Kreative in der Provinz:Im Revier der Jäger

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Ungewöhnliche Karriere: Martin Deß hat seinen Bauernhof gegen eine Werbeagentur eingetauscht - und zeigt vielen Kreativen, wo es langgeht. Dabei steht sein Hauptsitz nicht einmal in einer großen Stadt - sondern in der oberpfälzischen Provinz.

Von Ingrid Brunner

Jägerstand im Firmenlogo: Der Agenturchef will sich einen Überblick verschaffen. (Foto: dpa)

Röckersbühl liegt im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz. Die nächsten größeren Städte sind Nürnberg und Regensburg. Die dünn besiedelte, ländlich geprägte Region ist nicht für ihre Dichte an Unternehmen der Kreativwirtschaft bekannt. Trotzdem: Bei nur 500 Einwohnern kann sich Röckersbühl schmeicheln, dass der Anteil der Werber im Ort bei über 20 Prozent liegt. Da kann nicht einmal Hamburg mithalten.

Und Menschen aus ganz Deutschland zieht es dorthin, um Teil des Teams zu werden, das mittlerweile mehr als hundert Mitarbeiter zählt. "Die Jäger", so der Name der Agentur, wurden 2012 von der Zeitschrift Werben & Verkaufen zu einer der fünf erfolgreichsten Werbeagenturen Deutschlands gekürt.

Firmenchef Martin Deß hat den Standort bewusst gewählt: Röckersbühl ist gewissermaßen sein Revier, denn hier war er in seinem früheren Leben Landwirt. Will man wissen, welche Kompetenzen dem Chef der "Jäger" aus jener Zeit besonders helfen, muss er nicht lange überlegen: "Ganzheitliches Denken!" Wie ist der Boden, wie ist der Standort, wie das Wetter? Diese Analyse der Gesamtsituation müsse man auch beim Kunden machen, um herauszufinden, was er brauche. Dazu komme die Fähigkeit, Prioritäten zu erkennen. "Was machst du, wenn das Wetter gut ist, um die Heuernte einzubringen, aber gleichzeitig eine Kuh im Stall kalbt?" Derlei Fragen müsse man täglich neu abwägen - in jeder Branche. So war der Weg von der Land- in die Werbewirtschaft nicht so weit, wie er Außenstehenden vorkommen mag.

Deß erzählt, wie er angefangen hat: "Ich habe tagsüber auf dem Hof gearbeitet und nächtelang in meinem kleinen Zimmer Fachbücher gelesen." Manchmal, sagt er, habe er als junger Mann schlafen als Strafe empfunden. Erster Kunde war seinerzeit ein guter Bekannter, der Fliesen-Eichl. Für ihn gestaltete er ein Logo und die Geschäftsausstattung. Seinerzeit, das war im Jahr 1993, Deß war 24 Jahre alt und hatte drei Jahre zuvor die Verantwortung auf dem Hof übernommen, damit der Vater Albert sich seiner Aufgabe als CSU-Bundestagsabgeordneter widmen konnte.

Deß junior hatte eine Ausbildung zum staatlich geprüften Besamungstechniker gemacht. Doch er war voller Ideen, die nicht unbedingt mit dem bäuerlichen Leben zu tun hatten - und er kannte sich sehr gut mit Computern aus. Zunächst träumte er deshalb davon, IT-Unternehmer zu werden. Was also lag näher, als seine Kompetenzen als Bauer, Besamungstechniker und Computerfreak zu bündeln?

Genau das tat er: Zusammen mit einem Freund schrieb er ein Computerprogramm, das Kühe und Bullen mit den besten Eigenschaften zusammenbrachte - quasi eine Art Parship für Rindviecher. Er landete damit einen veritablen Coup, Vergleichbares gab es in der Branche noch nicht, und mit dem Verkauf des Programms hatte er das nötige Startkapital für seine Karriere als Kreativer in der Werbebranche.

Schattenfiguren von Jägern auf dem Dach des 2000 erbauten Agenturgebäudes signalisieren schon von Weitem, wer hier zu Hause ist. Auch in den Büros und auf den Fluren der Agentur überall Jagdmotive und stilisierte Hirschgeweihe. Die Jagd als Firmenclaim habe sich ganz natürlich ergeben. "Wir haben uns gefragt: Was macht uns aus, wofür wollen wir stehen?" Das Ergebnis war eine Reihe von Tugenden, die auch die Jäger brauchen, um bei der Jagd erfolgreich zu sein. Etwa Mut, um ausgetretene Pfade zu verlassen, oder Leidenschaft, um ein Ziel mit dem nötigen Herzblut zu verfolgen.

Auch Bodenständigkeit zählt zu den Jäger-Tugenden. Dieses Bekenntnis zu den Wurzeln, zur Heimat, spricht vor allem Mittelständler und eigentümergeführte Unternehmen an. Kunden sind unter anderem der Baukonzern Max Bögl, der Pflanzenarznei-Hersteller Bionorica, der Montage- und Werkzeugspezialist Würth oder der Landmaschinenbauer Fella. Lange bevor die Landlust über die Deutschen kam, setzte Deß auf die ländliche, die regionale Karte. War er ein Trendsetter? Spürte, "antizipierte" er diese Entwicklung ein wenig früher als andere? Deß sieht das pragmatisch. Regional oder global, es sind weniger die Kategorien, in denen er denkt: "Das echte Leben vereint Erde, Natur, Land und Stadt. Ich will das zusammenbringen, das Bodenständige und Hippe, das Urbane und die Region. Das ist dann echt!"

Ein Tier habe er noch nie totgeschossen, sagt er, aber die Jagd sei nun mal die beste Metapher für das, was "Die Jäger" tun. Die Spurensuche etwa sei vergleichbar mit der Ist-Analyse beim Kunden. Der Jägerstand, der auch Firmenlogo ist, steht dafür, sich einen Überblick zu verschaffen, die Lage zu peilen. "Wir gehen alle jeden Tag auf die Jagd", sagt Deß. Er steht auf der großen Terrasse und blickt auf die sanfthügelige Umgebung. Im Sommer versammelt sich hier das Team, um in bequemen Loungemöbeln Ideen zu entwickeln.

Das Unternehmen wächst kontinuierlich, es schaffte 2011 einen Jahresumsatz von zehn Millionen Euro. Für 2012 erwartet die Firma ein Wachstum von 20 Prozent. Um näher an den Kunden zu sein, hat das Unternehmen mittlerweile Büros in Köln und München. Deshalb ist der Jäger Deß auf der Pirsch nach neuen Mitarbeitern: Er sucht motivierte und vor allem begeisterungsfähige Account Manager, Kreativdirektoren, IT-Mitarbeiter und Multimedia-Developer. Seine Anforderungen: "Wir denken in Kommunikation, aber wir denken auch unternehmerisch", sagt er, wie ein Landwirt gehe man auch an die Kunden ganzheitlich ran. "Wir sind eine Full-Service-Agentur: Vom Produkt über das Marketing und vom Vertrieb über den Handel bis hin zum Endkunden sollte die gesamte Vertriebskette Hand in Hand gehen." Wenn es sinnvoll ist, schulen sie den Kunden im Verkauf eines Produkts oder bauen für ihn einen Außendienst auf.

In die Wiege gelegt war Deß dieser Weg nicht - obwohl er schon als kleiner Bub mit vier Jahren getönt haben soll, er wolle mal Chef von 500 Leuten sein. So weit ist er noch nicht, aber man traut ihm zu, dass er das schafft, denn Selbstzweifel hatte er wohl nie. "Grundsätzlich ist es der Glaube an sich selbst. Wenn man etwas will, kann man das auch erreichen", sagt der 43 Jahre alte Agenturchef. Mit wenig Schlaf kommt er immer noch aus und müde ist er noch lange nicht. Um frisch im Kopf zu bleiben, sagt Deß augenzwinkernd, halte er es mit einer Bauernregel aus seiner Heimat: "Mach, was dir Spaß macht, dann brauchst dein Leben lang nicht zu arbeiten!"

© SZ vom 08.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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