Führungsspitzen:Sie haben Post!

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Vom Kommunikationsfortschritt zur Landplage: Führungskräfte vergeuden drei Jahre ihres Lebens mit dem Lesen und Löschen von E-Mails. Rette sich, wer kann vor der elektronischen Flut!

Dagmar Deckstein

Neulich durften wir teilhaben an einem bemerkenswerten digital-verbalen Duell. Das fand statt zwischen dem Mitarbeiter einer Firma und einem der zigtausend irgendwo draußen im Netz-Nirwana hausenden ungebetenen Gäste, die einen mit den unmöglichsten Botschaften und Anliegen heimsuchen. In diesem Falle ging es um eine Art Kasperltheater am Bodensee, das gerne überregional auf sich aufmerksam machen wollte und seine kleine Botschaft daher spam-artig über die gesamten Insassen eines Medienhauses auszukippen beliebte.

Darf der Chef private E-Mails seiner Angestellten lesen, wenn sie von der Dienstadresse verschickt wurden? (Foto: dpa)

Nur einer von Hunderten fand den Mut, seinem geballten Zorn in einer Antwort-Mail freien Lauf zu lassen und sich solcherart Überfälle ein für allemal zu verbitten: "Sie stören mich bei der Arbeit, lassen Sie mich mit Ihren Mails künftig in Ruhe!"

Das spricht Millionen Leidensgenossen zutiefst aus der gequälten Seele. Die E-Mail, das einst als Segen gepriesene Kommunikationsmedium des 21. Jahrhunderts - was ist daraus geworden? Der digitale Briefverkehr erleichtert das moderne Leben zwar durchaus, inzwischen hat es sich aber zum zeitraubenden Fluch weiterentwickelt. Findige Zeitgenossen haben auch schon ausgerechnet, wie zeitraubend: Mit dem Sichten und Löschen so unerbetener wie unglaublich unbrauchbarer digitaler Briefe vernichten geplagte Adressaten pro Bürotag im Durchschnitt 40 Minuten an wertvoller Arbeitszeit. Spam-Mails noch gar nicht mitgerechnet. Als ob man nichts Besseres zu tun hätte!

Fatalerweise löst ein Pling! im Mailkasten beim normal funktionierenden Menschen den Pawlow'schen Reflex aus, sofort nachsehen zu müssen, wer da schreibt. Könnte ja wichtig sein. Nach fünf Sekunden Unterbrechung braucht er im Schnitt jedes Mal 64 Sekunden, um sich wieder auf die davor bearbeitete Aufgabe zu konzentrieren.

Von hoch bezahlten Managern gar nicht zu reden. Nach einer Befragung des britischen Henley Management College vergeuden Führungskräfte im Laufe ihres Berufslebens rund drei wertvolle Jahre damit, elektronische Post zu sichten, Mails weiterzuleiten und nicht zuletzt Spam zu entfernen. Drei Jahre! In der Zeit hätte man das Auto neu erfinden können!

Apropos Auto: Das hat sich als Fortschrittsvehikel zur individuellen Mobilität auch längst zu Tode gesiegt, seit die Menschheit mehr Zeit auf vier Reifen im Stau verbringt, als diese spritzig durchdrehen zu lassen. So weit sind wir mit unseren chronisch überfüllten elektronischen Briefkästen inzwischen auch gekommen, das Instrument zur Verständigungserleichterung hat sich zum veritablen Müllproblem ausgewachsen - wie diese Nachrichtenflut eindämmen, die einen keinen Deut interessiert, geschweige denn zum Erkenntnisgewinn beiträgt?

Womit wir wieder bei den Managern wären. Hinter den meisten Nonsens-Mails steht irgendein wichtigtuerischer Vorgesetzter, der seine Leute anweist, die wichtige Botschaft à la "Wieder einen Waggon Schmierseife an die Front gebracht" möglichst flächendeckend zu streuen. Wohl wissend, dass er zur Strafe selbst drei Jahre seines Berufslebens mail-lesend nachsitzen muss. Auch eine von den vielen Paradoxien des modernen Lebens. Als Erste Hilfe gegen wiederkehrende Wichtigtuer empfiehlt sich: Auf "Aktionen" gehen, "Junk-E-Mail" aufrufen und "Absender zur Liste blockierter Absender hinzufügen", anklicken. Es wirkt. Seither ist es schon viel ruhiger geworden.

© SZ vom 01.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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