Jobsuche:Kopf schlägt Bauch

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Eignungstests helfen bei der Bewerberauswahl. Doch nicht alle Verfahren genügen wissenschaftlichen Standards.

Von Christine Demmer

In amerikanischen Firmen ist die psychologisch fundierte Eignungsdiagnostik seit Jahrzehnten fest verankert. Jetzt dringt sie allmählich auch in deutsche Unternehmen vor. Doch bislang sind es fast ausschließlich Großkonzerne, die auf wissenschaftliche Testverfahren für die Bewerberauswahl setzen und die schriftliche Beantwortung mehrseitiger Fragebögen zum Bestandteil ihrer Auswahlverfahren machen. Im Mittelstand und bei kleinen Dienstleistern wie Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Handwerkern und Einzelhändlern begnügt man sich nach wie vor mit der Prüfung von Lebenslauf und Zeugnissen - und verlässt sich ansonsten auf seine Menschenkenntnis und das Bauchgefühl.

"Es ist gut, wenn man die persönliche Sympathie in die Entscheidung einbezieht", sagt Andreas Frintrup, Vorstandsvorsitzender der HR-Diagnostics AG in Stuttgart. Diese Aussage hätte man von einem Unternehmer, der Einstellungstests entwickeln lässt und vertreibt, nicht unbedingt erwartet. Doch wenn er erklärt, dass von hundert Testverfahren allenfalls zehn den wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen, macht Frintrups Zurückhaltung schon mehr Sinn.

Die meisten Persönlichkeitstests, die auf dem Markt kursieren, erfüllen nicht die Anforderungen an die nötige Validität, meint der Diplom-Ökonom. Mit den psychologisch fundierten und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmten Tests könne man die Prognose-Sicherheit tatsächlich erhöhen. "Dagegen führt das Gros der Persönlichkeitstest eher zu allgemeinen Aussagen, die selten etwas mit der konkreten Aufgabe des künftigen Stelleninhabers zu tun haben und daher keine Hinweise auf sein späteres Verhalten im Beruf geben."

Als schlechtes Beispiel nennt Frintrup Eignungstests, in denen der Bewerber den Satz "Ich mag große Frauen" beurteilen soll. "So etwas fällt eindeutig in den Privatbereich und hat in berufsbezogenen Persönlichkeitstests nichts zu suchen", sagt er. "Berufsbezogene Diagnostik erfordert auch berufsbezogene Tests - nicht nur im Interesse der Akzeptanz bei den Bewerbern, sondern auch, weil sich gezeigt hat, dass entsprechend formulierte Tests bessere Vorhersagen über die berufliche Leistung ermöglichen."

Was die Testentwickler mit der Frage nach den großen Frauen herauskitzeln wollen, seien allenfalls Anhaltspunkte für einen gewissen Reizhunger. Aus solchen Hintergrundvariablen könne man unter Umständen Anzeichen für eine unzureichende persönliche Integrität ableiten. Doch das sei erstens nur ein Indikator unter vielen möglichen, und zweitens sage es überhaupt nichts darüber aus, wie sich der Kandidat später am Arbeitsplatz bewähre. "Ziel ist es schließlich, das typische Verhalten einer Person bei der Arbeit und nicht in der Freizeit zu analysieren."

Wissenschaftlich betrachtet haben die Psychologen bei der Eignungsdiagnostik die Lufthoheit. Auf Initiative des Berufsverbands Deutscher Psychologen wurde 2002 sogar die eine DIN-Norm mit dem Titel "Anforderung an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen" verabschiedet. Darin sind Kriterien für die Testverfahren, Standards für die teilnehmenden Personen und die Interpretation der Ergebnisse festgeschrieben - "rechtsverbindlich aber nur für denjenigen, der sich darauf verpflichtet", sagt Frintrup.

Bei der Frage nach der Zulässigkeit von Tests reden die Juristen ein Wörtchen mit. "Grundsätzlich dürfen auch in diesen Tests nur solche Fragen gestellt werden, die sich innerhalb der Grenzen des Fragerechts des Arbeitgebers bewegen", sagt Fachanwältin Marion Teraske aus Brühl bei Köln. Die Juristin weiß natürlich, "dass Arbeitgeber gern den durchsichtigen, völlig hüllenlosen Bewerber vor sich sehen möchten". Doch das ist nicht gestattet. Wer sich in einem Test mit Fragen nach seinem Privat- oder Intimleben konfrontiert sieht, könne mit dem Hinweis auf deren Unzulässigkeit sofort abbrechen. "Dann aber", sagt Teraske, "muss er damit rechnen, aus dem Bewerbungsverfahren gekickt zu werden - auch wenn das später nicht in der Absage steht. Eine Klage dagegen hat keinen Sinn. Wer als Arbeitgeber auf dem Test besteht, will ihn nun mal haben."

Also die Zähne zusammenbeißen, einmal um die Ecke denken - was könnte sich hinter der Frage verbergen? - und an der unverfänglichsten Stelle sein Kreuzchen setzen? Gewiss wäre das der pragmatische Weg. Doch manch einer verweigert sich aus Prinzip. "Persönlichkeitstests werden heute bei rund 30 bis 40 Prozent aller Einstellungsverfahren in Deutschland eingesetzt", sagt Andreas Frintrup, "die Tendenz ist stark steigend." Für den Einsatz der Eignungsdiagnostik spricht aus Sicht der Unternehmen die Effizienz des Verfahrens, die Objektivierbarkeit der Resultate und damit die Vergleichbarkeit von Bewerbern sowie die versprochene hohe Prognose-Sicherheit hinsichtlich des beruflichen Erfolgs von Bewerbern. Dagegen steht die Gefahr, dass sich attraktive Kandidaten verweigern könnten, sowie die Kosten für die Nutzung der Tests.

Deren Entwicklung schlägt mit einigen Zehn- bis Hunderttausend Euro zu Buche. Vertrieben werden sie von den wenigen Test-Verlagen, die den Großteil der Lizenzgebühren für sich selbst beanspruchen. "Die Verlage haben sich verpflichtet, Tests nur an Diplom-Psychologen zu vertreiben", sagt Frintrup. "Das verteidigt zwar den Berufsstand der Psychologen, schadet aber gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen, die keine eigenen Psychologen beschäftigen. Ihnen bleibt so der Zugang zu seriösen Methoden versperrt."

Doch die Zeiten des kugelschreiberbewehrten Zu-Kreuze-Kriechens könnten bald vorüber sein. Mit Internet-basierten Testverfahren - effizient, kostengünstig, schnell und einfach - können Bewerber künftig auch zu Hause am Computer ihre Persönlichkeit zum Ausdruck bringen. Sie müssen allerdings versichern, den Test allein und ohne fremde Unterstützung durchgeführt zu haben.

"Das bedeutet, dass sie unter Umständen eine arglistige Täuschung begehen, wenn sie einen juristisch einwandfreien und zulässigen Test von einer psychologisch geschulten Person bearbeiten lassen", warnt Marion Teraske. Außerdem hätten die Psychologen dagegen durch raffinierte Kontrollfragen vorgebaut, so Frintrup. "Die große Schwester hilft also gar nichts."

Immerhin bleibt ein Trost: Wer schaut nach Jahren noch auf das Ergebnis des Einstellungstests, wenn der Mitarbeiter dann doch nicht hält, was er einst versprach?

© SZ vom 12.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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