Medizin:Tausende Menschen werden jedes Jahr falsch behandelt

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Wann ist eine Operation sinnvoll - und wann nicht? Die Antwort ist nicht immer eindeutig. (Foto: dpa)
  • Mehr als 1700 Menschen wurden im vergangenen Jahr von Ärzten so falsch behandelt, dass sie einen gesundheitlichen Schaden davon trugen.
  • Die meisten Patienten klagten über Beschwerden an Hüft- oder Kniegelenk oder an Armen, Schultern, Oberschenkeln und Bandscheibe.
  • Die Zahl spiegelt allerdings nicht alle Patienten wider, die in Deutschland ärztliche Fehler anzeigen.

Von Kristiana Ludwig

Mehr als 1700 Menschen wurden im vergangenen Jahr von Ärzten so falsch behandelt, dass sie einen gesundheitlichen Schaden davontrugen. So lautet das Ergebnis einer neuen Behandlungsfehler-Statistik der Bundesärztekammer. Die Zahl bezieht sich auf jene Fälle, die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen der Ärztekammern überprüft haben. Damit wiesen diese bei einem Viertel aller Patienten nach, dass Ärzte ihnen durch eine falsche Behandlung erst Probleme verschafft haben - oder zumindest, dass die Mediziner versäumt hatten, sie ausreichend über die Risiken eines Eingriffs aufzuklären.

Die meisten Patienten klagten über Beschwerden an Hüft- oder Kniegelenk oder an Armen, Schultern, Oberschenkeln und Bandscheibe. Sowohl in Krankenhäusern als auch in Arztpraxen waren es meist die Unfallchirurgen und Orthopäden, die sich mit ihren Patienten vor einer Schiedsstelle trafen. Der Grund dafür, sagte die Geschäftsführerin der norddeutschen Schlichtung, Kerstin Kols, sei allerdings nicht, dass in anderen Bereichen weniger Fehler passierten. Probleme an Armen und Beinen spürten die Patienten nur besonders direkt. Wenn ein Arzt ein falsches Medikament verschreibe und sich ein Kranker deshalb nicht erholt, falle dies nicht unbedingt auf. Dementsprechend hoch sei die Dunkelziffer von Fehlbehandlungen.

Für Patienten sei es schwierig , Fehlbehandlungen nachzuweisen

Die Zahlen der Bundesärztekammer spiegeln nicht einmal alle Patienten wider, die in Deutschland ärztliche Fehler anzeigen. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen überprüft Fälle, in denen sich Menschen falsch behandelt fühlen. Im Jahr 2016 wies er bei knapp 3000 Menschen einen Zusammenhang zwischen körperlichem Schaden und Kunstfehler nach. Außerdem beschäftigen sich Gerichte mit solchen Fällen; Kliniken und Patienten handeln zudem auf direktem Weg Entschädigungen aus.

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Die offizielle Fehlerquote der Ärzte sei auch deshalb so niedrig, weil es für Patienten sehr schwierig sei, Fehlbehandlungen nachzuweisen, sagt die Gesundheitsexpertin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Ilona Köster-Steinebach. Gerichtsverfahren seien teuer, langwierig und führten selten zum Erfolg. Denn der Patient muss selbst beweisen, dass sein Arzt falsch entschieden hat. Bloß wenn ein Gutachter einen "groben Behandlungsfehler" feststellt - OP-Instrument im Bauchraum vergessen, 100 statt 10 Milligramm eines Medikaments verabreicht - dreht sich rechtlich die Beweislast um. Erst dann muss der Arzt belegen, dass er richtig gehandelt hat. Wegen diesen hohen gesetzlichen Hürden versuchten viele Patienten erst gar nicht, eine Entschädigung zu erstreiten.

Der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, Martin Danner, sagt, viele folgenschwere Fehler entstünden auch nicht unbedingt, weil ein Arzt falsch operiert, sondern weil in seiner Klinik Personal fehle, um Patienten anschließend richtig zu versorgen. Solche Probleme könnten auch die Schiedsstellen der Ärztekammern nicht aufdecken. Sie prüften schließlich nur die Akten. Erst bei einem Gerichtsprozess würden Zeugen aus dem Krankenhaus befragt.

Auch die Ärztekammern sehen eine Hauptfehlerquelle in den schlechten Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern. Die sogenannten Fallpauschalen, durch die Kliniken Operationen wie Produkte abrechnen, förderten den Leistungsdruck auf Mediziner, sagt der Vorsitzende der Ständigen Konferenz der ärztlichen Schlichtungsstellen, Andreas Crusius. Nicht selten seien Eingriffe vermeidbar und würden nur angeraten, um die Klinikbilanz aufzubessern. Patienten würden eine solche Fehlbehandlung gar nicht erst bemerken. Schließlich weiß ein Laie nicht, dass ihm statt eines künstlichen Hüftgelenks auch sechs Wochen Physiotherapie helfen könnten. Nach der OP fühlten sich viele Menschen zwar besser, doch die Nachwirkungen könnten erheblich sein, sagt Crusius.

In Berlin beraten zurzeit Ärzte, Vertreter von Kliniken und Krankenkassen darüber, wie sich diese Überbehandlungen vermeiden ließen. Ziel ist ein Patientenrecht auf eine zweite ärztliche Meinung. Doch bislang konnten sie sich auf gerade einmal zwei Eingriffe einigen: die Entfernung der Mandeln und die der Gebärmutter.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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