Trilingual studieren:Buongiorno, dear students!

Lesezeit: 3 min

Die Freie Universität Bozen lehrt in drei Sprachen und bietet gut 30 verschiedene Studiengänge an.

Von Jeannette Goddar

Wer in Bozen über den Obstmarkt schlendert oder die berühmte Gletschermumie Ötzi besucht, stellt fest: Die Stadt, die bis 1919 zu Österreich gehörte und über deren Geschichte sich viel erzählen lässt, ist sprachlich etwas Besonderes. Die einen verkaufen so selbstverständlich "Pomodori" und "Mele" wie die anderen "Tomaten" und "Äpfel", das Archäologische Museum heißt auch Museo Archeologico. Auf dem riesigen Banner an der Heimstatt des 4000 Jahre alten Gletschermannes wirbt man international unmissverständlich: "The Iceman!"

Damit hat das Ötzi-Museum mit der nur ein paar Hundert Meter entfernten Freien Universität Bozen etwas gemeinsam. Die Südtiroler Universität ist seit ihrer Gründung im Jahr 1997 eine der wenigen dreisprachigen Hochschulen in ganz Europa. Ihr Motto: "Open your mind, go trilingual." Wenn Rektor Paolo Lugli Studien-Interessenten beim Tag der offenen Tür willkommen heißt, ist es normal, dass er bei der Begrüßung zwischen verschiedenen Sprachen hin- und herspringt. Der Tag der offenen Tür findet jährlich im März statt - in der vergangenen wie in dieser Saison musste das Kennenlernen freilich in Gestalt eines virtuellen Spaziergangs stattfinden.

Zu den Besonderheiten der einzigen Universität Südtirols gehören eine Reihe akademische: Mehrsprachigkeit - Deutsch, Italienisch, Englisch; ein gutes Betreuungsverhältnis; Praxisnähe. Die augenscheinlichste Attraktion allerdings ist ohne menschliches Zutun vor ungefähr 200 Millionen Jahren entstanden: Ein freier Nachmittag genügt für einen Ausflug in die Dolomiten, wenn man an dieser Uni studiert.

Nach seinem Abitur im niederrheinischen Moers fühlte sich Arne Arens außer von der Umgebung von einem Studiengang angezogen, der in dieser Kombination selten ist: Philosophie, Politik und Wirtschaft, kurz PPE. "Als Kind war ich mit meinen Eltern oft in Südtirol. Als ich herausfand, dass es hier das gibt, was ich suche, schien mir ein Studium in Bozen weit attraktiver zu sein als ein Umzug nach Witten-Herdecke," erzählt er. Sprach er denn italienisch? "Kein Wort. Doch ich dachte, das wird man doch lernen können."

Ein Alleinstellungsmerkmal der Freien Universität Bozen ist ihre Lage in unmittelbarer Nähe der Dolomiten. Studierende reizt aber auch die Aussicht, dass sie im Idealfall fließend Italienisch, Englisch und Deutsch sprechen können, nachdem sie ihre akademische Ausbildung absolviert haben. (Foto: Robert Jank/Mauritius Images)

Zwei Crashkurse am unieigenen Sprachenzentrum formten die Grundlagen, dann konnte der deutsche Student den ersten Kursen bei italienischen Dozenten folgen. Im zweiten Semester wagte sich Arens erstmals an eine Klausur in der neuen Sprache, auf einem Niveau, das dem bis dahin Gelernten entsprach. "Der Studienplan ist so angelegt, dass das zu schaffen ist", sagt der 20-Jährige, der unlängst den Beweis dafür abgelegt hat. Ende 2020 nahm er sein Bachelorzeugnis in Empfang.

Rektor Lugli, der seine Sprachkenntnisse während seiner wissenschaftlichen Laufbahn in Italien, den USA und Deutschland erwarb, wirkte mehr als zehn Jahre als Professor an der Technischen Universität München, zuletzt als Dekan der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik. "Wir nehmen Rücksicht darauf, dass viele Studierende mit nur zwei Sprachen zu uns kommen", erklärt er, "allerdings erwarten wir, dass sie während ihres Studiums in allen drei Sprachen Veranstaltungen besuchen und Prüfungen absolvieren." Ausnahmen sind einige rein englische Master- und Promotionsstudien. Die Lehrenden kommen, passend zu dem mehrsprachigen Konzept, zu etwa einem Drittel aus dem Ausland.

Die fünf Fakultäten bieten eine Reihe Studiengänge, die wie der von Arne Arens klassische Fächer kombinieren, etwa "Wirtschaftswissenschaft und Betriebsführung", "Ökonomie und Sozialwissenschaften" oder "Kommunikations- und Kulturwissenschaften". Stark an das deutsche Fachhochschulmodell erinnert die enge Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Kommunen. Mit regionalen Banken - und einem New Yorker College - wird der digitale Wandel in der Finanzwelt integriert, mit der Autozulieferindustrie jener in der Kfz-Produktion. Eine Zukunftsfrage, die nicht nur in Südtirol brisant ist, wird in einem Kompetenzzentrum Tourismus und Mobilität behandelt. In Bruneck im Pustertal, das ganzjährig unter Verkehrslawinen und im Winter unter Schneemangel leidet, finanzieren Gemeinden und Bergbahnen eine Stiftungsprofessur, die eine nachhaltige Zukunft des Tourismus vorausdenkt. Weitere Nischenstudiengänge heißen "Umweltmanagement von Bergregionen" und "Weinbau, Önologie und Weinmarketing".

Südtirol geht seinen eigenen Weg: Grundschullehrer und Erzieher werden gemeinsam ausgebildet

Seit Langem Pionierarbeit leistet zudem die Bildungswissenschaftliche Fakultät in Brixen. Bereits als sich die Vorstellung, Kitas sollten Kinder bilden statt nur betreuen, in Deutschland nur sehr langsam verbreitete, wurden Erzieherinnen und Erzieher in Südtirol akademisch ausgebildet. Unterrichtet wurden sie dabei bis 2010 unter anderem von dem Entwicklungspsychologen Wassilios Fthenakis, der im Jahr 2002 als Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik den ersten Bildungsplan für Kindertageseinrichtungen Bayerns entwickelt hatte.

Während in Deutschland Lehrstühle für Kindheitspädagogik besetzt werden, geht Südtirol einen anderen Weg: Angehende Grundschullehrer und Erzieher werden für die pädagogische Arbeit mit Kindern von 2,5 bis elf Jahren gemeinsam ausgebildet. "Bildungswissenschaften für den Primarbereich" heißt der Studiengang, der in fünf Jahren ohne einen Bachelor direkt zum Master führt. Gelernt wird auch hier auf Deutsch, Italienisch und Englisch - und Ladinisch; für alle, die in den einschlägigen Tälern mit Kindern arbeiten wollen.

"Wir glauben, dass es nicht sinnvoll ist, die frühkindliche Bildung in zwei Bereiche zu trennen", erklärt der Dekan Paul Videsott, "gerade beim Übergang von der Kita in die Schule sind abgestimmte Bildungsprozesse wichtig." Tatsächlich gilt der Wechsel in die Grundschule als der schwierigste Übergang in der Bildungslaufbahn; in Deutschland mühen sich Pädagogen damit ab, ihn für Kinder einfacher zu gestalten. Insofern kann es kaum überraschen, dass Südtirol eine beliebte Destination für deutsche Bildungsexperten ist.

© SZ vom 26.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: