Warum dual studieren?:Kalkulation und Karriere

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Abiturienten, die sich für ein duales Studium entscheiden, hoffen auf Jobsicherheit und schnellen Aufstieg. Die Unternehmen setzen darauf, dass sich ihre Investition auszahlt. Das funktioniert gut - meistens.

Von Jeanette Goddar

Schon der schnelle Blick in die Statistik verrät: Das duale Studium ist ein Erfolgsmodell. Seit 2004 hat sich die Zahl der Studierenden von 40 000 auf mehr als 100 000 erhöht; aus 500 Studiengängen wurden gar 1500. All diese Zahlen veröffentlichte das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 2017 in seinem noch aktuellen Bericht "Ausbildung Plus: Duales Studium in Zahlen 2016". Inzwischen dürften sie sich weiter erhöht haben; zudem basieren sie auf einer Selbstauskunft der Hochschulen; wer nicht antwortet, wird nicht erfasst.

Angesichts der steigenden Zahlen ist das Studienmodell, das Theorie und Praxis miteinander verzahnt, wissenschaftlich erstaunlich wenig dokumentiert. Der sechste Nationale Bildungsbericht ("Bildung in Deutschland 2016") etwa, ein alle zwei Jahre erscheinendes Kompendium von Bund und Ländern, widmet sich auf seinen 350 Seiten zwar ausführlich dem Studienerfolg von Fachhochschülern versus universitär Ausgebildeten. Zur Beschreibung des dualen Studiums beschränkt er sich hingegen auf wenige Zeilen. Immerhin steht darin, worum es geht: "Das duale Studium kombiniert einen Studiengang mit einer beruflichen Ausbildung oder wiederkehrenden Praxisphasen, deren Umfang über ein Praxissemester hinausgehen."

Die Sozialwissenschaftlerin Sirikit Krone (Institut Arbeit und Qualifikation, Duisburg-Essen) steht kurz vor der Veröffentlichung der bisher wohl umfangreichsten Annäherung an die Frage, ob sich ein duales Studium aus Sicht der Absolventen bewährt. Bundesweit füllten etwa 10 000 junge Männer und Frauen ihren Fragebogen zu Karrierewegen dual Studierender aus; einmal während des Studiums, noch einmal nach dem Berufsstart. "Die zentralen Erwartungen werden erfüllt", sagt Krone. "Wer ein duales Studium aufnimmt, sucht vor allem Jobsicherheit und eine klare Karriereoption. Das bekommen sie." 87 Prozent der Absolventen sind eineinhalb Jahre nach dem Studium erwerbstätig, unter ihnen mehr als neun von zehn in Vollzeit, mehr als drei von vier unbefristet. Zum Vergleich: Normal Studierende sind dann nur zu 68 Prozent regulär beschäftigt; acht von zehn in Vollzeit und sieben von zehn unbefristet. Arbeitslos sind dann ein Prozent der dual Studierenden - gegenüber sechs Prozent der Absolventen mit einem regulären Studium.

Nicht ganz so rosig sieht es bei der Zufriedenheit mit der Karrierestufe aus. Drei von vier dual Studierende wähnen sich im Vorfeld zum Berufseinstieg bald in leitender Position - nur zwei von drei bekommen diese auch. Ein Grund mag sein, dass ihre Verhandlungsposition nicht die beste ist. Die meisten bleiben nach dem Bachelor in dem Unternehmen, das sie ausgebildet - und dafür bezahlt - hat; rund jeder Fünfte hat sich dazu sogar für eine gewisse Zeit verpflichtet. "Für Unternehmen ist das duale Studium eine betriebswirtschaftliche Kalkulation", erklärt Krone. "In Zeiten des Fachkräftemangels hat das viele, aber eben nicht nur Vorteile."

Für die Betriebe geht die Rechnung vor allem auf, weil sie die Kandidaten streng auswählen. "Die Bewerber werden auf Herz und Nieren geprüft, teils in regelrechten Assessment-Verfahren", erklärt Miriam Weich, die in ihrer Dissertation an der Universität Tübingen untersuchte, wodurch sich dual und regulär Studierende unterscheiden. Dabei fand sie heraus: Dual-Studenten haben im Schnitt bessere Noten, sind lernbereiter, selbständiger und trauen sich mehr zu. Während des Studiums allerdings nähmen die Unterschiede nicht weiter zu. "Die Schere öffnet sich nicht weiter", erklärt Weich. Das ist insofern überraschend, als man annehmen könnte, dass die Verzahnung von Praxis und Theorie etwa die Selbständigkeit und das Selbstvertrauen verstärkten. Woran das liegt, hat Weich in ihrer Studie, in der sie dual und normal Studierende an bayerischen Fachhochschulen zu Studienbeginn und nach drei Semestern befragte, nicht untersucht.

Eventuell würden unterschiedliche Entwicklungen erst gegen Ende des Studiums sichtbar. Eine andere Erklärung wäre, dass "bei der Konzeption und Umsetzung des dualen Studiums noch Optimierungspotenzial besteht." Die unzureichende Verknüpfung der Praxis im Unternehmen mit den Studieninhalten ist wohl der Hauptkritikpunkt des stark expandierenden Studienmodells. "Bei allem, was gut läuft: An der engen Kooperation zwischen akademischer und betrieblicher Seite hapert es oftmals - und zwar auf beiden Seiten", konstatiert die Sozialwissenschaftlerin Bettina Langfeldt. Ihre Auswertung einer - gemeinsam mit Wilfried Hesser an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg durchgeführten - Onlinebefragung von mehr als 4000 dual Studierenden ergab: Diese haben häufig den Eindruck, dass weder die Betriebe wissen, was in der Hochschule passiert, noch umgekehrt. Gewollt ist das so nicht: "Dualität" verlange sowohl einen "angemessenen Umfang der Praxisanteile" wie auch "eine Verbindung und Abstimmung der Lernorte" - so hält es der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zum dualen Studium fest.

Warum diese Verbindung wichtig ist, erklärt Langfeldt, die an der Uni Kassel lehrt, so: In den betrieblichen Phasen würden "meist Lösungen gesucht, ohne alternative Handlungsmöglichkeiten zu erörtern". Angesichts des Zeitdrucks in vielen Unternehmen sei das "verständlich" - aber es sei "nötig, die Praxisphasen in der Hochschule ausreichend zu reflektieren". Am besten stünden Dozenten und Ausbildungsbeauftragte dazu "in Kontakt und schauten auch einmal in der jeweils anderen Bildungsstätte vorbei," sagt Langfeldt. Im Gegensatz dazu, berichtet Krone, gäbe es allerdings "Professoren, die gar nicht wissen, dass dual Studierende in ihren Veranstaltungen sitzen."

Und so mehren sich die Stimmen, die mehr Standardisierung wünschen. "Ein erster Schritt ist bereits gemacht, wenn Wissenschaft und Wirtschaft in einem Bündnis Qualitätsstandards vereinbaren", sagt Krone. Solche Bündnisse gibt es in mehreren Ländern - "Hochschule Dual" in Bayern etwa, oder "Duales Studium Hessen". Ein anderer Weg wäre, dass die für die Akkreditierung von Studiengängen zuständigen Agenturen künftig strengere Kriterien anlegten. Insgesamt gelte, sagt Krone: "Einheitliche Standards kommen allen zugute."

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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