Prüfer und Coach zugleich:Dynamische Teams

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Durststrecken bewältigt man mit den richtigen Partnern leichter als ohne sie. Deshalb sind beim Fernlernen gute Tutoren so wichtig. (Foto: Mauritius Images)

Tutoren haben in der digitalen Lehre vielfältige Aufgaben. Sie motivieren und beraten die Fernstudenten nicht nur, sondern sie korrigieren auch und geben Noten.

Von Christine Demmer

Ohne meinen Tutor hätte ich nicht durchgehalten." Ein so ehrliches Bekenntnis hört man oft von Menschen, die sich am Ende dann doch über eine abgeschlossene Weiterbildung oder sogar ein Hochschulstudium aus der Ferne freuen können. Wer aber sind diese guten Geister, die den Studierenden abends und am Wochenende auf Lernplattformen Rat und Auskunft zu fachlichen Themen geben, Tipps für diese spezielle Art des Studiums erteilen und Verzagten mit einer ordentlichen Portion frischer Motivation über die Hürden helfen?

Anders als beim Präsenzstudium an Universitäten sind Tutoren im Fernstudium nicht Kommilitonen aus höheren Semestern, sondern im Fach ausgebildete Praktiker, die nebenberuflich Wissen vermitteln und Hilfestellung leisten, wenn Studierende allein nicht mehr weiterkommen. Wie Jörg Reschke zum Beispiel. Der 33-jährige Marketingleiter bei einem Karlsruher Softwareunternehmen betreut nach Feierabend vom PC aus Männer und Frauen, die an der Europäischen Fernhochschule Social Media Marketing studieren. Als Tutor ist er seit 2011 tätig, und das begann so: "Man plante gerade diesen Kursus und fragte mich, ob ich dafür Lehrhefte schreiben könne." Lehrhefte erklären den Lehrstoff. "Ein Lehrgang im Fernunterricht umfasst das Wissen aus mehreren Lehrheften, die von Spezialisten erstellt werden", erläutert Reschke. "Da darf nichts doppelt geschrieben und nichts vergessen werden."

Tutoren dürfen auch als Prüfer tätig werden und Noten geben. Bei Reschke fing es mit einem Lehrheft an, dann kam ein zweites, und schließlich übernahm er als Fernlehrer die Prüfung und Korrektur der Einsendeaufgaben, die jedes Lehrheft beschließen und von den Kursteilnehmern schriftlich bearbeitet werden. Wenn dabei Fragen auftauchen, genügt eine E-Mail an den Tutor. Der antwortet schnell und ausführlich und trifft seine Studenten regelmäßig in einer Facebook-Gruppe. "Dort kann man jederzeit Fragen und Kommentare posten", sagt Reschke. "Einmal im Monat diskutieren wir in einem Chat." Persönlich kennenlernen kann man den Tutor in jedem Frühjahr auf der Digitalkonferenz Republica in Berlin. Reschke nennt es: "Unser informelles Klassentreffen."

In manchen Lehr- und Studiengängen teilen sich mehrere Tutoren die Betreuung der Lernenden. So auch beim beliebten Social Media Marketing. Seit zwei Jahren koordiniert Reschke das Fernlehrerteam für diesen Kursus. In diesem Frühjahr wurde er zum "Tutor des Jahres 2018" gewählt. Den Ehrentitel vergibt der Branchenverband Forum Distance Learning in Hamburg. Aber nominiert und gewählt werden die Kandidaten nicht vom Verband, sondern fächerübergreifend von allen Fernstudenten. Schon auf der Vorschlagsliste zu landen, ist deshalb für eine Tutorin oder einen Tutor eine große Auszeichnung.

Im Jahr 2017 fiel die Wahl auf Nicolette Bohn. Die promovierte Germanistin, Literaturwissenschaftlerin und Medienpädagogin leitet den Fernlehrgang "Große Schule des Schreibens". Beim Anbieter "Schule des Schreibens" bildet sie angehende Schriftsteller aus. Mitunter sei darunter auch ein künftiger Bestsellerautor, sagt Bohn, die mit 17 Jahren ihren ersten Roman schrieb. Danach studierte sie Dramaturgie. Heute schreibt sie Kinder- und Jugendbücher, Biografien sowie Drehbücher. Als Tutorin begleitet Bohn die Studierenden "im Prinzip wie ein Professor an einer Präsenzuni", sagt sie. Einsendeaufgaben korrigieren, Lerntipps geben, Fragen beantworten, Denkanstöße geben - das ganze Tutorenprogramm bis auf Online-Chats. Die hält sie in ihrem Fach nicht für sinnvoll. Dafür unterrichtet sie einige Tage im Jahr persönlich in den Lernzentren der Schule in Mainz und Köln. Die meisten Tutoren üben ihre Tätigkeit in ihrer Freizeit aus. Man könne davon auch ohne Erstjob leben, versichert die Freiberuflerin. Im Augenblick betreut sie circa 20 Lernende. "Die kenne ich alle mit Namen", sagt sie, "die schicken nicht nur Einsendeaufgaben, sondern schreiben mir auch Briefe und Karten. Sie haben einen ganz engen Kontakt zu mir." Vielleicht sei sie deshalb zur Tutorin des Jahres gewählt worden, vermutet die schreibende Lehrerin oder lehrende Schriftstellerin, "weil ich von beidem begeistert bin und meinen Enthusiasmus an die Studierenden zurückspiegele".

Wer diesen Job ausübt, braucht Idealismus, denn die Bezahlung ist dürftig

Angesichts der Honorare für Tutoren - Branchenkenner beziffern sie auf 15 bis 50 Euro pro Stunde - ist Begeisterung für die Sache nötig. Nach den Worten von Jens Greefe, Vizepräsident beim Fachverband Forum Distance Learning und Pädagogischer Leiter beim ebenfalls in Hamburg ansässigen ILS Institut für Lernsysteme, gibt es alle möglichen Vergütungsmodelle, "in der Höhe etwa wie bei Lehrern in der Erwachsenenbildung". Natürlich hänge es auch vom Fach ab: Wo sich die Tutoren drängen, wird weniger bezahlt, wo sie rar seien, mehr. Abstriche an der Qualität lasse man als Fernunterrichtsanbieter aber nicht zu, sagt er in seiner Funktion als Pädagogischer Leiter des ILS Instituts für Lernsysteme: "Neue Kollegen schauen wir uns die ersten vier Wochen genau an. Außerdem bewerten die Lernenden laufend und am Kursende das Lehrmaterial, die Kursgestaltung und die Lehrer."

Eine besondere Ausbildung für Tutoren gebe es nicht, aber - beim Fernlernen naheliegend - einen schriftlichen Fernlehrer-Leitfaden. "Wie sie es machen sollen, didaktische Hinweise, typische Dinge eben für den Fernunterricht", erklärt Greefe. Dass man zum Beispiel bei Antworten auf Fragen auf Scherze und Ironie verzichten solle, weil das falsch verstanden werden könne, dass man stets freundlich sein und weder zu kurz noch zu lang antworten möge. "Wir machen regelmäßig Workshops für die Lehrkräfte", fügt Greefe hinzu. Und wenn es trotzdem nicht klappe, dann müsse man sich eben trennen.

Martina Wetzel hat in den zurückliegenden 15 Semestern gewiss einige Kollegen kommen und gehen sehen. So lange ist die Professorin und Kommunikationsdesignerin nämlich Tutorin an der Diploma Fernhochschule am Studienstandort Mannheim. Seitdem Wetzel Mutter geworden ist, lehrt sie Grafikdesign und Creative Direction im Fachbereich Gestaltung - samstags im Hörsaal und abends online. Als Freiberuflerin macht sie Werbefilme. Jenseits von Filmdrehs empfindet sie die Tutorenaufgabe als inspirierend. "Der Kontakt mit jungen, engagierten Menschen hält jung", findet Wetzel. "Man hält sich ständig über die Lehre auf dem Laufenden, man muss immer am Ball bleiben." Der ideale Tutor müsse Spaß am Umgang mit Menschen haben, wendig sein im Kopf und streitbar. Man müsse sich als Tutor aber auch intensiv mit den Studenten auseinandersetzen, viel schreiben, viel erklären, das koste Zeit und Mühe. Dazu brauche es eine große Portion Leidenschaft. Denn, so Wetzel: "Wegen des Geldes macht man das nicht."

© SZ vom 22.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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