Kolumne "Was ich am Job hasse":Das Verschwinden der Kugelschreiber

Lesezeit: 3 min

Sehr mysteriös! Wie nur verschwinden all die Gegenstände aus dem Büro? Und warum tauchen sie plötzlich bei den Kollegen wieder auf? (Foto: Illustration Jessy Asmus/SZ.de)

Offenbar hat sich im Büro ein Schwarzes Loch breitgemacht - wo sonst sollten all die Stifte, Kaffeetassen, ja sogar Stühle hinkommen?

Kolumne von Katja Schnitzler

Obwohl niemand meinen Schreibtisch leer nennen würde, scheint er noch Platz für ein Schwarzes Loch zu haben. Dieses dehnt seine Anziehungskraft offenbar auf sämtliche Gegenstände im Büro aus. Egal ob Textmarker (häufig), Kugelschreiber (sehr häufig) oder die Lieblingstasse (einmalig), immer wieder verschwinden Dinge auf mysteriöse Weise.

Gerade eben hatte ich den grünen Stift noch in der Hand, mit dem ich verbesserungswürdige Stellen im Text von Kollege W. anstreichen kann, ohne ihn an den Rotstift in der Schule zu erinnern. Doch kaum hat Kollege W. den Raum verlassen, dankbar ob der vielen konstruktiven Anmerkungen in Leucht-Grün, ist der Stift unauffindbar.

Weder ist er unter die Tastatur gerutscht noch hinter den Bildschirm, auch im Abfalleimer liegen nur Kaffeepappbecher. Ich mache mir eine Notiz in Signalrot, dass ich mir einen neuen Grünstift besorgen muss. Kollege W. hat das offenbar schon erledigt, in der nächsten Sitzung macht er munter grüne Notizen.

Stress-Spielzeug
:Wunderbar sinnlos

Manche Büronachbarn malträtieren den Kugelschreiber, andere kneten ihren Ball so lange, bis die Füllung herausrieselt. Nervig, aber ziemlich effektiv gegen Stress.

Von Christina Waechter

Als ich zurück in mein Zimmer komme, ist mein Stuhl verschwunden. Der mit der hohen Lehne, die sich in kleinsten Stufen von der hochkonzentrierten Aufrecht- bis zur tiefenphilosophischen Liegeposition verstellen lässt. Armlehnen hat er auch, genau in der richtigen Höhe, wie ich Kollegin C. schon oft vorgeschwärmt habe, wenn sie wieder mal über ihr wackliges Auslaufmodell schimpfte ("Den haben wahrscheinlich schon die Kollegen in den Achtzigern 'Rückenpest' genannt!").

Auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit komme ich an C.s Zimmer vorbei und freue mich für sie: Offenbar hat sie endlich einen neuen Stuhl bekommen, ein halbes Jahr musste sie warten. Das steht mir wohl ebenfalls bevor: Ich finde auf dem Flur nur ein verlassenes Gestell mit durchgesessenen Polstern und lockerer Lehne, die auch noch quietscht. Aber irgendwo muss ich ja sitzen.

Die Wasserkaraffe: weg! Mein Glas: weg!

Zucker tröstet, doch beim Blick in die Süßigkeitenschüssel wirbelt mein verblüfftes "Hä?" nur Staubflöckchen auf. Leer. Habe ich gestern wirklich so viele Bonbons und Schokoriegel in mich hineingestopft, ohne es zu merken? Wie früher beim Rauchen, wenn man schon die nächste Zigarette im Mund hatte, ohne sie bewusst aus der Schachtel geklopft zu haben.

Um daher meinem Körper etwas Gutes zu tun, will ich heute wenigstens genug trinken. Doch die Wasserkaraffe: weg! Mein Glas: weg! Mein Post-it-Block mit der "Grünen-Stift-besorgen"-Notiz auf dem obersten Zettel: weg! Fassungslos lasse ich mich auf den Stuhl fallen. Ich habe vergessen, dass dieser nicht mein alter ist und tiefer als gedacht. Auch die Rückenlehne leistet keinen Widerstand. Im Umkippen sehe ich leere PC-Buchsen. Mein Kopfhörer: weg!

Nach einstündiger Suche habe ich das Schwarze Loch auf meinem Schreibtisch immer noch nicht gefunden. Eine weitere Stunde überlege ich angestrengt, wie ich nur in diesem Büro der verschwindenden Dinge zurechtkommen soll. Wenigstens stört mich heute mal nicht die sonst so laute Musik aus dem Nachbarzimmer in meiner Konzentration. Diese Stille ist so ungewohnt, dass sie auch ablenkt. Da kann ich gleich nachschauen, was dort drüben los ist.

Kollegin T.s Kopf wippt, meinen Hörer auf dem Kopf. Ich erkenne ihn an dem Klebestreifen, mit dem ich die linke und rechte Hälfte mal wieder vereinte. Nun wird mir plötzlich alles klar. Mein Schwarzes Loch verschlingt offensichtlich nicht nur, es speit die vermissten Dinge in den Büros argloser Kollegen wieder aus! Das weiße Ende des Schwarzen Lochs sozusagen.

Ich habe mir eine Weste mit vielen Taschen zugelegt

Ich stürme durch die Tür, Kollegin T. reißt sich den Hörer vom Kopf. Aufgeregt berichte ich ihr von meiner Erkenntnis, während ich ihr Büro nach dem Weißen Loch absuche. T. verspricht, mich zu informieren, wenn das Weiße Loch wieder meine Habseligkeiten bei ihr ausspuckt.

Eine Woche später bin ich gegen alle Unstimmigkeiten in Raum und Zeit gewappnet: Ich trage einen Rucksack mit integriertem Trinktornister. Außerdem habe ich mir eine Weste mit vielen Taschen zugelegt, geeignet für Fernwanderungen und Bürotage neben Schwarzen Löchern. In der Weste hat neben zwei Zettelblöcken, einem Lineal, einem Locher, 93 Kugelschreibern, 14 Markern und 25 Grünstiften auch noch ein Wunderwerk der Fahndungstechnik Platz: ein unsichtbares Markierungsspray samt UV-Lampe.

Alles, was ich nicht festdübeln oder schrauben konnte, habe ich besprüht. Wenn das Schwarze Loch das nächste Mal mein Hab und Gut an andere verteilt, muss ich nur noch mit der UV-Lampe die Büros in 20 Stockwerken absuchen. Wahrscheinlich wollen bald alle Kollegen auch so eine UV-Lampe, denn ... Moment ... Wo zum Kuckuck ... Ich habe sie doch nur kurz hier abgelegt, während ich das Markierungsspray von den Händen gewaschen habe.

Verflixt.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kolumne "Was ich am Job hasse"
:Wie ich mein Passwort vergaß und zum Büro-Phantom wurde

Die Arbeitswelt ist mit Dutzenden Passwörtern vor Eindringlingen geschützt - leider sperren sich auch vergessliche Mitarbeiter aus.

Kolumne von Katja Schnitzler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: