Home Office:Grenzenlos flexibel

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Ob in der Cafeteria, am Schreibtisch im Büro oder auf dem Sofa zu Hause - viele Aufgaben lassen sich überall und jederzeit erledigen. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Arbeiten, wo und wann man will: Mobile Arbeitszeitmodelle suggerieren Freiheit, können sich aber ins Gegenteil wenden.

Von Annika Graf/dpa

Freimachen, wenn die Sonne scheint. Die Arbeit später erledigen, wenn das Kind krank wird. Das Angebot flexibler Arbeitszeiten, das inzwischen manche Firmen ihren Mitarbeitern machen, klingt verlockend. Doch häufig fehlen die notwendigen Regeln. "Arbeit von zu Hause birgt immer auch das Risiko einer schleichenden Ausweitung von Arbeitszeit", warnt Roman Zitzelsberger, Landesbezirksleiter der IG Metall in Stuttgart. Doch in Zukunft werde es immer mehr flexible Arbeitszeitmodelle geben, meint er.

Studien zeigen, dass Möglichkeiten für Home-Office wichtiger werden. Nach der jüngsten Beschäftigtenbefragung der IG Metall aus dem Jahr 2013 würden etwa die Hälfte der Befragten in Verwaltung, Einkauf und Vertrieb, aber auch in Forschung und Entwicklung einen Teil ihrer regulären Arbeit gern von zu Hause aus erledigen. In produktionsnahen Bereichen sind es noch 39 Prozent und in der Produktion immerhin knapp ein Viertel. Beim Autohersteller Daimler antworteten in diesem Jahr 80 Prozent von gut 33 000 Beschäftigten, dass sie gern einen Anspruch auf mobiles Arbeiten hätten.

Doch die Umsetzung ist nicht einfach. "Die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, hängt von betrieblichen Gegebenheiten ab", sagt Roland Wolf, Abteilungsleiter für Arbeitsrecht bei der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin. In der Produktion beispielsweise sei die Einführung von flexiblen Arbeitsmodellen eher unwahrscheinlich.

Außerdem müssten Einschränkungen wie die gesetzliche Höchstarbeitszeit überdacht werden, sagt Wolf. Der BDA forderte im Frühjahr in einem Positionspapier, vor dem Hintergrund des digitalen Wandels den Acht-Stunden-Tag aus dem Arbeitsgesetz zu streichen. Auch sei fraglich, ob für Arbeit auf Abruf eine Vorankündigung von vier Tagen - wie im Gesetz bislang vorgesehen - immer notwendig sei. Wolf sieht vor allem Regelungsbedarf auf betrieblicher Ebene. "Ein Tarifvertrag kann einen Rahmen setzen, der allerdings viel Spielraum für betriebliche Lösungen lassen muss. Dafür sind Betriebsvereinbarungen vielfach das richtige Mittel."

Ähnlich sehen es Gewerkschaften. Bei der IG Metall ist man zwar strikt gegen eine Abschaffung des Acht-Stunden-Tages. Doch auch Zitzelsberger fordert, neue Arbeitszeitmodelle mit Gesetzen zu flankieren und tarifvertragliche Regelungen zu finden. "In der Betriebsvereinbarung ist das Thema gut aufgehoben", sagt er. Neben Regeln zur Erreichbarkeit müssten darin auch organisatorische Abläufe oder die Arbeitsplatzgestaltung zu Hause geklärt werden. Bei Daimler ist eine solche Betriebsvereinbarung in Arbeit. Nach der Befragung der Mitarbeiter sollen die Ergebnisse in Workshops des Betriebsrats umgesetzt werden und die Basis für eine Betriebsvereinbarung bilden.

Beim Technikkonzern Bosch hatte der Betriebsrat schon 2013 eine solche Vereinbarung ausgehandelt - auch zum Schutz der Mitarbeiter. So ist darin zum Beispiel festgehalten, dass, wer freiwillig nachts ohne Anordnung vom Vorgesetzten arbeitet, keinen Zuschlag bekommt. "Wir wollten keinen Anreiz setzen, wegen des Verdiensts nachts zu arbeiten", sagt Betriebsratschef Alfred Löckle. Der Wandel von der Präsenz- zur Ergebniskultur sei schwer. "Das ist nicht ganz trivial", sagt Löckle. Die Jagd nach Ergebnissen könne dazu führen, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter mit Aufgaben überhäuften, damit diese niemals zu Hause Däumchen drehen.

Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart unterstützt den Autobauer Daimler und andere Firmen dabei. Nicht nur der richtige Umgang mit der Technik, auch das Ausmaß der flexiblen Einsätze müsse eingeübt werden, sagt die Leiterin des zuständigen Kompetenzzentrums, Josephine Hofmann. Kultur und Führungssystem sieht auch sie als "große Baustelle". Vorbildverhalten, wie es bei Bosch propagiert wird, könne helfen, doch es brauche vor allem eines: Zeit.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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