Urheberschaft:Fremde Federn

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Ein Professor gibt Gedanken eines Doktoranden als seine eigenen aus. Ein Mitarbeiter hält einen Vortrag mit Folien, die der Kollege erstellt hat. Wie sich Berufstätige gegen Ideenklau wehren können.

Von Kristin Kruthaup/dpa

Von Kollegen hatte Jonathan Weber (Name geändert) schon oft gehört, dass es an der Hochschule Ideenklau gibt. Trotzdem hat es ihn kalt erwischt, als er auf einmal selbst davon betroffen war. "Ich war entsetzt, als ich den Aufsatz des Professors in der Zeitschrift sah", sagt er. "Denn das waren meine Ideen."

Weber ist promovierter Geisteswissenschaftler. Vor zwei Jahren nahm er an einem internationalen Workshop mit etwa 20 Personen teil. Solche Veranstaltungen sind in seiner Disziplin sehr verbreitet. Professoren laden zum Beispiel dazu ein. Es gibt für die Workshops ein Oberthema, und Wissenschaftler bewerben sich mit einem Paper - also einem Aufsatz - zum Thema. Dann wird zwei oder drei Tage gemeinsam über diese Paper diskutiert.

Jonathan Weber war in seinem Aufsatz aufgrund seiner empirischen Befunde zu einer Schlussfolgerung gekommen, die er mit einem Begriff prägte. "Den Begriff gab es so vorher nicht", erklärt er. Wenn man danach im Netz sucht, landet man bei Aufsätzen von ihm. "Mein Begriff und die Schlussfolgerung kamen bei den anderen Teilnehmern gut an", erzählte er. Er freute sich über das gute Konzept.

Etwa zwei Jahre nach der Konferenz erschien eine Sonderedition einer renommierten Zeitschrift - mit einigen bei der Konferenz besprochenen Papern. Weber hatte seinen Aufsatz schon vorher bei einer anderen Zeitschrift untergebracht. Er war deshalb nicht dabei. Das Journal las er jedoch mit Interesse. Und er stellte fest: Ein Professor, der auf der Konferenz dabei gewesen war, hatte sein Paper überarbeitet - und verwendete nun Webers Schlussfolgerung und Begriffe, ohne auf ihn zu verweisen. "Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll", erzählt Weber.

Ideenklau ist gerade in kreativen Berufen immer wieder ein Thema. Dort gibt es häufig die Angst, dass ein anderer aus dem eigenen Einfall Kapital schlägt. Doch es passiert längst nicht nur im kreativen Bereich oder wie bei Jonathan Weber an der Hochschule. Es geschieht auch in allen anderen Berufen. Da ist zum Beispiel der Kollege, der im Teammeeting den Vorschlag eines anderen als seinen ausgibt. Da ist der Chef, der die Idee des Praktikanten als seine an den Kunden verkauft.

Durchgesickerte Informationen, gelöschte Daten, kaputte Materialien - manchmal steckt Sabotage dahinter. (Foto: Franziska Gabbert/dpa)

Und viele haben eine diffuse Angst: Nach einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Toluna befürchten 44 Prozent der Arbeitnehmer, dass Kollegen sich während einer Teamarbeit fremde Ideen zu eigen machen und diese später als ihre eigenen verkaufen. Die Umfrage wurde im Auftrag des Personaldienstleisters Metaberatung gemacht.

Doch was macht man in so einem Fall? Zum einen gibt es durchaus Möglichkeiten, rechtlich gegen Ideenklau vorzugehen. "Die Idee an sich ist zwar erst einmal frei", sagt Ole Jani, Rechtsanwalt und Experte für Urheberrecht. Das Recht kennt allerdings Möglichkeiten, Erfindungen zu schützen. Im Fall von technischen Erfindungen gibt es die Option, ein Patent anzumelden. Der Patentinhaber ist dann in der Regel für 20 Jahre dazu berechtigt, anderen die Nachahmung zu untersagen.

Außerdem gibt es das Urheberrecht, das "persönliche geistige Schöpfungen" schützt. Das kann zum Beispiel ein Buch, ein Bild oder ein Lied sein. Ist die Idee urheberrechtlich geschützt, muss der Beklaute dann aber immer noch nachweisen, dass er die geistige Schöpfung zuerst hatte. Und das ist häufig schwer.

Eine Möglichkeit ist, die eigene geistige Schöpfung beim Notar zu hinterlegen, sagt Anwalt Jani. Im Fall eines Romans könnte man zum Beispiel dort das Dokument hinterlegen. So lässt sich anhand des Datums der Hinterlegung nachweisen, ab wann das Werk in der Welt war. Dadurch kann der Inhaber des geistigen Eigentums belegen, dass er die Idee zuerst hatte, im Fall von Ideenklau auf Unterlassung klagen - und gegebenenfalls sogar Schadenersatz verlangen, wenn jemand seine geistige Schöpfung benutzt oder sich zu Unrecht als deren Autor ausgibt.

Doch kaum jemand wird mit dem Anwalt drohen wollen, wenn der Kollege im Meeting plötzlich die eigene Idee als seine verkauft. Karriereberater Thorsten Knobbe rät in diesem Fall, den Ideendieb sofort in die Schranken zu weisen. "Ich würde sofort zum Angriff übergehen und denjenigen zur Rede stellen", sagt Knobbe. Zeigt sich das Gegenüber nicht einsichtig, empfiehlt er, zum Mentor oder sogar zum Chef zu gehen. Dieses Vorgehen kommt an seine Grenzen, wenn der Mentor oder der Chef selbst der Ideendieb ist.

So ähnlich ist es bei Jonathan Weber: Den Professor zu kontaktieren, ist für ihn keine Option. Er glaubt nicht, dass dieser Schritt etwas bringt. Doch er will auch nicht einfach schweigen. Denn er ärgert sich und befürchtet für sich einen Schaden. "In der Wissenschaft ist es wichtig zu zeigen, dass man zu einer Debatte beigetragen hat", sagt er. Webers Angst ist, dass der Professor in den nun folgenden Debatten die Lorbeeren für seine Schlussfolgerung und die Begrifflichkeiten bekommt und er als Urheber der Leistung untergeht. Ihm bleibt eine weitere Möglichkeit: An fast allen Hochschulen gibt es Ombudspersonen, an die man sich bei wissenschaftlichem Fehlverhalten wenden kann. Das Gespräch bleibt auf Wunsch anonym. Die Ombudsleute können zwischen den Parteien schlichten.

Neben den Ombudsleuten an den Hochschulen ist außerdem bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) der sogenannte "Ombudsman für die Wissenschaft" angesiedelt, den Forscher hochschulübergreifend kontaktieren können. Das kann zum Beispiel interessant sein, wenn die eigene Hochschule sehr klein ist und man Angst hat, dass die Beschwerde sonst bekannt wird. "An den Ombudsman für die Wissenschaft kann man sich auch anonym nur mit einer E-Mail wenden, wenn man erst einmal eine Einschätzung haben will", sagt Professor Stephan Rixen, Sprecher des Gremiums.

Dabei gibt es durchaus Felder in der Wissenschaft, in denen es häufiger zu Ideenklau-Problematiken kommt, sagt Rixen. So ist es bei Aufsätzen in den Naturwissenschaften zum Beispiel Usus, dass bei mehreren Autoren jene an erster und letzter Stelle genannt werden, welche die meiste Arbeit für den Aufsatz geleistet haben. Hier komme es immer wieder zu Streitereien darüber, wer an erster und letzter Stelle genannt werden muss.

Kritiker bemängeln an dem Ombudsman für die Wissenschaft, dass ihm in letzter Konsequenz die Sanktionsmöglichkeiten fehlen. Er kann bei Hochschulen oder bei der DFG eine Sanktionierung nur anregen, die DFG entscheidet dann etwa über eine Antragssperre. Eigene Sanktionsmacht hat der Vermittler nicht.

Jonathan Weber hat sich in seinem Fall für einen dritten Weg entschieden. Er hat sich an die Macher der Zeitschrift gewandt, die den Aufsatz des Professors publiziert haben. Das sind dieselben Personen, die auch den internationalen Workshop organisiert haben. Er fordert, dass zumindest die Online-Version der Zeitschrift korrigiert und er im Aufsatz des Professors korrekt zitiert wird. Außerdem wünscht er sich eine Stellungnahme des Professors. Jetzt wartet er auf eine Antwort von den Zeitschrift-Machern.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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