Volksentscheid Pro Reli:Engstirnige Prediger gegen rot-rote Diktatoren

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In Berlin wird mit einer Verbissenheit um den Status des Religionsunterrichts gekämpft, dass man glatt vom Glauben abfallen könnte.

Tanjev Schultz

In Berlin wird mit einer Verbissenheit um den Status des Religionsunterrichts gekämpft, dass man glatt vom Glauben abfallen könnte. Am Sonntag können die Bürger in einem Volksentscheid darüber abstimmen, ob das Fach Religion dem Ethikunterricht gleichgestellt werden soll. Die Kirchen trommeln dafür mit einem Furor, als hinge ihre Existenz davon ab.

Streit ums Schulfach Religion
:Gläubig oder gottlos

In Berlin tobt ein Kampf um den Religionsunterricht: Wie die Initiativen Pro Reli und Pro Ethik für ihre Sache kämpfen.

Prominente wie Tita von Hardenberg gerieren sich auf Plakaten als Freiheitskämpfer ("Machen Sie die Freiheit stark"). Die Bewegung "Pro Reli" nennt den für alle Schüler verbindlichen Ethikunterricht nämlich ein "Zwangsfach". Es klingt, als sei die Hauptstadt ein Unrechtsstaat. Als entscheide sich am Sonntag, ob Berlin nun endlich befreit wird aus einer Diktatur rot-roter Atheisten.

Zuspitzung und Polarisierung

Zuspitzung, auch Polarisierung, gehören bis zu einem gewissen Grad zur Demokratie, in diesem Falle sind sie jedoch besonders ärgerlich. Von der Fähigkeit, sich in andere einzufühlen und die Perspektive des anderen einzunehmen, ist in dem Berliner Streit bei vielen Wortführern wenig zu spüren.

Es fehlen also ausgerechnet jene Tugenden, die im Zentrum jeder wohlverstandenen Ethik und Religion stehen sollten. Das betrifft nicht nur Vertreter der Kirchen, sondern auch die Fürsprecher eines radikalen Laizismus, der jede Form religiöser Artikulation am liebsten ganz aus der Öffentlichkeit und den Schulen verbannen würde.

Religionen sind eine Bereicherung für die öffentliche Kultur; nicht nur die Religionsfreiheit gebietet es, Bürgern Raum zu geben, ihren Glauben zu entfalten, ihn gemeinsam zu pflegen und darzustellen. Der liberale Staat hat auch ein Interesse an religiösen Stimmen, weil sich die säkulare Gesellschaft sonst, wie Jürgen Habermas es nennt, "abschneidet von wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung".

Nicht alternativ, sondern zusätzlich

In den meisten Bundesländern ist Religion, gestützt auf das Grundgesetz, ein ordentliches Lehrfach, zu dem freilich niemand gezwungen werden kann. (Die Entscheidung zwischen Philosophie und Religion fällen Schüler übrigens oft pragmatisch: Wo ist der bessere Lehrer? Was wählen die Freunde?) Auch in Berlin können Schüler Religion wählen, allerdings nicht alternativ, sondern zusätzlich zu dem für alle verpflichtenden Ethikunterricht.

Die Kirchen erzürnt das, weil es aus ihrer Sicht das Fach Religion entwertet und an den Rand drängt. Ihnen fehlt das Vertrauen, dass Schüler um ihrer Religion willen mehr tun als nötig. Sie dokumentieren damit zugleich ein hilfloses Verständnis von Pädagogik: Fächer werden nur ernst genommen, wenn sie versetzungsrelevant sind. Dabei entziehen sich wesentliche Elemente eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichts ohnehin einer Benotung. Denn wenn in ihm nicht nur Wissen weitergereicht, sondern authentisch Zeugnis abgelegt und der Glauben erfahren werden soll, stoßen die Lehrer an die Grenzen ihrer Bewertungssysteme. Ob ein Schüler inniger betet als ein anderer, lässt sich nicht benoten.

Auf der nächsten Seite: Warum und wie das staatliche Neutralitätsgebot zu achten ist.

Offen für interreligiösen Dialog

Plakat des Aktionsbündnisses Freie Wahl: Die Berliner können am 26. April abstimmen. (Foto: Foto: ddp)

Zum Glauben kann man keinen Schüler verpflichten, zu Unterricht in Mathematik oder Geschichte dagegen schon. Oder zum Ethikunterricht, sofern dort nicht einseitig eine bestimmte Weltanschauung vertreten wird. Das staatliche Neutralitätsgebot ist zu achten, es verlangt indes nicht, dass die Schule ein normfreier Raum ist und die Jugendlichen ferngehalten werden von ethischen Debatten. Der gesamte Lehrplan und die Regeln der Schule sind ethisch imprägniert; und in einer pluralistischen Gesellschaft sollten die Bürger lernen, ein Mindestmaß an reflexiver Distanz zu ihren Weltanschauungen einzunehmen.

Dies ist im Prinzip auch im Religionsunterricht möglich, der ja zu großen Teilen ebenfalls aus Philosophie besteht und für einen interreligiösen Dialog offen sein kann. Allerdings stützt er sich dabei nur auf die eigene Gemeinschaft der Gläubigen; er betont so, mindestens latent, immer auch das Trennende, und er neigt dazu, der Philosophie in der Gewissheit des Glaubens zu begegnen.

Nötig ist ein "übergreifender Konsens", auf dessen Grundlage der liberale Staat das Zusammenleben der Bürger organisiert. Entsprechende Haltungen einzuüben, ist eine Aufgabe auch der Schule, mit Indoktrination oder einer "Zwangsethik" hat das nicht das Geringste zu tun. Ein Ethikunterricht für alle, wie es ihn in Berlin gibt, kann dafür ein Forum sein.

Authentisches Glaubensbekenntnis

Religion und Ethik in der Schule gegeneinander auszuspielen, wird dem verschiedenen Profil dieser Fächer nicht gerecht. Den Gläubigen sollte man die Zumutungen der Philosophie nicht ersparen und damit die Einsicht, dass sich ethische Grundsätze nicht allein im Kontext der Kirche begründen lassen.

Zugleich schadet es niemandem, wenn er Menschen erlebt, die authentisch ein Glaubensbekenntnis ablegen. Das alles spricht dafür, ein Phasenmodell zu entwerfen. Auf der Stundentafel muss genug Platz für beides sein - für einen Ethikunterricht, den alle Schüler besuchen, und für einen Religionsunterricht, der möglichst viele erreicht.

Bei aller Aufregung und Polarisierung vor dem Volksentscheid sollten die Berliner vielleicht auch bedenken, dass die Wege zum Herrn oft verschlungen sind: Es gibt Menschen, die durch engstirnige Prediger der Kirche überdrüssig werden. Und es gibt Menschen, die erst durch die Philosophie zum Glauben finden.

© SZ vom 23.4.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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