Babelsberger Filmgymnasium:Auf Dreh im Klassenzimmer

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Am Neuen Gymnasium Potsdam bringen Profis Jugendlichen die Kunst des Filmemachens bei. Dabei lernen sie viele verschiedene Berufsbilder kennen - vom Cutter bis hin zum Produzenten.

Von Stephanie Schmidt

Moment mal, mit dieser Klasse stimmt was nicht. Besucher sollen sich auf ein dunkelblaues Sofa setzen, und die Lehrerin will niemanden ausfragen. Stattdessen raunt sie mit verschwörerischer Stimme: "Ich habe hier für jeden eine Tüte Gandovia-Pulver, mit ihm könnt ihr jeden beliebigen Gegenstand herzaubern." Sie bittet die Schüler, langsam, einer nach dem anderen, zu ihr zu kommen und sich das Pulver zu holen. Doch natürlich sind sie ungeduldig und flitzen alle auf einmal zu ihrer "Zauberlehrerin".

Und Cut. Die ganze Szene von vorn. Denn es geht noch besser. Heike Ludwig, 60, ist keine Zauberin, sondern ausgebildete Schauspielerin und Regisseurin, und in den Papiertütchen, die sie verteilt, steckt Brausepulver. Die Pädagogin dreht gerade am Filmgymnasium Babelsberg mit den Schülern der Klasse 7 F erste Szenen des Films "Total vertrickst". Er ist fester Bestandteil des Lehrplans für die siebte Klasse, mit der in Brandenburg die gymnasiale Oberstufe beginnt. 500 Jugendliche werden im Filmgymnasium auf dem Mediencampus Babelsberg in Potsdam unterrichtet. Es ist das einzige Gymnasium Deutschlands, in dem die Schüler konsequent von der siebten bis zur zwölften Klasse die Kunst des Filmemachens erlernen und das für verschiedene Berufe der Film- und Medienbranche notwendige Fachwissen erwerben können. Das Curriculum für die achte Klasse etwa sieht vor, dass die Jugendlichen eine Kochsendung produzieren. "Sechs Stunden pro Woche haben die Jugendlichen Filmunterricht", sagt Schulleiter Michael Rißleben, 46. Von der Sekundarstufe II an werde Film als reguläres Fach unterrichtet - in Form eines Seminarkurses, dessen Note in das Abitur einfließt. "Unser Ziel ist, dass die Schüler am Ende jedes Schuljahres einen Film gemacht haben." Natürlich gebe es trotzdem Klassenarbeiten und Prüfungen, betont der Pädagoge. Wichtig ist ihm, dass die Schüler anderen zeigen können, womit sie sich in der Ausbildung beschäftigt haben: Am Ende des Schuljahres werden Eltern und Freunde der Schüler und des Gymnasiums ins Kino des Mediencampus eingeladen, um sich diese Filme anzuschauen. Bei dieser Gelegenheit lernen die Schüler auch, zu präsentieren und zu moderieren.

Wer einen Film drehen will, braucht Geduld, das lernen die jungen Filmschaffenden bald. Beim Zauberspruch auf Italienisch verhaspeln sich die Schüler der 7 F immer wieder - "Lascia che ti trasformi in ogetto". Also alles noch mal. "Ruhe bitte, wir drehen", sagt Jonas Heinrich mit klarer Stimme. "Ton, Kamera eins, Kamera zwei." Der Zwölfjährige hat sich "bewusst dafür entschieden", bei diesem Projekt in die Rolle des Aufnahmeleiters zu schlüpfen. Warum? "Ich mag es, Leute zu koordinieren. Außerdem ist es cool, einer von den Oberen zu sein, aber nicht der Oberste." Während seiner Zeit am Filmgymnasium wird er noch genügend Gelegenheiten haben, in andere Rollen zu schlüpfen, zum Beispiel in die des Kameramanns oder Cutters - zwölf Schnittplätze stehen an der Schule zur Verfügung -, des Drehbuchschreibers oder Produzenten. Insbesondere in der siebten Klasse schnuppert man in jedes Gewerk rein, dazu gehören auch das Schreiben von Exposés und von Storyboards, also von gezeichneten Bildern, und die Maske - das Schminken der Darsteller.

Eine Schülerin der 7 F hat das Richtmikrofon "an der Angel", zwei stehen an der Kamera. "An der Angel", das seitypischer Filmjargon, erklärt Uwe Fleischer, 69. Er ist seit neun Jahren als Filmkoordinator am Gymnasium im Einsatz und betreut die Projekte der Schüler. Damit werde die Tonangel beschrieben, ein Stab, der mehrere Meter lang sein kann und an dessen Spitze das Mikro befestigt wird. Fleischer ist diplomierter Kameramann und war zu DDR-Zeiten Chef der Trickfilmabteilung der Deutschen Film AG Defa. Gerade für den Film "Total vertrickst" sei der Green Screen wichtig, sagt Fleischer und zeigt auf die beiden leuchtend grünen Wände im Klassenraum. Mithilfe des Green Screens könne man den Hintergrund im Film nach Belieben verändern. So lässt sich zum Beispiel die Illusion erzeugen, dass Hexen durch die Luft schweben.

Die Siebtklässler machen einen Film mit allerlei Zaubertricks. Das Drehbuch schreiben sie selbst

"Die Schüler der 7 F haben das Drehbuch selbst geschrieben, alle haben ihre Ideen eingebracht", berichtet "Zauberlehrerin" Ludwig. Aber was sollen die Kinder überhaupt zaubern? "Blumen, ein Modellauto, einen Knallkörper, eine Riesenpizza", verrät Ludwig. Dafür benötige sie den Chemielehrer, diesen wolle sie bitten, beim Zaubern zu helfen. Was hier ein wenig spielerisch und nach Freizeitvergnügen klingt, ist wesentlicher Bestandteil des Lernkonzepts - der Wissenstransfer von klassischen Schulfächern in das Fach Film und umgekehrt. Die Gymnasiasten schreiben im Deutschunterricht Drehbücher. Das fächerübergreifende Lernen ist nach Rißlebens Ansicht auch in didaktischer Hinsicht nützlich: "Wenn man Quellen aus dem Geschichtsunterricht, etwa zu Ludwig XIV., für einen Film nutzt, dann kann man neues Wissen aus dem Fach Geschichte besser im Kopf behalten." Ein weiteres Beispiel für diese Verzahnung bildet der Musikunterricht - "eine von zwei Musikstunden bei diesem Profil widmet sich der Filmmusik", sagt er.

Bei diesem Profil? "Die Hälfte unserer Klassen sind reine Filmklassen - ihre Schüler haben das Profil Film gewählt", erklärt Rißleben. Doch man kann sich auch für die Profile Tanz oder Theater entscheiden. Schüler, die das getan haben, studieren Theaterstücke oder Tanzchoreografien ein. Allerdings wird diese Spezialisierung derzeit nur bis zum Ende der neunten Klasse angeboten. Eine weitere Option ist das bilinguale Profil, das für die Fächer Erdkunde, Geschichte, Biologie und Kunst Unterricht in englischer Sprache vorsieht. Das gewählte Profil ist verbindlich, ein Wechsel wird nicht gern gesehen.

Circa 20 bis 24 Schüler besuchen in der Regel eine Klasse. Wenn sie auch ins Filmemachen reinschnuppern möchten, können Jugendliche aus Bilingual-, Tanz- und Theaterklassen einen Filmkurs als Wahlpflichtfach belegen. "Unser Schwerpunkt ist eindeutig Film", stellt der Schulleiter klar. Wer großen Wert auf Schauspielunterricht lege, möge sich besser anderweitig orientieren, denn er wird am Filmgymnasium Babelsberg nicht angeboten. Man merkt das, wenn man Filme der Jugendlichen ansieht: Wenn sie darin sprechen und agieren, wirkt das bisweilen unprofessionell, ganz im Gegensatz zu Schnitt, Bildqualität und Komposition der Szenen.

In Aufnahmegesprächen betont der Schulleiter, dass "man hier mehr Unterricht hat, als man offiziell haben müsste". Denn die Schüler engagieren sich auch in ihrer Freizeit für die teils aufwendigen Filmproduktionen. Warum möchtest du ans Filmgymnasium? Auf diese Frage möchte Rißleben eine überzeugende Antwort von Bewerbern hören. Die Eltern dürfen am Vorstellungsgespräch teilnehmen. Für sie ist es auch wichtig, zu wissen, dass sich die Schulgebühr ab dem Schuljahr 2018/2019 auf 190 Euro pro Monat beläuft. Hinzu kommen ein Individualbetrag, der vom Einkommen beider Sorgeberechtigten abhängt, und circa 60 Euro Büchergeld im Jahr. Pro Mahlzeit fallen drei Euro an.

Ziel ist, Medienkompetenz zu erwerben. Denn diese braucht man in vielen Branchen

Der Schulleiter selbst unterrichtet Biologie und Sport. Als er vor 14 Jahren an das Neue Gymnasium Potsdam kam, wie es offiziell heißt, hatte er noch keine Verbindungen zur Filmwelt. Das hat sich wie von selbst geändert, schon allein durch die Veranstaltungen, die an der Schule stattfinden. Mal kommt der Regisseur Andreas Dresen zum Gespräch mit Schülern zu Besuch, mal der Schauspieler Jürgen Vogel, mal der Experte für Spezialeffekte, Gerd Nefzer. Manchmal finden Vorpremieren für Filme statt, und Produktionsfirmen stellen sich vor.

Seit 2011 ist das Gymnasium in einem funktionalen Gebäude an der Großbeerenstraße untergebracht, in unmittelbarer Nachbarschaft von Studio Babelsberg, wo sich etliche große und kleine Unternehmen und Studios für Film-, TV- und Werbeproduktionen befinden und wo circa 3000 Menschen arbeiten. Im Foyer der Schule steht eine Zeiss-Ikon-Bildtonmaschine EV II B, ein Originalfilmprojektor aus den Fünfzigerjahren. Sie zaubert einen Hauch nostalgisches Flair in die nüchterne Eingangshalle. Alexander Wunsch hat festgestellt, dass es nicht Bilder sind, denen seine besondere Vorliebe gilt: "Während der Ausbildung habe ich gemerkt, dass mich das Thema Sound besonders interessiert", sagt der 18-Jährige. Dieses Jahr macht er Abitur. "Danach möchte ich eine Ausbildung für Bild und Ton machen."

An seiner Schule hat Wunsch eine besondere Position inne, er ist Geschäftsführer der BFG Filmproductions. In der schuleigenen Produktionsfirma wirken 15 besonders begabte und engagierte Schüler mit; sie drehen Reportagen und Dokumentationen im Auftrag von Kooperationspartnern des Filmgymnasiums sowie Bonusbeiträge für DVDs. Solche Partner sind etwa das Deutsche Kulturforum Östliches Europa oder die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Von ihr erhielten die Schüler zum Beispiel eine Sondererlaubnis, um in Schloss Sanssouci zum Thema Friedrich der Große drehen zu dürfen.

Wer nun glaubt, dass alle Absolventen des Gymnasiums in der Filmbranche landen, täuscht sich. Nur ein Bruchteil arbeite langfristig in der Medienbranche. Es sei keine Seltenheit, dass jemand nach dem Abitur in Babelsberg Jura studiere, sagt Rißleben. "Unsere Schüler sollen am Ende der Ausbildung Filme machen können. Aber uns ist es nicht wichtig, dass sie Filmemacher werden. Uns Lehrern ist es ein Anliegen, dass sie über Medienkompetenz verfügen", erläutert Rißleben. "Und die kann man in allen Berufen brauchen."

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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