Reform der Pflegeausbildung:Eine für alle

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Altenpfleger, Krankenpfleger und Kinderkrankenpfleger sollen künftig einheitlich ausgebildet werden. Kann der generalistische Ansatz die Probleme der Pflege lösen?

Von Barbara Sommerhoff

Helles Haar, lächelnder Blick, sportlicher Typ: Bettin Umor wirkt fit und ausgeschlafen. Es ist viertel nach sechs Uhr früh im Ferdinand-Heye-Haus, einem Alten- und Pflegeheim der Diakonie in Düsseldorf. In einer halben Stunde ist ihre Nachtschicht zu Ende. Zusammen mit zwei Kollegen hat sie 79 alte, kranke und zum Teil schwer demente Frauen und Männer behütet, ihnen Medikamente gegeben, zu trinken gereicht und, wo nötig, Nacht- und Bettwäsche gewechselt. "Ich habe schon um zwei Uhr nachts mit einem Bewohner Mensch-ärgere-Dich-nicht gespielt. Um vier ist er dann wieder eingeschlummert." Umor arbeitet seit zehn Jahren ausschließlich im Nachtdienst. "Da ist es ruhiger als tagsüber."

Altenpfleger genießen hohe soziale Anerkennung, in einem Ranking der angesehensten Berufe erreichen sie den dritten Platz, gleich hinter Feuerwehrleuten und Medizinern. Dennoch steht die Arbeit in der Pflege nicht hoch im Kurs. Das soll sich ändern. Im Bundestag hat Mitte März die erste Lesung des Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe stattgefunden. Wenn das Gesetz verabschiedet ist, werden Kinderkrankenpfleger, Kranken- und Altenpfleger gemeinsam ausgebildet. Sie erwerben einen generalistischen Berufsabschluss und werden, so die Hoffnung, auch einheitlich bezahlt. Die Vereinheitlichung soll den Beruf attraktiver machen. Kritiker fürchten, dass die Ausbildung verflacht.

Sieben Uhr: Im Ferdinand-Heye-Haus startet der Tagdienst. Die examinierte Pflegekraft Svenja Scheer und Pflegeassistentin Dagmar Cerutti arbeiten in der "Tagesoase", einer Station für schwer Demenzkranke. Alle Zimmertüren stehen offen. Kleine Lampen spenden mildes Licht. Die beiden Pflegerinnen gehen von Raum zu Raum. "Haben Sie gut geschlafen?" Die alte Dame mit dem energischen Kinn reagiert mit einem Lächeln und Geräuschen, die Zustimmung vermuten lassen.

In einer Berliner Berufsfachschule übt ein angehender Altenpfleger an einer Puppe, wie man bettlägerigen Menschen beim Zähneputzen hilft. (Foto: Adam Berry/Getty Images)

Svenja Scheer setzt sich einen Moment auf die Bettkante und streichelt die Hand der Frau. "Wenn man Zeit hat, bekommt man viel zurück von den alten Menschen", sagt sie. Aber Zeit ist ein knappes Gut. Zeitdruck, Bürokratie und körperliche Schwerstarbeit nennen Pflegekräfte in einer Befragung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi als die größte Belastung ihres Berufs. 74 Prozent sagen, dass sie nicht davon ausgehen, ihren Beruf bis zum Rentenalter ausüben zu können.

Acht Uhr: In bunten Bechern portioniert Scheer die Medikamente. Eine Aufgabe, die ausschließlich examinierte Fachkräfte ausführen dürfen. Aus der Küche im Souterrain ist das Frühstück gekommen. Eine der Bewohnerinnen kann selbständig essen. Die anderen neun müssen gefüttert werden. "Anreichen" heißt das hier. Niemand wird zum Essen und Trinken genötigt. Als Folge der Demenz vergessen die Erkrankten, wie sie Besteck halten, dass sie den Mund öffnen und die Nahrung schlucken müssen. Bei manchen dauert das Frühstück schon einmal eine Dreiviertelstunde.

"Am Anfang dachte ich, das schaffe ich nicht", sagt Dagmar Cerutti. Inzwischen möchte die 52-Jährige ihren Arbeitsbereich nicht mehr wechseln. Sie bringt ein Tablett ins Zimmer einer Bewohnerin, die seit einer Stunde mit lauter Stimme das Alphabet deklamiert. Nebenan wimmert eine alte Frau herzzerreißend. Auf Nachfrage erklärt sie freundlich, dass sie sich wohl fühlt. Einfühlungsvermögen, Geduld, gute Beobachtungsgabe - das seien wesentliche Voraussetzungen für eine gute Pflege, sagt Cerutti. "Das medizinische Fachwissen ist dagegen nicht so entscheidend."

Das sieht ihre Kollegin anders. "Wir betreuen hier chronisch Kranke, müssen Spritzen setzen, Katheter wechseln, Arztbesuche vorbereiten. Und wir brauchen solide Kenntnisse im psychiatrischen Bereich", sagt Scheer. Die generalistische Ausbildung sei da nicht verkehrt. Zumal damit der Status der Altenpfleger gegenüber Ärzten und Krankenpflegern verbessert werde. Immerhin 38 Prozent der Pflegekräfte bemängeln fehlende persönliche Wertschätzung.

Hinzu kommen die Gehaltsunterschiede zwischen Alten- und Krankenpflegern. Eine Krankenpflege-Fachkraft verdient in Westdeutschland im Durchschnitt 3139 Euro brutto, in Ostdeutschland 2738 Euro. Eine Altenpflege-Fachkraft erhält 2568 Euro im Westen und 1945 Euro im Osten. Das sind Unterschiede von 18 und 28 Prozent. "Wobei die privaten Träger im Durchschnitt oft deutlich darunter liegen", sagt Verdi-Sprecherin Astrid Sauermann. Und das wird sich nach Einschätzung der Gewerkschaft auch mit der generalistischen Ausbildung nicht zwangsläufig ändern.

Die Pflegedienstleiterin im Ferdinand-Heye-Haus, Sabine Silvester-Bierwas, hält nichts von der Vereinheitlichung. Demenzkranke zu pflegen, erfordere ganz andere Kompetenzen als Krankenpflege. "Das wissen auch diejenigen, die sich bei uns bewerben." Die meisten haben Praktika oder ein freiwilliges soziales Jahr im Altenheim absolviert, wenn sie die Ausbildung starten. Ein nicht unwesentlicher Teil entschließt sich erst mit 40 oder 50 Jahren zur Arbeit als Pflegeassistent. "Ältere Berufseinsteiger haben oft einen Angehörigen gepflegt und wissen, was auf sie zukommt. Und sie bleiben."

Auch Petra Hofmann, die Pflegeassistentin, die an diesem Tag um 14 Uhr die Spätschicht auf der Tagesoase übernimmt, hat den Beruf erst ergriffen, nachdem ihr Kind groß war. "Mit Kind ist der Beruf nur schwer zu leisten." Ein Problem der Branche, das sich in einer Zahl niederschlägt: Von den mehr als 400 000 Altenpflegern in stationären Einrichtungen arbeiten nur 44 Prozent Vollzeit.

Zu diesen gehört Dennis Zöphel. Nach dem Abitur an einem Wirtschaftsgymnasium hat der junge Mann die dreijährige Ausbildung zum examinierten Altenpfleger absolviert und arbeitet nun im Ferdinand-Heye-Haus. Bis zum Beginn der Nachtschicht wird er den Gesundheitszustand der Bewohner protokollieren, Verbände wechseln, mit den Angehörigen eines Verstorbenen sprechen, einen Praktikanten anleiten. Und vor allem: sich mit den Bewohnern unterhalten, herausfinden, wer Schmerzen hat, Angst verspürt, besondere Zuwendung braucht. "Unsere Bewohner zeigen mir in jedem Moment, den wir zusammen verbringen, ob es ihnen gut geht. Das muss nicht mit Worten sein", sagt Zöphel. Seine Arbeit empfindet er als befriedigend. "Wir müssten nur ein paar Leute mehr sein."

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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