Hochschule für Gehörlose:Vorlesung in Gebärdensprache

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Auch ohne gesprochene Worte lässt sich mit dem Prof diskutieren: Taube wagen selten ein Studium, weil die Hürden im Alltag zu groß sind. Jetzt soll eine eigene Uni helfen.

Karin Prummer

Die Idee sei "steinalt", schreibt Patrick Hennings, aber der Mut zur Umsetzung kam erst vor gut einem Jahr. Hennings, 47, ist stellvertretender Vorsitzender der "Gesellschaft der Europäischen Gebärdensprach-Universität". Diese Hochschule gibt es noch nicht, bislang existiert weltweit nur eine Uni, an der taube Studenten in Gebärdensprache unterrichtet werden. Das soll sich ändern: Hennings, selbst fast taub, und der Verein, in dem sich Schwerhörige und Taube organisiert haben, wollen die erste europäische Gebärdensprach-Uni errichten. Ein E-Mail-Interview.

Eine Vorlesung in Gebärdensprache: Eine Hochschule für taube Studenten soll mehr Gehörlose an die Uni locken. (Foto: dpa)

SZ: Warum brauchen Taube und Schwerhörige eine eigene Universität?

Patrick Hennings: Es gibt bisher nur für "Gehörlosenkunde" die Möglichkeit, an normalen Unis Vorlesungen in Gebärdensprache zu besuchen - und das bislang auch nur in Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, Magdeburg, Zwickau und Aachen. Nur hier ist direkter Kontakt zwischen Studenten und Dozenten möglich.

SZ: Und wenn man etwas anderes studieren will?

Hennings: In allen anderen Fachbereichen braucht man einen Dolmetscher. Und es ist sehr schwierig für jeden Studenten, einen Dolmetscher zu finden. Wer soll denn das bezahlen? So ist keine Integration möglich. Die Probleme beginnen schon früher: Es ist für Taube kaum möglich, ein Vollabitur zu machen, weshalb wir zusätzlich zur Uni die Oberschule anbieten wollen. Hörgeschädigte sollen dann an unserer Uni endlich in allen Fakultäten studieren können, und das in ihrer Muttersprache

SZ: Wie groß ist das Potential?

Hennings: Der Bedarf ist enorm. In Deutschland beträgt der Anteil der Tauben an der Bevölkerung etwa ein Prozent. Derzeit gibt es etwa zwei Millionen immatrikulierte Studenten, dann bräuchten wir rund 2000 Studienplätze für Schwerhörige und Taube. Wir haben zur Zeit aber nur rund 100 taube Studenten, also ein krasses Missverhältnis!

SZ: Wie viele Studienplätze möchten Sie anbieten?

Hennings: Wir wollen natürlich erst einmal klein anfangen, also mit 300 bis 500 Plätzen. Mit dem Ziel, das schnellstmöglich auszubauen auf 2000 und alle Fächer, die es an anderen Unis auch gibt, wie zum Beispiel Geistes-, Wirtschafts-, Natur-, Rechts- und Kulturwissenschaften. Wir wollen nicht nur eine Gebärdensprach-Uni, sondern eine Europäische Uni. Ziel ist, dass die Abschlüsse europaweit anerkannt werden.

SZ: Ist es nicht problematisch, wenn Gehörlose aus den normalen Unis verschwinden und nur noch unter sich sind?

Hennings: Das wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen eine Inklusion und keine Verdrängung von "anderen", also hörenden Menschen. Zwar soll die erste Sprache die Gebärdensprache sein, aber es sollen auch hörende und hörgeschädigte Studenten und Dozenten zusammen arbeiten und studieren können. Es gibt ja Länder und Firmen, wo es üblich ist, dass verschiedene Sprachen gelebt und praktiziert werden. Mehrsprachige Kommunikation fördert die Intelligenz.

SZ: In den USA gibt es bereits eine solche Uni - Gallaudet. Ein Vorbild?

Hennings: Ja, die US-Amerikaner sind uns hier sehr weit voraus. Interessant ist, dass mehr Amerikaner die Gebärdensprache können als Deutsch sprechen. Für Europäer ist die Gebärdensprache sehr fremd, eine Uni kann dabei helfen, dass Vorurteile abgebaut werden.

SZ: Welche Vorurteile?

Hennings: Zum Beispiel können sich die meisten Europäer noch immer nicht vorstellen, dass die Gebärdensprache geeignet ist, auf mindestens gleichem Niveau kommunizieren zu können wie mit Lautsprache. Ich finde das seltsam, wenn man etwa bedenkt, wie viele Zeichen die chinesische Schriftsprache kennt. Beide Sprachen sind Bild-Sprachen. Natürlich wird es in Europa dauern, wir müssen sogar viel in der Gebärdensprache nachholen, den bisherigen Wortschatz erweitern. Eine Uni bedeutet für Hörgeschädigte auch ganz einfach mehr Berufschancen. Ein Drittel der Betroffenen in Deutschland sind arbeitslos.

SZ: Wie ging es Ihnen im Studium?

Hennings: Ich musste mehrfach wechseln, aufgrund der enormen Kommunikationsprobleme zu den Dozenten und Kommilitonen. Ich wollte zuerst Jura studieren, zu voll, zu große Säle. Dann wechselte ich zu BWL, das gleiche massive Problem. Dann wechselte ich zur Mineralogie, klein und fein, aber gefiel mir leider nicht. Ich hatte dann Glück auf der Fachhochschule des Bundes für Verwaltungswirtschaft, wo ich wunderbar klar kam. Kleine Gruppen, nette Kommilitonen, die sich Zeit für die Kommunikation mit mir nahmen. Ich wünsche sehr, dass der Rest der Gesellschaft die gleiche Einstellung findet.

© SZ vom 13.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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