Pflegewissenschaften:Akademiker gesucht

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München will Altenpflegern mehr zahlen - die Privaten fühlen sich übergangen. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Für Betreuer kranker Menschen gibt es vielfältige Optionen, sich mit einem Studium weiterzubilden.

Von Joachim Göres

Mindestens 2,6 Millionen pflegebedürftige Menschen gibt es in Deutschland. Davon leben nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes 764 000 in 13 000 Pflegeheimen, betreut von 685 000 Beschäftigten. Angesichts der alternden Bevölkerung werden immer mehr Fachkräfte für die ambulante und stationäre Betreuung von Senioren gesucht. Dabei sind auch zunehmend Pflegedienstleitungen mit einem Studium gefragt. Auf der Fachmesse "Altenpflege 2016", die unlängst in Hannover stattfand, konnte man dies an den Stellenanzeigen sehen, mit denen Heimbetreiber dort Personal suchten. "Sie sind eine examinierte Pflegekraft und haben ein abgeschlossenes Studium der Pflegewissenschaft" oder "Sie sind eine erfahrene Pflegekraft und verfügen über eine Qualifikation als Pflegedienstleitung und verantwortliche Pflegefachkraft, optimalerweise durch ein Studium Pflegemanagement" - zwei von etlichen Beispielen.

Die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften bietet in Wolfsburg den berufsbegleitenden Studiengang Angewandte Pflegewissenschaften an. Altenpfleger, Krankenpfleger, Kinderkrankenpfleger, Heilerziehungspfleger, Hebammen und Rettungsassistenten mit einer Studienberechtigung beziehungsweise einer dreijährigen Berufserfahrung können innerhalb von drei Jahren ihr Bachelorstudium abschließen, bei drei Studientagen wöchentlich. Absolventen arbeiten später unter anderem als Fallmanager, der die Bedürfnisse von Patienten erhebt sowie die gesundheitliche Versorgung plant und evaluiert, als Praxisanleiter, der neue Mitarbeiter in ihre Aufgaben einführt, oder als Team- beziehungsweise Schichtleiter.

Weiterbildungswillige treibt auch die Hoffnung an, Reformen in der Praxis einzuleiten

Eine dieser Teilzeit-Studentinnen ist Silvia Otto. Die gelernte Altenpflegerin hat eine Weiterbildung zur Pflegedienstleitung gemacht und arbeitet derzeit in Braunschweig als Dozentin in einer Altenpflegeschule. "Künftig wird man nur noch mit einem akademischen Grad dort unterrichten können, deswegen studiere ich in Wolfsburg", sagt Otto.

Für Kristin Peter, Fachstudienberaterin an der Ostfalia-Fakultät Gesundheitswissenschaften, ist Otto eine typische Studentin. "Sie hat klare Vorstellungen über ihre Zukunft und arbeitet nicht mehr in der direkten Pflege. Die Weiterqualifizierung über ein Studium hat auch mit den Arbeitsbedingungen zu tun. Die Fachkräfte rennen sich die Lunge aus dem Hals und machen permanent Überstunden, da suchen immer mehr nach Alternativen", sagt Peter. Zudem hofften viele, in einer Führungsposition etwas an der Praxis ändern zu können. "Das ist aber schwierig, wenn der Geschäftsführer einer Einrichtung nicht mitzieht", fügt Peter hinzu. Insgesamt zählt die Fakultät Gesundheitswesen in Wolfsburg circa 650 Studierende. Zwei Drittel von ihnen absolvieren ein duales Studium, das zusammen mit der Berufsausbildung zum Altenpfleger fünf Jahre dauert.

An der Westsächsischen Hochschule Zwickau sind 500 Studenten für verschiedene Studiengänge der Fakultät Gesundheits- und Pflegewissenschaften eingeschrieben, davon circa 70 Prozent Frauen. "Wir nehmen seit Jahren mehr Anfänger auf als wir eigentlich Plätze haben. Die Anzahl der Bewerber wird in den kommenden Jahren weiter steigen, deswegen führen wir für den Bachelor einen NC ein", sagt Wilfried Schlüter, Professor für Managementtechnik im Gesundheits- und Pflegewesen. In Zwickau kann man in Pflegemanagement und Gesundheitsmanagement nach sechs Semestern sowie in Biomedizinischer Technik nach sieben Semestern seinen Bachelor-Abschluss machen. Nach Schlüters Angaben hat die Hälfte der Erstsemester bereits eine Berufsausbildung. Die Zahl der Studienabbrecher sei sehr gering. "Im Bachelor gibt es Praxisphasen, wodurch erste Kontakte zu Arbeitgebern entstehen. Viele Studierende finden auf diese Weise schnell eine Stelle", sagt Schlüter. Er ist darüber nicht glücklich, denn gerade die besten Absolventen nähmen nach dem Bachelor ein Arbeitsangebot an und entschieden sich gegen eine Vertiefung in den Masterstudiengängen Gesundheitswissenschaften, angewandte Gesundheitswissenschaften sowie Medizin- und Gesundheitstechnologie. Laut Schlüter kann man in Deutschland an ungefähr 40 Hochschulen Pflege- und Gesundheitsmanagement studieren.

Dazu gehört auch die Fachhochschule für Diakonie Bielefeld. Sie bildet Fachkräfte berufsbegleitend in sieben Semestern im Bachelor-Studiengang Management und Mentoring im Sozial- und Gesundheitswesen aus. Außerdem gibt es den Bachelor-Studiengang Pflege, der sowohl ausbildungs- als auch berufsbegleitend angeboten wird. Anne Meißner, Dozentin am Lehrstuhl Pflegewissenschaft, ist davon überzeugt, dass das geplante neue Pflegeberufsgesetz durch die Zusammenlegung von Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflegeausbildung sich auf die akademische Lehre auswirken wird. "Die Pflegeausbildung soll auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen, der akademische Anteil soll 20 Prozent betragen. Die Hochschulen werden für die Ausbildung immer wichtiger, entweder berufsbegleitend oder als eigenständiger Studiengang", sagt Meißner und ergänzt: "Wir brauchen vor allem erfahrene Pfleger, die ihre Kenntnisse mit wissenschaftlichen Ergebnissen ergänzen wollen."

Die Frage bleibt, ob für eine bessere Qualifikation auch mehr Geld gezahlt wird. "Es gibt oft bei den Studierenden unrealistische Vorstellungen über ihre Verdienstmöglichkeiten", berichtet Schlüter. Altenpfleger verdienen laut Gewerkschaftssekretär Dietmar Erdmeier, beim Verdi-Bundesvorstand für Gesundheitspolitik zuständig, mit einer vollen Stelle im Durchschnitt monatlich 2441 Euro brutto. Höchstens 40 Prozent der Heimbetreiber zahlen den Tariflohn.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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