Lehrerausbildung:Testkind fürs Lehramt-Studium

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Wie viel Praxistraining braucht ein angehender Pädagoge? Professoren halten oft nicht viel von Pädagogik, aber Fachwissen allein macht noch keinen Lehrer.

Tanjev Schultz

Mehr Praxis. Praxis, Praxis und noch mal Praxis. Das ist das Mantra in Diskussionen über Reformen des Lehramtsstudiums, eine gefühlte Ewigkeit ist das schon so. Lehrer würden zu theoretisch, zu fachlich, zu wenig pädagogisch ausgebildet, heißt es immer wieder. Aber was folgt aus dieser Klage? Sollen angehende Chemielehrer weniger über die Elemente der Natur lernen und dafür mehr über die kindliche Psyche? Sollen die Studenten, statt im Seminar zu sitzen, lieber Praktikum an Praktikum reihen oder direkt nach dem Abi wieder an die Schule gehen?

Der Ratlosigkeit vorbeugen: Manche Professoren vermitteln auch Praxishilfen bei der Lehrerausbildung. (Foto: Foto: iStockphoto)

Für Maria Fölling-Albers, Grundschulpädagogin an der Universität Regensburg, ist der Praxisbezug des Studiums zwar sehr wichtig. Ja, sie zählt zu den Professoren, die schon seit Jahren viel dafür tun, dass die Studenten so früh wie möglich eine Ahnung davon bekommen, was sie in ihrem Beruf erwartet. Aber die Professorin betont auch, Lehrer müssten vertraut damit sein, wie man wissenschaftlich arbeitet.

Fölling-Albers saß schon in vielen Kommissionen und Gutachtergruppen zur Reform der Lehrerbildung. Sie weiß, dass Pädagogik und Didaktik für manche nur ein läppisches und lästiges Beiwerk der Lehrerausbildung sind. Der Professor hat nicht den künftigen Lehrer vor Augen, sondern den Chemiker, den Physiker, den Germanisten. Fölling-Albers versteht allerdings auch nicht den Hang vieler Studenten, Eltern und Politiker, alles für unnütz zu erklären, was irgendwie mit Theorie und Forschung zusammenhängt. Gerade bei Grund- und Hauptschullehrern heißt es leider oft: Das brauchen die doch alles gar nicht!

In den eigenen Seminaren versucht Fölling-Albers den Studenten beides zu geben, einen Sinn für Theorie, aber auch Hilfen für die Praxis. Wer nur kurz hineinschneit in den Regensburger Uni-Raum PT 2.0.10, erwischt vielleicht gerade einen Augenblick, in dem die Professorin "morphematische" und "phonematische" Prinzipien erklärt (es geht darum, wie der Mensch die Schriftsprache erlernt) und allerlei andere Wortakrobatik aus der Sprachwissenschaft aufführt. Die Studentinnen lernen hier, wie sie den Entwicklungsstand von Kindern beurteilen, wenn sie ihnen lesen und schreiben beibringen. Jedes Kind kommt mit anderen Voraussetzungen in den Unterricht, Lehrer sollen es individuell fördern, wie es so schön heißt. Das ist aber gar nicht leicht, die Lehrer müssen die richtige Diagnose stellen und die passende Förderung anbieten.

In dem Seminar besprechen die Studentinnen nicht nur, welche Übungen für welche Kinder geeignet sind. Für wen ist das Wort "Krokodil" noch zu schwer, weil es mit zwei Konsonanten beginnt? Welches Kind kann Laute und Buchstaben schon richtig verbinden? Die Teilnehmerinnen probieren es aus: Jede Studentin hat während des Semesters ein "Begleitkind", mit dem sie sich außerhalb der Uni trifft.

Unter der Anleitung der angehenden Lehrerinnen reimen die Schul- und Vorschulkinder, sie klatschen Silben und ordnen Laute. Im Seminar folgen Auswertungen, Erfahrungen werden ausgetauscht - eine Teambesprechung, wie sie später auch in den Lehrerzimmern wünschenswert wäre.

"Ihr" Kind zeichnet Buchstaben auf dem Kopf, erzählt eine Studentin, eine andere berichtet von einem Jungen, den Symbole wie $ und @ durcheinanderbringen. Das Seminar ist aber keine bloße Plauderstunde, die Teilnehmerinnen beugen sich über komplizierte Studien, die den Erfolg verschiedener Trainingsmethoden messen und vergleichen. "Mir ist wichtig, dass Sie diese Grafiken verstehen!", sagt Maria Fölling-Albers und deutet auf vier vertrackte Zeichnungen, die empirische Maßzahlen illustrieren. Auch Grundschullehrerinnen sollen mit Statistik umgehen können, zum Beispiel, um sich auf den aktuellen Stand der Bildungsforschung zu bringen.

Die Studentinnen schätzen an dem Seminar aber vor allem den Kontakt zum Begleitkind, den Bezug zur Praxis. Der komme in den meisten anderen Lehrveranstaltungen immer noch zu kurz, sagt Elisabeth Hintereder, die sich auf das erste Staatsexamen vorbereitet. "Es ist ein Problem, dass man Kindern im Studium eher aus dem Weg geht. Ihre Kommilitonin Steffi Gräser beunruhigt der berüchtigte Praxisschock: "Ich glaube, dass wir überfordert sind, wenn wir ins Referendariat kommen."

Aus der Politik kommt immer wieder einmal der Vorschlag, das Referendariat ganz zu kippen und in das Studium einzubauen. Ein Experten-Team um den Berliner Bildungsforscher Jürgen Baumert warnt jedoch vor solch einem Schritt, und auch Maria Fölling-Albers hält die Aufteilung für richtig. Die Universität wäre überfordert, sollten die Studenten dort bereits Routine im Unterrichten entwickeln. Verbessert werden müsse aber die Abstimmung zwischen den beiden Ausbildungsphasen.

Da sieht Fölling-Albers eine große Chance in der laufenden "Modularisierung" der Studiengänge. Das hängt zusammen mit der Anpassung des Lehramtsstudiums an die Strukturen des Bachelor- und Master-Systems. Dabei wird das Studium in verbindliche Teile ("Module") zerlegt und genauer als bisher definiert, welche Kurse die Studenten wann belegen und welche Leistungen sie erbringen müssen. Der Zeitpunkt ist also günstig für einen Aufbruch in der Lehrerbildung. Es ist aber auch eine Zeit des Gerangels um den Einfluss der Disziplinen und Lehrstühle. Denn nun wird neu ausgehandelt, wie groß die Anteile in den Fachwissenschaften sein sollen und wie viel Didaktik und Pädagogik für die Studenten Pflicht werden.

"Beziehungsarbeiter"

Viele Erziehungswissenschaftler sehen Lehrer in erster Linie als "Beziehungsarbeiter", die schon in der Ausbildung lernen sollten, mit schwierigen Jugendlichen umzugehen, sie zu motivieren und nicht zu resignieren, wenn ein Schüler widerspenstig ist. Studien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung legen allerdings auch nahe, dass jene Lehrer besonders erfolgreichen Unterricht machen und bei Schülern gut ankommen, die in ihrem Fach überdurchschnittlich versiert sind. Die besten didaktischen Tricks und der größte pädagogische Einsatz sind vergebens, wenn ein Lehrer zu wenig von der Sache versteht. Entscheidend ist nicht so sehr das Gewichten, sondern das Verbinden des Fachlichen und des Pädagogischen. Didaktiker und Fachwissenschaftler müssen stärker zusammenarbeiten, fordert Maria Fölling-Albers.

In der Vergangenheit liefen die angehenden Lehrer an den Hochschulen oft nur so mit. Der Staat kümmerte sich um die Prüfungen, und die Professoren hatten vor allem die eigene Forschung und die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern im Blick. Lehramtsstudenten wurden behandelt, als würden sie später irgendeinen beliebigen Beruf ausüben. Vielen ergeht es heute noch so. Die Probleme der Schule beginnen in den Universitäten.

© SZ vom 18.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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