Mutterschutz:Zu schwanger fürs Gericht

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  • Laut Mutterschutzgesetz dürfen Mütter acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden.
  • Der zweite BGH-Strafsenat hat nun entschieden: Eine Richterin, die gar nicht arbeiten darf, verletzt den Grundsatz des "gesetzlichen Richters".

Von Wolfgang Janisch

Irgendwann war den Verteidigern aufgefallen, dass die Darmstädter Richterin schwanger war. Das konnte selbst die Robe nicht verbergen, man sitzt ja nah und lange beieinander im Gerichtssaal. Und der Prozess um einen groß angelegten Immobilienbetrug, den das Landgericht zu führen hatte, zog sich hin - es ging um faule Kredite und windige Provisionen. Ende 2013 verabschiedete man sich in die Weihnachtspause, kurz nach Neujahr sah man sich wieder, allerdings nur für einen auffallend kurzen Termin. Da war das Baby da und der Bauch unter der Robe verschwunden.

Die restlichen drei Monate hielt die junge Mutter durch, im April 2014 verurteilte ihre Strafkammer die drei Angeklagten zu teils langen Haftstrafen. An diesem Montag hat der Bundesgerichtshof alles wieder auf null gestellt: Der Prozess, der immerhin anderthalb Jahre gedauert hat, wird vor dem Landgericht Wiesbaden neu aufgerollt. Weil die junge Mutter nicht Richterin sein durfte.

Denn laut Mutterschutzgesetz dürfen Mütter acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden. Eine Vorschrift, die keinen Millimeter Spielraum lässt - auch die Mutter selbst kann sich nicht darüber hinwegsetzen. Die erzwungene Schonfrist soll sie vor dem Druck des Arbeitgebers oder auch vor dem eigenen Ehrgeiz schützen. Doch im Sitzungsplan der Strafkammer war keine achtwöchige Pause verzeichnet, sie wäre auch gar nicht zulässig gewesen. Der zweite BGH-Strafsenat hat nun entschieden: Eine Richterin, die gar nicht arbeiten darf, verletzt den Grundsatz des "gesetzlichen Richters". (2 StR 9/15)

Sinn dieses - sehr deutschen - Prinzips ist es, jede Art von Willkür bei der Zusammensetzung des zuständigen Gerichts auszuschließen. Wer "gesetzlicher Richter" ist, bestimmen Gesetze und Geschäftsordnung im Voraus - ohne Ansehen der Person. Für denkbare Krankheitsfälle oder auch Schwangerschaften werden bei Großverfahren üblicherweise Ergänzungsrichter bestimmt, die zum Einwechseln bereitstehen. Der Senatsvorsitzende Thomas Fischer ließ durchblicken, dass es hier nicht um Sinn oder Unsinn eines rigiden Mutterschutzes gehe - die Vorschrift gelte nun mal absolut. Allerdings sollte der Gesetzgeber das Verfahren zum Anlass nehmen, "die Regelung noch einmal zu überdenken".

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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