Interkultureller Dialog:Exportgut Abitur

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An den 140 Deutschen Schulen im Ausland (DAS) wird nach hiesigen Qualitätsmaßstäben unterrichtet - man kann dort auch die allgemeine Hochschulreife erwerben. Zahlreiche Nationen lernen an den DAS gemeinsam.

Von Joachim Göres

Vorschule mit intensivem Deutsch-Training, kleine Lerngruppen von der ersten bis zur zwölften Klasse, Betreuung von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr, moderner Unterricht von deutschen Lehrkräften nach deutschen Qualitätsstandards - so wirbt die Deutsche Schule Bratislava um Schüler. Sie ist eine von 140 Deutschen Auslandsschulen (DAS) in aller Welt, an denen Deutsch die Hauptunterrichtssprache und das deutsche Abitur das Ziel der meisten Schüler ist. Träger der Schule in Bratislava ist ein Verein, an den die Eltern 571 Euro monatlich pro Kind zahlen. Eine Menge Geld bei einem durchschnittlichen Monatsverdienst von weniger als 900 Euro in der Slowakei. Dennoch sind 80 Prozent der 256 Schüler Slowaken, dazu kommen Kinder von Deutschen und Österreichern, die in der Slowakei arbeiten. "Wir haben nicht wenige slowakische Eltern, die sich das Schulgeld vom Munde absparen und auf ein Stipendium hoffen. Ihre Kinder sollen später mal im Ausland studieren, um gute berufliche Chancen zu haben, deswegen entscheiden sie sich für unsere Schule", sagt Claudia Voß. Sie leitet die Deutsche Schule in der slowakischen Hauptstadt, zu der auch ein Kindergarten gehört.

Für bis zu sechs Jahre dürfen deutsche Lehrer Dienst an einer Auslandsschule tun

Seit 2015 ist Englisch an slowakischen Schulen erste Fremdsprache, dadurch war die Zahl der Mädchen und Jungen gesunken, die sich für Deutsch entscheiden. Doch seitdem der Brexit beschlossene Sache ist, gewinnt Deutsch wieder an Bedeutung - nicht zuletzt, weil in der Slowakei viele der circa 500 deutschen Unternehmen nach Fachkräften mit entsprechenden Sprachkenntnissen suchen, darunter Volkswagen als größter privater Arbeitgeber in der Slowakei. "Inzwischen haben wir wegen der hohen Bewerberzahlen Aufnahmetests in der Schule eingeführt", sagt Voß und fügt hinzu: "Viele Einheimische sind anfangs zurückhaltend, denn an slowakischen Schulen ist Frontalunterricht üblich. Doch sie tauen meist schnell auf und freuen sich, wenn sie selbständig arbeiten und ihre eigene Meinung äußern dürfen."

Im Gegensatz zu Bratislava gibt es an der Deutschen Schule in Neu-Delhi kaum einheimische Kinder. "Der indische Staat will, dass sie nach einem indischen Curriculum unterrichtet werden", sagt Schulleiter Procolino Antacido. Dennoch bleiben hier Kinder von deutschen Diplomaten und Geschäftsleuten, die in Indien meistens bis zu drei Jahre eingesetzt werden, nicht unter sich. "Wir sind eine internationale Schule mit 100 Kindern aus 35 Ländern. Alle sprechen Deutsch, viele Fächer unterrichten wir bilingual", sagt Antacido. In den Klassen mit sechs bis zwölf Schülern legt er Wert auf individuelle Förderung: "Es gibt Aufgaben nach dem jeweiligen Leistungsstand, damit alle mitkommen. Alle Schüler bleiben bei uns." Und bei einem Schulgeld von 900 Euro im Monat sei Sitzenbleiben nur im Konsens mit den Eltern eine Option, fügt er hinzu.

Das Curriculum für die Schule "haben wir Lehrer selber entwickelt und von der Kultusministerkonferenz anerkennen lassen. Wir sind die einzige deutsche Schule mit einem Fach Indische Landeskunde", betont Antacido, der Deutsch und Geschichte unterrichtet. An der Ganztagsschule geht es auch um das Kennenlernen von Traditionen, unter anderem beim Fasching oder Sankt-Martins-Umzug oder der Nikolausfeier, beim Weihnachtsmarkt wie auch bei der Feier des indischen Lichterfestes Diwali.

Der interkulturelle Dialog spielt an Deutschen Auslandsschulen eine große Rolle. Häufig lernen dort Deutsche gemeinsam mit anderen Nationen. Insbesondere die Einheimischen hoffen auf bessere Berufschancen für ihre Kinder. (Foto: imago)

Die Deutsche Schule wirbt mit der "sicherheitsmäßig günstigen Lage im Botschaftsviertel". Die Schüler sollen allerdings mehr kennenlernen als diese eigene kleine Welt. Sie machen Praktika in sozialen Einrichtungen und erkunden die Millionenstadt - Jasmin und Alina aus der zehnten Klasse berichten von einem Ausflug zu einem Abwasserkanal, der ohne Reinigung in den Fluss Yamuna geleitet wird: "Der Geruch war kaum zu ertragen und der Anblick schockierend. Auf der Weiterfahrt wurde es auffallend still im Bus. Der Lerngang hat uns bewusst gemacht, dass dieses Wasser aus dem Fluss kein anderes ist als das, was später bei uns zu Hause aus den Wasserhähnen fließt, und dass alles, was auch wir an Abwasser produzieren, ungeklärt in den Fluss zurückfließt."

Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen hat insgesamt circa 2000 Lehrkräfte aus Deutschland ins Ausland vermittelt - neben den Deutschen Auslandsschulen sind sie auch in 25 Deutsch-Profilschulen und mehr als 1100 Schulen tätig, die das deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz anbieten. Rolf Bennung ist Leiter der deutschen Abteilung am Istanbul Lisesi, eine staatliche türkische Eliteschule, an der neben Deutsch auch Mathematik und die Naturwissenschaften in deutscher Sprache ab der neunten Klasse von 34 deutschen Lehrern unterrichtet werden. Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen betrachtet sie als Deutsche Auslandsschule, weil man dort das deutsche Abitur machen kann. Doch gibt es am Istanbul Lisesi keine deutschen Schüler. Aufgenommen werden nur Schüler, die bei einer Prüfung aller achten Klassen in der Türkei zu den 500 besten gehören. Bevor sie mit der neunten Klasse beginnen, lernen sie intensiv Deutsch - für alle eine komplett neue Sprache. Schulgeld wird am Istanbul Lisesi nicht genommen.

"Dieses Jahr machen bei uns 160 Schüler das deutsche Abitur, so viele gibt es an keiner anderen Schule außerhalb Deutschlands", sagt Bennung nicht ohne Stolz. Er betont die hohe Leistungsbereitschaft der Schüler. Sie haben mehr als 40 Unterrichtsstunden die Woche, einige leben weit weg von ihren Eltern in Istanbul in einem Internat. "Die größte Umstellung für sie ist, dass sie nicht mehr wie bisher die Klassenbesten sind. Zudem fällt einigen die deutsche Sprache schwer, und sie müssen eine gewisse Frustrationstoleranz aufbauen. Das machen sie gut", sagt Bennung.

"Ich interessiere mich fürs Ingenieurswesen. Viele große und wichtige Firmen kommen aus Deutschland, deswegen will ich dort auch studieren. Der Unterricht auf dieser Schule ist die richtige Vorbereitung dafür", sagt Ömer aus Klasse elf in fehlerfreiem Deutsch. Den Unterschied zu seiner alten Schule beschreibt er so: "An türkischen Schulen wird viel auswendig gelernt. Man bekommt häufig Aufgaben, bei denen man eine von fünf Möglichkeiten ankreuzen soll. Hier im Matheunterricht auf Deutsch muss man die genauen Rechenwege darlegen und sein Vorgehen begründen. Die eigene Meinung ist gefragt." Ömer hat vor nicht langer Zeit ein Jahr eine Schule in Lingen im Emsland besucht. Neu war dort für ihn das Fach Politik, dafür hat er Philosophie vermisst. "Deutsche Schüler haben weniger Unterricht, dadurch bleibt am Nachmittag mehr Zeit für Freizeitaktivitäten. An unserer Schule in Istanbul haben wir Schüler ein engeres Verhältnis untereinander, weil wir einfach mehr zusammen sind. Und auch die Beziehung zu Lehrern ist hier enger. Die laden die Klasse schon mal nach Hause ein", sagt Ömer.

Ob Bratislava, Neu-Delhi oder Istanbul - die meisten Deutschen Auslandsschulen suchen Lehrer, vor allem in Mathe und Naturwissenschaften. Julia Günter erinnert sich, wie sie vor sechs Jahren von den Schülern empfangen wurde: "Die am häufigsten an mich gestellte Frage an mich lautete: 'Frau Günter, was haben Sie Schlimmes angestellt, dass Sie zu uns nach Bratislava geschickt worden sind?'"

Maximal sechs Jahre kann sich ein Pädagoge von seiner Heimatschule für den Dienst an einer Deutschen Auslandsschule beurlauben lassen. Das Fazit zum Abschied aus Bratislava fällt bei der Deutschlehrerin Günter so aus: "Jetzt, nach sechs Jahren, bin ich mir ganz sicher, dass dies für mich keine Strafe war, wie es viele Schüler glaubten. Ganz im Gegenteil, es ist eine Belohnung."

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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