Soziales Engagement:Aufbruchstimmung

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Wegen G8 machen viele junge Leute schon mit 17 Jahren Abitur. An einigen Freiwilligen-Projekten in anderen Ländern kann man bereits teilnehmen, für andere kann man sich immerhin schon mal bewerben.

Von Christiane Bertelsmann

Derzeit steht Tanja öfters auf einem Feld in Jindřichovice pod Smrkem, zu deutsch Heinersdorf an der Tafelfichte, und schneidet Weiden. Es ist Frühjahr, und da braucht das Freilichtmuseum in Tschechien, in dem Tanja im Rahmen des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes (IJFD) arbeitet, besonders viele Weiden. Die jungen Zweige wird Tanja zu einer Art Rute zusammenbinden. Das soll an einen alten Brauch erinnern, der in Osteuropa verbreitet ist: Sanftes Schlagen mit den Ruten bewirkt angeblich, dass die Lebenskraft der Zweige auf die berührte Person übergeht.

Möglichkeiten, nach dem Abi ins Ausland zu gehen, bieten sich fast zahllose: als Au-Pair, bei Freiwilligen-Projekten auf der ganzen Welt, mit Work-and-Travel-Angeboten, Sprachkursen, Praktika, Studium, Jugendbegegnungen, bei Entwicklungsdiensten oder auf Farmen weit weg von zu Hause. Der Haken: Die meisten Angebote sind für nur für Volljährige. Das gilt vor allem für Au-Pair-Programme und für Work-and-Travel-Angebote.

In der Regel leben die jungen Leute in einer Gastfamilie und haben einen Mentor am Ort

"Wir haben tatsächlich keine Angebote für unter 18-Jährige", sagt Peter Martin vom Freiwilligendienst Kulturweit, einem Projekt der Deutschen Unesco-Kommission, das durch das Auswärtige Amt gefördert wird. Verlockende Möglichkeiten gibt es da, etwa beim DAAD in Kenia oder in China an der Berufsakademie Nanjing - aber volljährig muss man sein. "Wir setzen auch eine bestimmte persönliche Reife voraus", erklärt Peter Martin. Allerdings darf man sich mit 17 schon bewerben - sofern man vor Antritt der großen Reise 18 wird.

Durch die verkürzte Gymnasialzeit haben immer mehr Abiturienten schon mit 17 Jahren das Abitur geschafft. Verständlich, dass sie die Zeit zwischen Schulende und Studium oder Ausbildungsbeginn sinnvoll nutzen wollen. "Nach der Schule den Kopf durchlüften, mal weg von zu Hause", so beschreibt Tanja, warum es sie nach dem Abi ins Ausland zog. Der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD) der Paritätischen Freiwilligendienste Sachsen gGmbH, vermittelt jungen Menschen, die noch nicht volljährig sind, Aufenthalte in den an Deutschland angrenzenden Ländern Polen und Tschechien. "Für die unter 18-Jährigen muss es eine enge Anbindung zum Beispiel zur Gastfamilie oder einer Vertrauensperson am Ort geben", sagte Gernot Mosig, Referent für Internationale Freiwilligendienste bei den Paritätern. "Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass manche Angebote für Minderjährige nicht ganz so gut passen: Zum Beispiel in einer Großstadt in einer WG zu leben und problematische Jugendliche in einem Jugendclub zu betreuen." Wer noch nicht volljährig ist, wohnt deshalb in einer Gastfamilie. Ein Mentor am Ort ist die ganze Zeit Ansprechpartner, die Referenten aus Deutschland schauen während des Einsatzes mindestens einmal vorbei.

Wenngleich Felix Jäger aus Leverkusen bei seinem Abi erst 16 war, verbrachte er gleich nach der Schule elf Monate in Ecuador. Möglich war das über die Organisation Experiment. In Mindo, einem kleinen Dorf im Nebelwald, lebte er bei einer Gastfamilie, bastelte mit den Kindern im Kindergarten und brachte den Teilnehmern eines Senioren-Freizeitclubs Memory bei. Etwa 6000 Euro kostete das Auslandsjahr. "Ich wollte nicht gleich nach der Schule studieren", sagt Felix. "Außerdem zog es mich nach Südamerika. Das Land kannte ich schon durch einen Schüleraustausch in Uruguay." Wichtig war ihm, bei einem gemeinnützigen Projekt mitzumachen: "Ich will auch etwas geben, nicht nur selbst Erfahrungen machen." Der Verein Experiment hat für die "Zielgruppe 16 plus" eigene Programme in Ecuador, Mexiko oder Indien erarbeitet. 3760 Euro muss man etwa für ein halbes Jahr Freiwilligendienst in Mexiko zahlen, dazu kommen noch die Flugkosten. Allerdings kann man sich bei dem Verein auch um Stipendien bewerben.

Zudem haben eine Menge kommerzieller Anbieter die unter 18-Jährigen als potenzielle Kunden entdeckt. Klingt erstmal toll, was man da alles machen kann: Löwenschutz in Sambia. Geburtshilfe-Praktika in Ghana. Kinderhilfsprogramm in Panama. Doch Regina Schmieg, Projektkoordinatorin von Eurodesk, einem europäischen Jugendinformationsnetzwerk, das von der Europäischen Kommission und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird, warnt vor sogenannten Voluntourismus-Programmen, die eine Menge Geld kosten und auf Laufzeiten von wenigen Wochen angelegt sind. "Natürlich haben die Jugendlichen ehrenwerte Motivationen", sagt sie, "aber gerade im sozialen Bereich schadet das den Menschen am jeweiligen Ort mehr als dass es ihnen nutzt." Wenn sich die Kinder im Waisenhaus alle zwei Wochen an einen neuen Freiwilligen gewöhnen müssen. Oder wenn es für die Teilnehmer keine Vorbereitung und keine pädagogische Begleitung am Ort gibt. "Doch direkt nach dem Abi ist ja nicht der einzige Zeitpunkt, zu dem man ins Ausland gehen kann", betont Regina Schmieg von Eurodesk. "Ein guter Zeitpunkt für einen Auslandsaufenthalt ist während des Studiums oder zwischen Bachelor und Master."

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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