Berufsbild:Reihenhaus statt Luftschloss

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Nur wenige Architekten schaffen es, geniale Ideen zu verwirklichen - so wie die 2016 verstorbene Zaha Hadid vor ihrem Riverside Museum in Glasgow. (Foto: Jeff J Mitchell/Getty Images)

Pausenlos grandiose Gebäude entwerfen - so stellen sich viele Architektur-Anfänger ihre Zukunft vor. Doch zwischen Studium und Berufsalltag liegen Welten. Ein Traumjob im Realitätstest.

Von Maurice Wojach/dpa

Wenn Julius Krüger sein eigener Bauherr sein will, zieht er sich in den Schrebergarten zurück. Erst wollte er die morsche Laube abreißen, jetzt hat er einen neuen Fußboden verlegt und einen Ofen eingebaut. Durch die größeren Fenster fällt Licht hinein. "Das ist meine Spielwiese", sagt der Architekt, der nach seinem Diplomabschluss vor drei Jahren eine halbe Stelle an der Universität Hannover antrat und nebenbei in Architekturbüros arbeitet.

Die Zahl der Architekturstudenten steigt laut Hochschulstatistik seit einigen Jahren. Zuletzt waren 40 000 eingeschrieben. Julius Krüger wollte schon immer Architekt werden. Er weiß aber, dass er in der Baubranche nicht annähernd so kreativ sein kann wie in der Freizeit beim Umbau seiner Laube. "Architekt ist noch immer mein Traumberuf", sagt der 30-Jährige, "aber es lohnt sich, den Traum mit der Realität abzustimmen."

Professor Ulrich Königs, Präsidiumsmitglied der Deutschen Dekanekonferenz (DARL) gibt zu, dass die Praxis des Architekten stark vom Inhalt des Studiums abweicht. "Auf die eigentliche Bürorealität wird man in keinem Hochschulstudium vorbereitet", sagt er. Diese Lücke werde aber durch Praktika und die obligatorische zweijährige Berufspraxis nach dem Studium sinnvoll geschlossen, sagt er. Von der Praxiserfahrung hängt der Eintrag in die Architektenkammer ab, der dem Absolventen den Berufstitel verleiht und aus Absolventen eingetragene Architekten macht.

Trotzdem bietet der Sprung vom Seminarraum, in dem die Studenten mit teils nicht realisierbaren Entwürfen ihrer Fantasie freien Raum lassen dürfen, auf die Baustellen und in die Büros reichlich Potenzial für Bauchlandungen. "Im Studium soll man konzeptuell denken und sich von Zwängen freimachen, in der Praxis spielen diese Zwänge aber eine wichtige Rolle", sagt Krüger. "Die Wünsche des Bauherrn, der Kostendruck, die Handwerker."

Dem Diplom-Architekten, der heute selbst Grundlagenseminare an der Uni leitet, half es, schon in der zehnten Klasse als Praktikant in den Alltag eines Architektenbüros hineinzuschnuppern. Er rät allen Interessierten, spätestens nach dem Schulabschluss drei Monate oder länger ein solches Praktikum zu absolvieren, "um nicht zu blauäugig ins Studium zu gehen". Ist es dann so weit, empfiehlt es sich, nebenbei in vorlesungsfreien Zeiten zu arbeiten. Viele Studenten haben Teilzeitjobs, in denen sie die Branche kennenlernen.

Krüger war sieben Jahre an der Uni eingeschrieben, zwei davon studierte er nicht, sondern widmete sich ganz der Praxis. Er hat die Sanierung der Fassade des Bundesbank-Gebäudes mitgeplant und war für ein anderes Architektenbüro an einem Projekt in Italien beteiligt. Ziel war es, ein durch ein Erdbeben weitgehend zerstörtes Dorf wiederaufzubauen. Auf Italienisch koordinierte Krüger die Baustellen und bereitete den Umbau eines etwas weniger beschädigten Kindergartens zu einem Gemeindezentrum vor.

Die mögliche Enttäuschung nach dem Studium hängt auch mit dem Image des Architekten zusammen. Noch immer gilt er als kreativer Kopf mit Bleistift hinterm Ohr, der sich ständig auf neue Entwürfe stürzt. "Man sollte nicht denken, dass Entwürfe eins zu eins umgesetzt werden", betont dagegen Krüger. Teamarbeit beherrscht die Büros, die Umsetzung hängt vom Geld ab, aber auch von der Meinung aller anderen Beteiligten. Was zählt, sind unter anderem Energieeffizienz und ob ein Entwurf zweckmäßig ist.

Begehrt sind Architekten, die sich mit nachhaltigem Bauen und Denkmalpflege auskennen

Davon abgesehen arbeiten viele Absolventen später gar nicht in Architektenbüros, sondern zum Beispiel in der Verwaltung oder eben in der Hochschule. DARL-Präsidiumsmitglied Königs geht davon aus, dass weniger als zehn Prozent der Absolventen überhaupt Entwürfe erstellen.

Auch seine Architektenkollegin Barbara Ettinger-Brinckmann, die zugleich Präsidentin der Bundesarchitektenkammer ist, weiß, was wirklich im Fokus des Berufs steht. "Wir Architekten sitzen in unseren Büros ja nicht nur an schönen Entwürfen", sagt sie, "sondern sprechen mit Bauherren, verhandeln mit Behörden, schreiben Bauleistungen aus, kommunizieren mit ausführenden Firmen, sind auf den Baustellen unterwegs, machen Kostenkalkulationen, Preisvergleiche und Terminpläne."

Die Perspektive, nach dem Studium einen Job zu finden, ist in den vergangenen Jahren immer besser geworden - so wie sich auch der Bedarf an neuen Wohnungen erhöht hat. Besonders begehrt sind Fachleute, die sich mit nachhaltigem Bauen, Denkmalpflege, Baumanagement und der Immobilienwirtschaft auskennen. Die Nachfrage nach Architekten und Bauingenieuren liegt nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit auf dem höchsten Niveau der vergangenen Jahre.

Nicht immer steigen die Absolventen fest in eine Firma ein. Von den zuletzt 128 000 bei der Bundeskammer registrierten Architekten und Stadtplanern sind knapp die Hälfte Freiberufler. Die Arbeitslosenquote von Architekten liegt deutlich unter drei Prozent, die Einstiegsgehälter allerdings unter denen anderer Ingenieurberufe, wie etwa von Bauingenieuren und Maschinenbauern. Architekt sei für ihn "kein Beruf, um richtig Kohle zu machen", sagt Krüger. Trotzdem will er neben seinem Uni-Job bald wieder in einem Architektenbüro arbeiten. "Mich fasziniert immer noch der Prozess vom Material zum fertigen Gebäude", sagt er.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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