Hochschulportrait:Lernen für die Ewigkeit

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Die Technische Hochschule Georg Agricola in Bochum bildete einst Leute für den Kohleabbau aus. Heute lernt man dort, wie man mit den Folgen des Bergbaus umgeht.

Von Holger Pauler

Ein 70 Meter hoher grüner Koloss aus Stahl dominiert die Skyline im Bochumer Norden. Vor 45 Jahren wurde der Förderturm der Schachtanlage Germania in Dortmund-Marten demontiert und knapp 20 Kilometer weiter westlich wieder aufgebaut. Er ist das Wahrzeichen des größten Bergbaumuseums der Welt. Und gerade im Jahr 2018 bekommt der Zweiklang Bergbau-Museum eine neue, für viele melancholische Bedeutung. Wenn im Dezember mit dem Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop die letzte Steinkohlezeche des Ruhrgebiets und damit auch Deutschlands schließt, geht eine Ära zu Ende, welche die Region zwischen Ruhr und Emscher mehr als 200 Jahre geprägt hat.

Doch Bergbau spielt weiterhin eine Rolle. Nur etwa 200 Meter Luftlinie vom Bergbaumuseum entfernt ist die Technische Hochschule Georg Agricola (THGA) beheimatet. Seit 1816 wird dort Fachpersonal für den Bergbau ausgebildet. Wer glaubt, mit dem Ende der Kohleförderung gebe es keinen Bedarf mehr, der täuscht sich: Knapp 2500 Studierende sind in den acht Bachelor- und sechs Masterstudiengängen eingeschrieben, so viele wie nie zuvor.

Schon vor dem Ende der Steinkohleära setzte die Schule neue Schwerpunkte

Aber die wenigsten Absolventen werden später in Jobs arbeiten, die direkt mit dem Abbau der Steinkohle zu tun haben. "Nicht erst das Ende der subventionierten Steinkohleförderung in Deutschland hat dafür gesorgt, dass wir unsere Schwerpunkte verlagern", sagt Professor Ulrich Paschedag, Vizepräsident für Hochschulentwicklung an der THGA.

Die Entwicklung hatte sich lange angekündigt. In den 1950er-Jahren lief die Produktion auf Hochtouren. Mehr als 500 000 Kumpel arbeiteten auf den knapp 200 Zechen. Doch der Absatz stockte. Zwischen 1957 und 1967 wurden fast 100 Bergwerke geschlossen, die Zahl der Beschäftigten sank von mehr als einer halben Million auf 213 000. Kurz darauf erweiterte die THGA ihr Portfolio um Elektrotechnik und Maschinenbau. "Anfang der 1970er-Jahre gab es in ganz Deutschland einen extremen Mangel an Ingenieuren", sagt Susanne-Christiane Buchbinder, Vizepräsidentin der THGA für Haushalt und Verwaltung. Das Land Nordrhein-Westfalen sei damals an die Hochschule mit der Bitte herangetreten, sich für andere Fachbereiche zu öffnen. Aus der "Ingenieurschule für Bergwesen" wurde die "Fachhochschule Bergbau", dann die THGA.

Die Hochschule ist zwar privat organisiert, wird seit 1971 aber staatlich refinanziert. Etwa 30 Prozent kommen aus privater Trägerschaft von der DMT (Deutsche Montan Technologie) - Gesellschaft für Lehre und Bildung mbH, 70 Prozent vom Land. "Dadurch unterliegen wir der staatlichen Rechtsaufsicht, das heißt: Wir können zum Beispiel keine Studiengebühren nehmen", sagt Buchbinder. Diese Mischform aus privat und staatlich sei in Deutschland einzigartig - mit all seinen Vor- und Nachteilen.

Wobei die Vorteile überwiegen. "Wir sind die Hochschule für Aufsteiger", sagt Ulrich Paschedag. 60 Prozent der Studierenden seien die ersten Akademiker in der Familie - nicht wenige Väter oder Großväter hätten unter Tage gearbeitet. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass das Studium auch berufsbegleitend absolviert werden kann. Mehr als die Hälfte entscheidet sich mittlerweile für dieses Modell, vor zwei Jahrzehnten waren es noch rund 20 Prozent.

Auch sonst kann die TGHA mit erstaunlichen Zahlen aufwarten. Sechs Prozent der Studierenden sind Flüchtlinge, 40 Prozent haben Vorfahren, die nicht in Deutschland geboren sind, was auch daran liegt, dass die überwiegende Mehrheit der Studierenden aus dem Ruhrgebiet oder dem Umland kommt. Natürlich wolle man sich auch für Interessenten öffnen, die aus anderen Regionen kommen, so Paschedag, aber das benötige Zeit.

Forschung und Lehre bieten jedenfalls genügend Anreize. Im Herbst 2015 wurde beispielsweise das "Forschungszentrum Nachbergbau" eröffnet. Es ist weltweit das bisher einzige seiner Art und hat sich zur Aufgabe gestellt, die sogenannten Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus zu bewältigen. Dazu zählt die kontrollierte Behandlung von Grubenwasser und Grubengas oder die Überwachung "nachbergbaulicher" Auswirkungen mit modernen Monitoringsystemen wie Satellitentechnik oder speziellen Tiefseesonden. Hinzu kommt die Nutzung ehemaliger Gelände und Halden im Rahmen der Energiewende: Windkraftanlagen, Solarparks, Biomasse oder das Heizen mit Grubengas sind nur einige Aspekte.

Bereits 2012 hatte die Hochschule gemeinsam mit der RAG-Stiftung, die als Nachlassverwalter des subventionierten Steinkohlebergbaus dient, eine Stiftungsprofessur für "Geoingenieurwesen und Nachbergbau" eingerichtet. Seit dem Sommersemester 2013 werden an der THGA Ingenieure für den Nachbergbau ausgebildet. Pro Jahr sind etwa 30 Studenten zugelassen. Schon jetzt sei die Nachfrage aus Wirtschaft, Behörden und Hochschulen höher als die Zahl der Absolventen. "Die Studenten müssen - wie bei vielen unserer Studiengänge - oft nur eine Bewerbung schreiben", sagt Ulrich Paschedag.

Mit dem Wintersemester 2017/18 ging zudem der deutschlandweit einzigartige Master-Studiengang "Mineral Resource and Process Engineering" an den Start. Der praxisnahe Studiengang rund um Ressourcengewinnung und -weiterverarbeitung kann in Vollzeit oder in einem berufsbegleitenden Teilzeit-Studium absolviert werden. Insgesamt haben sich zum Beginn 53 Studierende für den Studiengang eingeschrieben. "So einen Auftakt hatten wir noch nie", sagt Paschedag.

Neben ingenieurwissenschaftlichen Inhalten widmet sich das Studium auch dem Management. "Da der Bedarf national wie international riesig ist, findet der Unterricht an der THGA auf Englisch und Deutsch statt", sagt Paschedag. Die Studienrichtung "Mineral Resource Engineering" kann auch vollständig in englischer Sprache absolviert werden.

Und natürlich wird das Know-how auch weiter in den Bergbaugebieten auf der ganzen Welt geschätzt. In China, Afrika, Australien oder Kanada. Kürzlich war sogar eine Delegation der afghanischen Regierung in Bochum. Und was den Nachbergbau angeht: Nicht nur an der Ruhr hat man die Ewigkeitsaufgaben zu bewältigen. In Frankreich, im Aachener Kohlerevier oder in England gibt es ähnliche Probleme. "Das Ruhrgebiet hat auf diesem eine weltweite Vorbildfunktion. Wir werden alles dafür tun, dieser auch gerecht zu werden", sagt Paschedag.

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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