Körper formt Maschine:Sitzen und surfen nach Maß

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An der Fachhochschule Hamm-Lippstadt können künftige Sport- und Gesundheitstechniker in einem neuen Studiengang lernen, wie man Sportgeräte, ergonomische Möbel oder passgenaue Reha-Hilfen entwickelt.

Von Christiane Bertelsmann

Als der neue Studiengang im Wintersemester 2014/2015 startete, war Jens Spirgatis vom eigenen Erfolg überrascht: 230 Studierende hatten sich für Sport- und Gesundheitstechnik eingeschrieben. "Wir waren in unseren Erwartungen etwas konservativer", sagt der Studienleiter. Inzwischen hat die Fachhochschule Hamm-Lippstadt die Anzahl der Studienplätze auf 120 Anfänger pro Jahr limitiert - bringt ja nichts, sagt Spirgatis, wenn an einem Gerät 15 Leute stehen und nur die ersten fünf überhaupt sehen, was passiert: "Uns ist der Praxisbezug extrem wichtig, deshalb verbringen die Studierenden viel Zeit in unseren Laboren." Hinzu kommt ein Pflicht-Praxissemester im fünften Semester.

Das ist gerade bei Robert Menzel dran, bei Porsche im Bereich Sitzentwicklung. Der 22-jährige Student hatte Glück und wurde nach seiner Bewerbung und einem kurzen Vorstellungsgespräch gleich genommen. "Vielleicht waren sie einfach neugierig, weil es so ein Studium bislang nicht gegeben hat", meint Menzel. Kurz nachdem die Zusage kam, hat sich Robert Menzel in Karlsruhe ein WG-Zimmer gesucht. Noch bis Ende Februar pendelt er nach Weissach zum Porsche-Entwicklungszentrum. Dort bereitet Praktikant Menzel Fahrzeuge für Probefahrten vor, ist bei Messungen dabei und füttert Tabellen mit Daten. "Im Sitz steckt super viel Technik", sagt Menzel, "das ist wie ein Auto im Auto." Natürlich müsse der Sitz bequem sein und Komfort bieten, etwa durch eine passende Sitzheizung oder -belüftung, aber das sei längst nicht alles.

Was ihm sein Studium bei seiner Tätigkeit nutzt? "Es hilft dabei, den Zusammenhang von Mensch und Maschine zu verstehen", sagt er. "Durch das Studium habe ich nicht nur Einblicke in die technische Seite, sondern auch ein Verständnis für den menschlichen Körper." Etwa, welchen Einfluss die in den Autositz eingebaute Lordosenstütze auf die menschliche Wirbelsäule hat: Bei langen Autofahrten kann es passieren, dass die Lordose, also die nach vorne gerichtete Krümmung der Wirbelsäule, von den durchs lange Sitzen ermüdeten Muskeln nicht mehr ausreichend gehalten wird. Eine in den Autositz - und auch in manche Bürostühle - eingebaute Lordosenstütze kann so einen Teil der Arbeit der erschlafften Muskeln übernehmen.

Auf den Studiengang gekommen ist Menzel, weil ihn die Mischung aus Maschinenbau, Technik und Sport angesprochen hat. Seit seiner Kindheit spielt Menzel Tennis, inzwischen kommt noch Kitesurfing und Wakeboarding dazu. "Viele unserer Studierenden sind Hobby- oder sogar Profisportler", sagt Professor Spirgatis, "allerdings übersehen manche das Wort Gesundheit bei unserem Studiengang. Sie denken, sie studieren bei uns Sport." Die Abbrecherquote liegt nach Aussage der Fachhochschule Hamm bei etwa 30 Prozent - durchaus normal bei Ingenieurswissenschafts-Studiengängen an Fachhochschulen.

Adrian Abeck, der ebenfalls an der Fachhochschule Hamm Sport- und Gesundheitstechnik studiert, weiß jetzt schon, dass er gerne im Bereich Sportgeräteherstellung arbeiten möchte. "Als Sportler merke ich, dass viele Geräte nicht so sind, wie ich es mir wünsche", sagt Abeck. Auch er ist begeisterter Wakeboarder und nimmt an Profiwettkämpfen teil. "Wakeboardschuhe zum Beispiel. Die gehen ganz schnell kaputt. Oder Inlineskater. Für die würde ich mir eine personalisierte Einstellungsmöglichkeit wünschen."

Auch Mechaniker oder Physiotherapeuten mit ihrem Fachwissen sind willkommen

Sorgen um ihre Karriere müssen sich die Absolventen keine machen. "Die Nachfrage auf dem Markt ist da", sagt Spirgatis. "Unser Studiengang ist keiner, der Leute produziert, die niemand braucht." Auch die Werteverschiebung in der Gesellschaft hin zur nachhaltigeren Lebensqualität arbeite den Absolventen zu. Spirgatis: "Man möchte Leistung erbringen, aber trotzdem eine ausgewogene Work-Life-Balance haben, also trotz Belastung im Berufsleben gesund leben. Da erschließen sich gerade in der Freizeit-, Sport-, aber auch in der Gesundheitsbranche neue Märkte."

Und wer sich in der Sportwelt nicht zu Hause fühle, könne im Bereich Gesundheitstechnik Arbeit finden. Spirgatis: "Da gibt es sehr technische Produkte, die man aber nur mit Wissen um das entsprechende Krankheitsbild versteht." Aber auch Arbeitssicherheit und -komfort könnten Felder für Sport- und Gesundheitsingenieure sein. Angenommen etwa, jemand muss mit einer schweren Bohrmaschine über Kopf Löcher in eine Decke bohren. Eine ergonomisch auf die Bedürfnisse des Arbeiters angepasste Halterung würde den Rücken entlasten. Außerdem könnte man die Maschine so konstruieren, dass der Mensch, der bohrt, nicht so viel Staub einatmen muss, sagt Jens Spirgatis.

Viele Arbeitsmöglichkeiten also für die Sport- und Gesundheitsingenieure aus Hamm - wo man übrigens auch über einen Master-Studiengang nachdenkt. Einen Wunsch hat Professor Spirgatis noch: "Es wäre gut, wenn noch mehr Leute das Fach wählen, die bereits eine Ausbildung haben - als Physiotherapeuten zum Beispiel. Oder als Industriemechaniker." Denn das Ziel sei es, Menschen auszubilden, die zwischen den Welten vermitteln können.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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