Online-Berufswahltests:Unentdeckte Pfade

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Um seine Interessen herauszufiltern, kann man einen Berufstest machen - und sich überraschen lassen.

Von Christiane Bertelsmann

Noch ein Jahr Schule, dann kommt die große Freiheit. Lukas Möhwald hat im Januar seinen 17. Geburtstag gefeiert. Er geht in die elfte Klasse eines Berliner Gymnasiums, im Sommer nächsten Jahres hat er das Abizeugnis in der Tasche. Und dann? Auf alle Fälle studieren. Nur was? Zahnmedizin vielleicht. In der zehnten Klasse hat er ein Praktikum beim Zahnarzt gemacht, das hat ihm gefallen, vor allem die Atmosphäre in der Praxis. Oder doch Kunst? Lukas zeichnet gerne und gut, als eines der Hauptprüfungsfächer im Abitur hat er Kunst gewählt.

Im Internet googelt er die Frage "Welches Studium passt zu mir?" und wählt drei kostenlose Tests aus, darunter einen der Studieninformation Baden-Württemberg (www.was-studiere-ich.de). Der Test zielt darauf ab, die Studieninteressen enger einzukreisen. Dafür muss Lukas entscheiden, ob ihm eine bestimmte Tätigkeit gar nicht oder sehr gut gefällt. Produkte und Verpackungen designen zum Beispiel. Oder einen Streit schlichten. Konstruktionspläne entwerfen. Nach zehn Minuten ist er fertig, und prompt ploppt das Test-Resultat als PDF auf: Bildende Kunst, forschend und systematisierend zu arbeiten seien Lukas für ein Studium sehr wichtig, unwichtig dagegen unter anderen Musik und Sport. Das komme hin, meint Lukas. Eine Seite weiter findet er die passenden Studiengänge aufgelistet - alle logischerweise in Baden-Württemberg. Archäologie würde gut passen, aber auch Kunstwissenschaft. Noch ein Klick, und schon kann der Test-Teilnehmer noch mehr Informationen über die Studienbedingungen an den einzelnen Hochschulen abrufen. Wer lieber von Studenten erfahren will, was einen im Studium so alles erwarten wird, wendet sich per E-Mail an die sogenannten Studienbotschafter.

"Kein Test ersetzt die Studienberatung", stellt Benedikt Hell klar. Er ist Professor für Personalpsychologie und Studieneignungsdiagnostik, inzwischen an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten, und hat den baden-württembergischen Studienorientierungstest mitentwickelt. "Der Test soll dazu anregen, auch etwas weniger bekannte Studiengänge kennenzulernen." Die Hochschulen sind selbst dafür verantwortlich, die Profile der Studiengänge auf der Test-Seite einzustellen und aktuell zu halten. "Schüler, die kurz vor dem Abitur stehen, sind oft unsicher, was die Studienwahl angeht", sagt Psychologe Hell, "sie müssen unglaublich viele Informationen verarbeiten. Wir wollen ihnen mit dem Test ein Tool bieten, um eine erste Übersicht zu bekommen."

Test-Tester Lukas weiß, was er nicht möchte. Das ist schon mal was. Die Tests, bei denen er mitgemacht hat, haben ihm Ideen geliefert, auf die er selbst noch nicht gekommen war. (Foto: Martin Kirchner)

Weniger Test als Orientierungshilfe will auch der Studifinder (www.studifinder.de) der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen sein. Schon von der Optik her wirkt der Test sehr zeitgemäß mit seiner frischen orange-hellgrünen Farbgebung und dem Kachel-Aufbau. Mehrere Orientierungstests stehen zur Auswahl, Dauer fünf bis 80 Minuten. Dazu kommen noch 30 Wissenstests. Lukas, der Test-Tester, nimmt sich gleich den längsten von ihnen vor: "Wie ich denke und arbeite". Der fängt harmlos an mit der Frage dazu, wie neugierig man ist, wie gut man erklären kann und welche Fächer man in der Schule mit welchen Noten belegt hat. Dann kommt ein komplexer Sachtext, zu dem Fragen beantwortet werden müssen, Mathe-Aufgaben, Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen und zwischendurch, zur Auflockerung, immer wieder Neigungsfragen.

Eine sofortige Lösung sollte man nicht erwarten. Das richtige Studium zu finden, ist ein Prozess

Wie viel Zeit sich der Tester dafür nimmt, um den Fragebogen fertig auszufüllen, bleibt ihm überlassen. Und auch, ob man einen Wissenstest wiederholen möchte. "Wir wollen, dass sich die Schüler nicht nur einmal kurz mit dem Thema beschäftigen, sondern über einen längeren Zeitraum", sagt Heinrich Wottawa. Der Psychologie-Professor hat sich seit mehreren Jahrzehnten auf psychologische Eignungsdiagnostik im Internet spezialisiert und den Studifinder entwickelt. Je früher und je intensiver man sich mit dem Thema Studienwahl beschäftigt, umso besser, meint der Professor. "Die wenigsten Tests berücksichtigen die Fähigkeiten, die ein Schüler mitbringt, sondern meist nur die Interessen", sagt Wottawa. "Beides muss zusammenspielen."

Ein Interessen-Test mache Spaß, ein Leistungstest weniger. Deshalb wird die Testperson beim Studifinder zwischendurch immer wieder aufgefordert, eine Pause einzulegen. "Herauszufinden, was man studieren will, ist ein Prozess", sagt Wottawa, "Und man sollte sich nicht darauf versteifen, dass es nur den einen, einzigen passenden Studiengang gibt." Mit der Studiensuche per Internet sei es ähnlich wie bei einer Online-Partnervermittlung: "Kein Tool sagt etwas darüber aus, ob ein Mensch glücklich wird. Es reduziert nur die Anzahl der besonders überlegenswerten Optionen auf eine überschaubare Menge, mit der man sich dann vor einer Entscheidung näher befassen kann."

Neun Ergebnisseiten bekommt Tester Lukas, dabei sind neben den detaillierten Ergebnissen auch Tipps, wie er sich noch tiefer mit der Studienfachfindung beschäftigen kann. Als Studienfelder werden ihm neben Biomedizin und Neurowissenschaften auch Human-, Tier- und - eine seiner Studienoptionen - Zahnmedizin vorgeschlagen. "Wir empfehlen Ihnen, vor einer endgültigen Entscheidung auch die vielen Angebote für eine persönliche Beratung in Anspruch zu nehmen", heißt es auch in der Auswertung. An der Studienberatung, so richtig schön altmodisch von Mensch zu Mensch, führt also kein Weg vorbei.

Test Nummer drei, der SIT-Test, initiiert von der Hochschulrektoren-Konferenz und Zeit online, zielt nur darauf, die Studieninteressen herauszuarbeiten. Sein großer Vorteil: Er ist nicht an Bundesländer gebunden. "An deutschen Hochschulen haben wir etwa 10 800 Studiengänge, die für Abiturienten in Frage kommen könnten - es ist unmöglich, sich über die einen Überblick zu verschaffen", sagt Joachim Diercks. Er ist Geschäftsführer des Hamburger Unternehmens Cyquest, das den Test entwickelt hat. "Der Test orientiert sich an dem von dem amerikanischen Psychologen John Holland etablierten Interessen-Modell", erklärt Diercks. Durch entsprechende Fragen lässt sich herausfinden, welches Interesse überwiegt; in einem zweiten Schritt, welcher Studiengang am besten dazu passt.

Lukas hat der SIT-Test gut gefallen - das klare, nüchterne Design, die abwechslungsreichen Fragen, 72 insgesamt. Dann geht es an die Auswertung: Seine Interessen liegen im theoriegeleitet-forschenden Bereich, dicht gefolgt vom kreativ-kulturellen und wirtschaftlich-unternehmerischen Bereich. 125 Seiten passende Studiengänge werden dann alle alphabetisch geordnet aufgelistet. "Arboristik" liest Lukas als erstes und muss erst mal recherchieren, um was es da überhaupt geht, nämlich um Baumpflege. Zahnmedizin taucht gar nicht auf. Auf den ersten Blick etwas ernüchternd. "Aber macht nichts", meint Lukas. "Mir ist schon beim Ausfüllen viel mehr über mich und meine Interessen klar geworden. Vor allem darüber, was ich nicht möchte." Na dann, Zweck erfüllt.

"Beim Übergang von der Schule zur Hochschule liegt vieles im Argen", sagt Diercks, "wir lassen unsere jungen Menschen damit ziemlich allein." Einen Pfad will er mit dem Test aufzeigen, an den man so noch nicht gedacht hat, sagt Diercks. Es muss ja nicht gleich Arboristik sein. Oder eventuell doch?

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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