Unternehmer und Techniker:Das eigene Ding wagen

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Viele Ingenieure liebäugeln mit der Selbständigkeit - doch sie scheuen Bürokratie und Bankgespräche. Pfiffige Beratungsgesellschaften und Firmen bieten den Fachkräften deshalb ein Start-up - ein Kompromiss von Freiheit und relativer Sicherheit.

Von Christine Demmer

Das wird einem jungen Wirtschaftsingenieur auch nicht alle Tage geboten: "Übernimm von Anfang an Verantwortung bei der Koordination von abteilungsübergreifenden Prozessen", wirbt das neu gegründete Unternehmen in Berlin um Mitarbeiter. Auch das Start-up in Augsburg sucht unternehmerisch denkende Ingenieure: "Entwickle mit eigenen Ideen und Recherchen unser Produkt weiter. Arbeite weitgehend selbständig." Über das Einkommen liest man nichts. Aber wer denkt schon daran, wenn er bei etwas Neuem dabei sein kann. "Du erhältst die einmalige Chance, den Aufbau eines neu gegründeten Unternehmens mitzuerleben und durch eigene Ideen voranzubringen."

Wer Ingenieure als Mitarbeiter haben will, muss ihnen eine Herausforderung vor die Nase setzen und sie machen lassen. Das nämlich tun sie gern - wenn sie nicht Gefahr laufen, bei Fehlschlägen Geld und den guten Ruf zu verlieren. Deshalb gehören sie auch nicht zu den glühenden Unternehmensgründern. Gemäß der Studie "Global Entrepreneurship Monitor" (www.gemconsortium.org) liegt die Gründungsbereitschaft in Deutschland seit Jahren am Boden. Im Vergleich von 20 Ländern mit einer erklärten Innovationskultur liegt Deutschland gerade mal auf Platz 15. "Ingenieure sind eher vorsichtig", sagt Personalberater Wolfram Tröger. Er ist selbst Ingenieur, arbeitet aber seit Langem als Personalberater. Vor drei Jahren hat er sich in Frankfurt selbständig gemacht. Was Tröger über Ingenieure als Unternehmer sagt, gilt also auch für ihn: "Wenn sich Ingenieure aber dann doch zu einer Firmengründung entschließen, dann wird das in vielen Fällen eine Erfolgsgeschichte."

Vor lauter Akten nicht mehr zum Wesentlichen kommen - davor fürchten sich viele Ingenieure. (Foto: imago)

Für Patrick Oliver Battré wurde es eine. Der 38 Jahr alte Elektroingenieur ist seit 2008 sein eigener Chef, in Petershagen bei Minden stellt er Prüf- und Sicherungsanlagen für die Bahnindustrie her. Mit einem Wirtschaftsjuristen als Partner und zwei Mitarbeitern baute er eine Anlage, deren Entwurf eins zu eins aus seiner Diplomarbeit stammte. "Alle sagten mir damals: Klasse, das Ding sieht aus wie aus dem Laden. Damit kannst du doch gründen." Das tat Battré mit Unterstützung seiner Hochschule dann auch. Dennoch, ein Spaziergang sei es nicht gewesen, erinnert sich Battré: "Um jeden Kram muss man sich selbst kümmern, Finanzamt, Bank, Behörden, Krankenkasse, Verbände - das erfordert einen langen Atem. Und finanzielle und persönliche Topkondition."

Freiheit und Sicherheit: Pfiffige Arbeitgeber locken junge Spezialisten mit einem Start-up

Eigentlich können sich Ingenieure kaum bessere Bedingungen als heute wünschen. Umworben von renditesuchenden Kapitalgebern und eingerahmt in eine pulsierende Gründerszene schießen in den Großstädten Start-ups wie die Pilze aus dem Boden. In den Wachstumsbranchen IT, saubere Technologien, Design und Social Media werden laut Handelsregister jede Woche Neugründungen gemeldet - hier eine Programmierwerkstatt für Apps, dort eine Tauschbörse für gebrauchte Wohnmobile, um die Ecke ein Zusammenschluss von Netzwerkspezialisten und eine Garage weiter ein paar Ingenieure und Informatiker, die fest entschlossen sind, in zehn Jahren einen Weltkonzern vom Markt zu fegen. Dutzende Gründerplattformen präsentieren im Netz Vorbilder und Erfahrungsberichte. Erfahrene Unternehmer machen den jungen Chefs Mut, wenn die Wolken tief hängen. Sie warnen aber auch vor Allmachtsfantasien, wenn die Kunden gerade mal Schlange stehen und vor lauter Zukunft die Gegenwart aus dem Blick zu geraten droht. Denn auch ein Hoch kann blitzschnell umschlagen. Von Erfolgsgeschichten hört man an jeder Ecke. Gelöschte Firmen verblassen hingegen in aller Stille.

Manche Ingenieure bleiben ihrer Gründung ein ganzes Berufsleben lang treu. Andere dagegen machen ihren Entschluss rückgängig. 2002 war der Logistikingenieur Robert Schäfer aus Krefeld felsenfest überzeugt: "Die IT ist ein so weites Feld, dass Selbständige mit Spezialwissen immer gebraucht werden." Zwölf Jahre später erkannte er, dass die Zeit der Individualsoftware zu Ende ging. Der Vertrieb wurde immer teurer, am Ende blieb kaum etwas übrig. 2014 wickelte der Ingenieur seine Firma ab und ließ sich von einem Beratungsunternehmen anstellen. Aber keinen seiner Schritte - rein in das Geschäft, raus aus dem Geschäft - hat er bereut. "Das war schon alles gut so", sagt der Logistiker. "Man weiß ja vorher nicht, wie es ausgeht. Versuchen muss man es jedenfalls."

Viele Ingenieure liebäugeln mit der Selbständigkeit. Der Gestaltungs- und Selbstbestimmungswille der Mittzwanziger bis Enddreißiger ist hoch. Viele haben keine Lust, sich Stufe für Stufe auf der Karriereleiter hochzuhangeln. Aber mit einem Wust an Bürokratie, Betriebswirtschaft und Bankverhandlungen, der einer Gründung lange Zeit im Wege steht und dann bestehen bleibt, wollen sie auch nichts zu tun haben. Genau darauf setzen Arbeitgeber, die händeringend technisch fitten Nachwuchs brauchen und unter normalen Bedingungen - Dienst von neun bis fünf, Freiheitsgrade im Trippelschritt, und beim Verkauf der Firma steht man wieder am Anfang - am Arbeitsmarkt nicht bekommen. Viele Ausgründungen angeln vor allem nach fähigen Ingenieuren und Informatikern, die zwar gern "ihr eigenes Ding" machen möchten, sich unter dem Dach eines Industrie- oder Beratungsunternehmens aber sicherer fühlen. Von daher ist es keine dumme Idee, wenn Arbeitgeber gleich selbst mit einem Start-up locken.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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