommen. Und schon gar nicht von der AfD, denn die ist nicht nur rechtsnationalistisch, sondern auch eindeutig pro Neoliberalismus. Wieland Becker, Berlin

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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