Mit Erasmus ins Ausland:Selbst lenken, bitte

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Allein auf Tandempartner sollte man sich nicht stützen. Wer eine neue Kultur wirklich kennenlernen möchte, muss selbst aktiv werden. Diese Erfahrung haben drei Erasmus-Studenten gemacht.

Von Theresa Tröndle

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Wer früher zum Studieren ins Ausland ging, konnte sich zu einer kleinen Elite zählen. Heute hingegen ist ein Auslandsaufenthalt fast schon Pflicht. 2015 verbrachten dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) zufolge 38 178 deutsche Studenten mit dem Erasmus-Programm ein oder zwei Semester im Ausland - Tendenz steigend. Aktuellere Zahlen liegen derzeit nicht vor. Die meisten von ihnen zieht es in den Süden: Spanien ist klarer Spitzenreiter, gefolgt von Frankreich, Großbritannien und Schweden. Drei Teilnehmer, die sich für Frankreich, Slowenien und Zypern entschieden haben, berichten von ihren Aufenthalten und ihren Erfahrungen mit dem Buddy-Programm am jeweiligen Ort.

Jessica Bennewitz, 21, war im dritten Semester in Clermont-Ferrand. Sie studiert Internationale Kommunikation und Übersetzung und wohnt in Hildesheim. (Foto: privat)

Vor der Entscheidung, ob sie ins Ausland gehen solle, stand Jessica Bennewitz nie. Ihr Studium der Internationalen Kommunikation und Übersetzung schreibt ein Auslandssemester vor. Und so ging es im dritten Bachelorsemester für vier Monate nach Clermont-Ferrand in die Auvergne. Sie hatte sich bewusst für eine kleinere Stadt entschieden. "Paris war mir zu groß, und als ich von den Vulkanen in der Nähe von Clermont hörte, war schnell klar, wohin ich gehe", erzählt die 21-Jährige.

Sprachlich hat sie der Aufenthalt auf jeden Fall weitergebracht. Dass sie mit den anderen Erasmus-Studenten nur Englisch sprach, störte sie da wenig. Im Gegenteil: "Mein ganzer Alltag war auf Französisch. Ich war manchmal richtig froh, zur Abwechslung auch mal Englisch zu reden."

Das Kursangebot und die technische Ausstattung der Universität enttäuschten die Hildesheimerin. "Die Uni hinkt der Zeit hinterher. Für die Kurse mussten wir uns noch von Hand einschreiben." Auch organisatorisch lief nicht alles rund. "Wir wurden fünf Wochen vertröstet, bis wir endlich unsere Studentenausweise bekamen." In dieser Zeit konnte Bennewitz weder in der Mensa essen noch das französische Wohngeld beantragen noch die Bibliothek besuchen. "Bürokratisch gesehen ist Frankreich schlimmer als Deutschland."

Angst, alleine zu sein, hatte Bennewitz nie. Das Angebot für Austauschstudierende ist groß. "Es kam schon vor, dass mehrere Veranstaltungen auf denselben Tag fielen und man sich entscheiden musste." Das Erasmus Student Network (ESN) organisierte internationale Frühstücke oder Ausflüge in die Region. Allerdings erwies sich das Tandempartner-Programm, das den Kontakt zwischen einheimischen und ausländischen Studierenden fördern soll, bei Bennewitz als Reinfall. "Mit meinem Buddy habe ich mich genau ein Mal getroffen - und das war bei der verpflichtenden Willkommensveranstaltung." Zurück in Hildesheim will Bennewitz sich selbst als Buddy an ihrer Universität engagieren. "Um quasi anderen die Hilfe zu geben, die ich in Frankreich gerne gehabt hätte."

Florian Ciolek, 25, war im neunten Semester in Ljubljana. Er studiert Humanmedizin und wohnt in München. (Foto: privat)

Zu ähnlich war Florian Ciolek Ljubljana verglichen mit der bayerischen Landeshauptstadt. Er hatte sich die slowenische Hauptstadt ungewöhnlicher vorgestellt. "Ljubljana ist fast wie München, nur eben auf der anderen Seite der Alpen", sagt der 25-Jährige. Die vorwiegend englischsprachigen Vorlesungen und Seminare hatten ein ähnlich hohes Niveau wie in München, sagt er. Außer ihm seien 150 weitere Erasmus-Studenten der medizinischen Fakultät in den Genuss hoher technischer Standards und erstklassiger Betreuung gekommen. Jeder Student bekam einen Buddy zugeteilt. "Ich habe mich aber nur einmal mit meinem Buddy getroffen, da ich keinerlei Probleme hatte. Die Fakultät und ESN haben sich richtig gut um uns gekümmert."

Dass er ein Auslandssemester machen möchte, um noch einmal "alles aus dem Studium herauszuholen", war Ciolek erst spät klar geworden- nämlich beim Schreiben seiner Doktorarbeit. Warum er sich gerade für Slowenien entschied? "Ich wollte eine außergewöhnliche Sprache lernen." Ohne eine Unterkunft zu haben, reiste er zu Semesterbeginn nach Slowenien und wohnte zunächst in einem Hostel. Wo andere wegen zu wenig Privatsphäre schnell genug hätten, blieb Ciolek zwei Wochen. "Es hört sich komisch an, aber die Zeit dort war eigentlich die schönste Zeit des Semesters. Wir hatten ja alle das gleiche Problem - kein Zimmer -, so was schweißt zusammen." Über eine Freundin fand er schließlich eine Bleibe in einer Zwölfer-WG. Ein Bett, ein Schreibtisch und ein Regal: Vielmehr passte nicht in sein sieben Quadratmeter großes Zimmer. "Teilweise musste ich mein Auto als Kleiderschrank umfunktionieren", erzählt Ciolek lachend.

Am besten gefallen hat ihm die Vielfalt Sloweniens. Ob Wandern, Klettern, Skifahren oder Schwimmen - er war fast jedes Wochenende unterwegs. "Das Gute an einem solch kleinen Land wie Slowenien ist, dass alles in kurzer Zeit erreichbar ist und man schnell einen vielseitigen Eindruck bekommt." Zurück in Deutschland, steht bald das nächste Abenteuer an: Nach dem schriftlichen Staatsexamen, das er Ende April schrieb, soll es für einige Monate nach Ruanda gehen. Dort möchte Ciolek in einem Krankenhaus arbeiten.

Hannah Gerold, 24, war im fünften Semester in Nikosia. Sie studiert Interkulturelle Kommunikation und wohnt in Chemnitz. (Foto: privat)

Fast hätte Hannah Gerold nicht den Weg aus der Erasmus-Blase gefunden - ein Begriff, mit dem Studenten den fehlenden Kontakt zwischen Austauschstudenten und Einheimischen beschreiben. Erst durch den Auszug aus dem Erasmus-Wohnheim und freiwilliges Engagement konnte sie ihren Horizont erweitern. "Ich war nicht die typische Erasmus-Studentin", sagt die 24-Jährige. In die zypriotische Kultur einzutauchen, war ihr wichtiger, als ein Semester nur zu feiern.

Da ihre Partneruniversität in Nikosia keine klassischen Wohnheime zur Verfügung stellte, zog Gerold mit anderen Austauschstudierenden in eines der sogenannten Erasmus-Häuser, die auf Zypern von Privatpersonen betrieben werden. "Das würde ich niemandem empfehlen. Man bleibt die meiste Zeit unter sich, und jeden Abend gibt es wilde Partys." Sie half in einem Kulturzentrum, türkische und griechische Zyprioten zusammenzuführen. So konnte sie intensive Kontakte zu Einheimischen knüpfen. Dort hat sie auch einen mittlerweile engen Freund kennengelernt und war bei seiner türkischen Familie zu Gast: "Wir konnten uns nicht wirklich verständigen, aber wir haben gelacht, getanzt und Raki getrunken."

An der Universität hat sie vor allem das verschulte System gestört - es gab mündliche Noten ebenso wie Zwischenklausuren. Positiv überrascht war Gerold aber von der Praxisnähe vieler Kurse. Da ihr Studiengang der Interkulturellen Kommunikation nur 20 ECTS-Punkte vorschreibt, die man während des Auslandssemesters erreichen muss, hatte sie in dieser Hinsicht viele Freiheiten und konnte Kurse aus allen Fachbereichen belegen. "Ich habe gelernt, wie man einen Lebenslauf gut schreibt oder offizielle E-Mails formuliert", erzählt Gerold, "richtig nützliche Dinge." Obwohl sie nur englischsprachige Kurse besuchte, lernte sie in ihrer Freizeit Türkisch und auch ein wenig Griechisch, um sich im Alltag schneller zurechtzufinden. "Wenn ich auf dem Markt einkaufen war, wusste ich immer, wie viel ich bezahlen muss, das war schon praktisch."

Gerold gefiel es auf Zypern so gut, dass sie nach ihrem Auslandssemester noch zwei Monate länger blieb und ein Praktikum in der Jugendarbeit machte.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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