Flüchtlinge:Bei Krankheit Abschiebung

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Allein 30 000 Kinder leben Schätzungen zufolge in Deutschland - ohne registriert zu sein. (Foto: dpa)

Hunderttausende Migranten leben ohne Papiere in Deutschland. Werden Sie krank, trauen sie sich kaum zum Arzt - und gehen dabei ein hohes gesundheitliches Risiko ein.

Von Ruth Eisenreich, Berlin

Da war zum Beispiel der 13-Jährige, der einfach verschwand. Tagelang hatte er Bauchschmerzen und Fieber, die Familie versuchte es mit Wärmflasche und Schmerztabletten, dann endlich brachte der Vater ihn ins Krankenhaus, erzählt der Kinderarzt Alex Rosen. Diagnose: Schwere Blinddarmentzündung. Der Junge wurde notoperiert. "Nach der Operation kann einiges schiefgehen", sagt Rosen, "deshalb liegt man noch ein paar Tage im Krankenhaus und bekommt Antibiotika." Aber einen Tag später war der Junge weg. "Er hatte wohl Angst, dass am nächsten Tag die Polizei mit Stempelkissen für die Fingerabdrücke vor der Tür steht", sagt Rosen. "In anderen Krankenhäusern kommt das vor."

Dann hätte der ganzen Familie die Abschiebung gedroht. Denn der Junge war ein undokumentierter Migrant. So nennt man Menschen, die ohne Wissen der Behörden in Deutschland leben - weil sie heimlich eingereist sind, weil sie bleiben, wenn ihr Visum abläuft oder weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Hunderttausende Menschen ohne Papiere leben Schätzungen zufolge in Deutschland, darunter bis zu 30 000 Kinder, manche sind hier geboren.

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Die UN-Kinderrechtskonvention gibt jedem Kind, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, das Recht auf medizinische Behandlung. "Aber in Deutschland funktioniert das in der Praxis nicht", sagt Wiebke Bornschlegl vom Institut für Ethik in der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg. Bornschlegl hat eine Studie zur medizinischen Versorgung von Kindern ohne Papiere geschrieben, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Unter anderem hat sie Ehrenamtliche befragt, die kostenlose, anonyme medizinische Beratung anbieten. Sie fand heraus: Undokumentierte Migranten trauen sich mit ihren Kindern aus Angst vor den Behörden oft so lang nicht zum Arzt, bis es fast zu spät ist. Und wenn sie dann kommen? Im besten Fall behandelt ein Arzt die Kinder gratis, oder private Spender zahlen. Im schlimmsten Fall kommen Mitarbeiter der Ausländerbehörden.

Das Problem, sagt Bornschlegl, sei Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes. Der beinhalte eine "in Europa einzigartige" Meldepflicht: Öffentliche Stellen müssen der Ausländerbehörde melden, wenn sie mit Menschen ohne Papiere zu tun haben. Für Ärzte gelte das zwar - ebenso wie für Schulen - nicht. Für die Sozialämter, die in solchen Fällen für die Finanzierung zuständig seien, aber in den meisten Fällen schon. Hilfsorganisationen fordern daher von der Regierung eine Abschaffung der Meldepflicht nach Paragraf 87 oder die Einführung eines anonymen Krankenscheins.

Was aus dem 13-Jährigen mit der Blinddarmentzündung geworden ist, weiß der Arzt Rosen nicht. Das Risiko, dass sich die Wunde entzünde, sei hoch, sagt er. Unbehandelt könne das zu einer Blutvergiftung und zum Tod führen.

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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