Internationales Semester:Auszeit im Ausland

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Erasmus- und andere Austauschprogramme sind für die meisten Hochschüler normal. Nicht so für dual Studierende. Doch wer sich dafür entscheidet, profitiert davon.

Von Alexandra Straush

Das Wetter, das Essen, die Unterrichtssprache Englisch - das alles hätte für Fee-Lina Hartwigsen ein Kulturschock sein können. Doch sie fand während ihrer drei Monate an der Napier-Universität in Edinburgh vor allem den Stundenplan gewöhnungsbedürftig: Drei Kurse fanden am Montag statt und der Rest der Woche war frei zum Selbststudium - das war sie nicht gewohnt. Denn an der Dualen Hochschule Baden Württemberg (DHBW) in Stuttgart sah ihre Woche ganz anders aus: Neun bis 17 Uhr Seminar an fünf Tagen die Woche und alle drei Monate der Wechsel zum Telekommunikationstechnik-Dienstleister Nokia in München. Die Studentin im Bachelorstudiengang Dienstleistungsmanagement mit Schwerpunkt Consulting und Services hatte in Schottland auf einmal ganz viel Zeit: Um an der Uni Rugby zu spielen oder Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen.

Sie wollte mal wissen, wie sich richtiges Studentenleben anfühlt, sagt Fee-Lina Hartwigsen

Ein Auslandssemester wünschen sich viele Studierende. Aber es in den straffen Zeitplan eines dualen Studiums hineinzupressen, ist eine Herausforderung. Wer dual studiert, hat nach drei Jahren einen Bachelor in der Tasche und verbringt rund die Hälfte dieser Zeit im Unternehmen. Das geht nur mit guter Organisation. An der DHBW zum Beispiel läuft das Studium in einem Fach für alle gleich ab, pro Semester dieselben Kurse. "Ein bisschen wie in der Oberstufe", meint Fee-Lina Hartwigsen. Ist nun ein Auslandsaufenthalt geplant, dann muss sicher gestellt sein, dass auch an der Gastuni die entsprechenden Inhalte gelehrt werden, damit die Studierenden nicht den Anschluss verlieren. Die DHBW hat deshalb 250 Partnerhochschulen weltweit, mit denen die Inhalte abgesprochen sind. "Natürlich gibt es immer mal wieder einen Studenten, der außerhalb dieser Programme an eine bestimmte Universität gehen will", sagt Axel Gerloff, Leiter Internationalisierung und Auslandskoordination. "Aber diese Flexibilität gibt es dann eben nicht."

Für Fee-Lina Hartwigsen hieß das ganz konkret: Sie hatte zwei Möglichkeiten zur Auswahl, einmal ein Erasmusprogramm in Finnland, in dem die Plätze aber schon vergeben waren. Und eben Edinburgh. Die fremde Sprache war dabei für sie keine Herausforderung, weil sie bereits in einem internationalen Umfeld arbeitet: "Ein großer Teil meiner Kollegen bei Nokia spricht gar kein Deutsch", erzählt die 21-Jährige, die öfter mit Mitarbeitern in Belgien oder Australien zu tun hat. Ihre Motivation, im Studium ins Ausland zu gehen: "Ich wollte mal wissen, wie sich richtiges Studentenleben anfühlt." Mit 200 Kommilitonen in einem Hörsaal, wo der Professor ins Mikrofon spricht und Tutorien zur Aufarbeitung des Stoffs angeboten werden.

Das Problem am dualen Studium ist: Das Unternehmen muss solche Sonderwünsche abnicken. Denn die Studierenden haben einen Arbeitsvertrag und sind formal angestellt. Fee-Lina Hartwigsen zum Beispiel konnte bei Nokia für maximal 16 Wochen freigestellt werden. Gerade passend für das Trimester in Edinburgh. Auch weil sie die Klausuren und Essays in Schottland online schreiben und in der letzten Woche schon in Deutschland sein konnte, um ihren Umzug zu organisieren. Andere Kommilitonen, war ihre Beobachtung, hatten da mehr Luft. Wieder andere bekamen gar keine Freistellung ihres Arbeitgebers für ein Auslandssemester.

Der Vorteil am dualen Studium: Der Auslandsaufenthalt ist durch die Anstellung im Unternehmen finanziell abgesichert. Im Monat fließen zwischen 800 und 1200 Euro Ausbildungsvergütung. Ein weiterer Vorteil: Der Auslandsaufenthalt ist auch in den Praxisphasen des Studiums möglich. Das Chemieunternehmen Lanxess zum Beispiel hat rund zehn dual Studierende im Jahr, die Wirtschaftsinformatik, Betriebswirtschaft oder Wirtschaftsingenieurwesen studieren. Davon werden im Schnitt knapp die Hälfte für ein bis drei Monate projektbezogen ins Ausland entsandt. Ob das klappt, hängt vom jeweiligen Aufgabengebiet ab. Wer zum Beispiel im Bereich Logistikmanagement oder Marketing arbeitet, habe eine bessere Chance als dual Studierende im technischen Bereich, meint der zuständige Personaler Frank Jelitto. Voraussetzung sei natürlich auch die entsprechende Motivation des Studenten: "Nicht jeder möchte ins Ausland und niemand muss es. Eine Auslandsentsendung ist schließlich kostenintensiv." Denn das ist der Charme an diesem Modell: Dual Studierende bekommen in diesem Fall nicht nur weiterhin ihr Gehalt. Der Arbeitgeber trägt auch die Kosten für Flüge, Visa und Unterbringung und zahlt einen Verpflegungszuschuss. Fee-Lina Hartwigsen wird auf diesem Weg im Sommer für drei Monate nach Australien gehen, um am Nokia-Standort Melbourne zu arbeiten. Nach 90 Tagen im Job und zwei Wochen Urlaub geht es zurück an die Uni. "Das hätte ich mir alleine nie leisten können", sagt sie.

Schwierig wird es mit einem Auslandsaufenthalt, wenn die Rahmenbedingungen im dualen Studium zu eng sind. Dann muss ein Sonderweg her. An der Internationalen Hochschule (IUBH) in Berlin zum Beispiel wechseln Theorie- und Praxisphasen im Wochenrhythmus. Praktischerweise bietet die IUBH ihre dualen Studiengänge aber auch als Fernstudiengänge an. So sei es schon möglich gewesen, erzählt Prorektor Patrick Geus, dass ein Student für ein halbes Jahr in einem US-Konzern für Medizintechnik in Chicago gearbeitet hat, ohne im Studium ins Hintertreffen zu geraten.

Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit, das Auslandspraktikum aus der Studienstruktur herauszulösen. Philipp Glötter, der bei Liebherr-Aerospace in Lindenberg und an der Fachhochschule Kempten Maschinenbau studiert hat, ist diesen Weg gegangen, um seine Ziele zu verwirklichen. "Ich wollte unbedingt ins Ausland, weil meine Englischkenntnisse nicht gut genug waren. Das war im Lehrplan aber nicht vorgesehen." Nach Verhandlungen mit der für ihn zuständigen Personalreferentin konnte er dann im Jahr 2015 zwischen den Prüfungen an der Hochschule und seiner Abschlussarbeit für ein halbes Jahr in der Service- und Vertriebsgesellschaft von Liebherr-Aerospace im US-amerikanischen Saline, Michigan, arbeiten. Das verlängerte sein Studium zwar um ein Semester, hat sich aber voll ausgezahlt. Heute arbeitet er bei Liebherr als Projektleiter im Bereich Forschung und Entwicklung, hat viel internationalen Kundenkontakt und muss häufig Präsentationen auf Englisch halten. "Ohne mein Auslandspraxissemester könnte ich meinen heutigen Job nicht machen."

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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