Mathematikerin:Nicht so zaghaft

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Eine Ausbildung in den sogenannten Mint-Berufen muss attraktiver werden - zum Beispiel durch integrierte Auslandsaufenthalte.

Interview von Johann Osel

Von der Kita bis zur Uni sollen MintFächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, einen höheren Stellenwert bekommen - dieses Ziel verfolgt der von Arbeitgebern gegründete Verein "MINT Zukunft schaffen". Mittlerweile stehen technische Lehrberufe im Fokus der Vereinsprojekte. Geschäftsführerin ist die Mathematikerin und Philosophin Ellen Walther-Klaus.

SZ: Studenten machen ein Semester in London oder Madrid, das ist absolut üblich. Azubis bleiben in der Regel in Kassel oder Rosenheim. Ist das fair?

Ellen Walther-Klaus: Auf jeden Fall ist es weniger spannend und den jungen Leuten entgeht etwas: internationale Erfahrung, neue Kompetenzen, der Blick über den Tellerrand. Man muss aber sehen, dass Azubis gern an Ort und Stelle bleiben, sogar innerhalb Deutschlands. Um Nachwuchs zu bekommen, interessieren sich Betriebe verstärkt für den überregionalen Ausbildungsmarkt, gerade "Hidden Champions" sitzen ja oft nicht in Ballungsräumen. Aber es fehlt auf Bewerberseite eben an Flexibilität, das hat eine Studie gezeigt, an der mein Verein beteiligt war. Da spielt sicherlich das Alter eine Rolle, Azubis sind häufig noch keine Erwachsenen, Eltern haben Ängste. Wohl deshalb ist der Drang ins Ausland bei Azubis eher verhalten.

Das Angebot für Austausch ist aber auch überschaubar und oft kaum bekannt.

Es gibt Möglichkeiten, die muss man konsequent nutzen - und natürlich wären weitere Förderschienen gut. Ein Schlüssel müssen da meiner Ansicht nach die Kammern sein. Bei Unterstützungsprojekten, die von einer IHK oder Handwerkskammer kommen, haben vor allem Eltern ein gutes Gefühl. Im Ausland ist das noch wichtiger: dass der Betrieb dort in Ordnung ist, dass sich man sich um die Azubis kümmert, etwa durch Familienanschluss.

Ein Auslandsaufenthalt ist gleichwohl nicht die einzige Option, um das duale System attraktiver zu machen . . .

. . . genau, wir brauchen im gesamten nicht-akademischen Berufsspektrum mehr Karrierechancen, in der Ausbildung wie auch danach. Zusatzqualifikationen oder Freiräume, mal etwas anderes zu erkunden. Generell zeigt sich: Firmen, die etwas bieten, haben weniger Nachwuchssorgen. Innovationen in der beruflichen Bildung dürfen nicht nur Leuchttürme sein. Aber viele Betriebe spüren, dass sich in der Gesellschaft die Haltung breit macht, dass quasi jeder unbedingt studieren muss.

Ihr Verein hat mit seiner Lobby-Politik für Mint-Fächer lange für mehr Ingenieure geworben. Gibt es nun einen Wandel?

Wir haben auch dazugelernt - und die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Bei der Gründung 2008 war der Schwerpunkt tatsächlich die große Lücke bei Mint-Akademikern. Nach ein paar Jahren war dann absehbar, dass auch die Lücke bei Meistern und Technikern riesig ist und weiter wächst - während die Studienanfängerzahlen steigen. Als Partner melden sich nun viel öfter Kammern, Mittelstand und Handwerk, die wollen in der beruflichen Bildung das Ruder rumreißen. Das heißt nicht, dass keine Mint-Akademiker mehr gebraucht werden. Aber nicht nur Ingenieure sind das Rückgrat des deutschen Job-Wunders, sondern die Kette dahinter. Innovation kommt oft nicht aus Forschungsabteilungen, sondern durch alltägliche Verbesserung der Produktion.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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