Medienkonsum:Online in die Schlaflosigkeit

KIDS Verbraucherstudie

Elektronische Medien bis tief in die Nacht: Für viele Kinder und Jugendliche ist das ganz normal.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Wie paradiesisch war die Zeit, als Eltern ihren Kindern lediglich die Glotze ausschalten mussten. Heute ist die Überwachung des Medienkonsums eine komplizierte Angelegenheit - mit weitreichenden Folgen für die Nachtruhe der Kinder.

Von Berit Uhlmann

Die netten Ratschläge werden noch immer weitergereicht: Der Fernsehapparat möge bitte fernab vom Bett aufgestellt werden und das Kind nicht länger als ein bis zwei Stunden täglich davor sitzen. Passend dazu beziffert die deutsche Durchschnittsfamilie den täglichen TV-Konsum ihrer Kinder mit etwa 90 Minuten. Lebten wir noch im 20. Jahrhundert, könnten wir uns auf die Schulter klopfen und beruhigt vor der Glotze versammeln. Heute allerdings ist die Buchhaltung der Bildschirmzeit eine kompliziertere Angelegenheit.

"Ich bin am Nintendo und am Laptop. Mit dem Nintendo bin ich bei MSN, mit dem Laptop auf Facebook, und der Fernseher ist an", erzählte eine Zehnjährige britischen Forschern. Das Kind gehört zur Mehrzahl der Befragten, die permanent fünf verschiedene elektronische Medien zur Verfügung haben. Mindestens zwei von ihnen sind regelmäßig in Benutzung - und zwar gleichzeitig. Und noch etwas verändert sich gerade drastisch. Smartphones und andere Kleingeräte schaffen es mittlerweile mit ins Bett.

Während sich Eltern über die Ruhe im Kinderzimmer freuen, begeben sich die Teenies in ein Schlaraffenland der Unterhaltung: Wie auch immer geartete Videos, Endlosspiele, Neuigkeiten aus dem Freundeskreis - alles lockt bis tief in die Nacht. Fast 90 Prozent der Jugendlichen beschäftigen sich in der letzten Stunde ihres Tages mit dem Handy, ergab eine Analyse aus Norwegen.

Die skandinavischen Forscher hatten den Medienkonsum von fast 10 000 Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren ausgewertet. Das Ergebnis: Je länger und mit je mehr elektronischen Geräten gleichzeitig die Kids zugange waren, desto wahrscheinlicher verkürzte sich ihre Nachtruhe. Ursache war wohl nicht allein die Unfähigkeit, das Gerät beiseitezulegen, sondern auch, dass die Dauernutzung mit Einschlafschwierigkeiten einherging. Teenager, die mehr als vier Stunden täglich am Bildschirm verbrachten, hatten ein 50 Prozent höheres Risiko, sich am Abend länger als eine Stunde schlaflos im Bett zu wälzen. Die gleiche Entwicklung drohte denjenigen, die noch unmittelbar vor der Schlafenszeit PC oder Smartphone nutzen.

Auch US-Forscher bestätigten dieses Phänomen. Schüler mit einem Smartphone auf dem Nachttisch schliefen an Schultagen durchschnittlich 20 Minuten weniger als Kinder ohne diese Ausstattung. Unabhängig von der Schlafdauer klagten die jungen Smartphone-Besitzer auch häufiger über das Gefühl, sich in der Nacht nicht gut erholt zu haben. Das spricht dafür, dass das Telefon nicht nur das Einschlafen erschwert, sondern den mühsam gefundenen Schlaf auch unterbricht, folgern die Forscher. Sie verweisen unter anderem auf eine Befragung, wonach 18 Prozent der Jugendlichen in den USA mehrmals pro Woche nachts durch ihr Handy geweckt werden. Plausibel ist diese Erklärung allemal. Die Internet-Handys verführen nicht nur zu nächtlicher Kommunikation, sondern melden sich noch in dunkelster Stunde selbst zu Wort: dass sie Strom brauchen oder nun genug davon haben, dass die Überraschung des Tages heruntergeladen oder virtueller Kohl geerntet werden solle.

Alle Technik raus aus dem Kinderzimmer?

Als weitere Erklärung für Schlafprobleme wird die emotionale Aufregung diskutiert, die Kinder erleben, wenn sie sich am Abend noch mit anstrengenden Spielen mühen oder ausgiebige Gespräche führen - mit all den Konflikten, die gerade in pubertären Gruppen häufig sind. Wahrscheinlich ist auch, dass das Licht der Displays den Biorhythmus stört und so zum späten Einschlafen führt.

Das klingt nun alles recht bedrohlich. Also raus mit der Technik aus dem Kinderzimmer, zurück zum Zwei-Stunden-Diktum der Ferseh-Ära? So einfach ist es wohl auch nicht. "Die Technik hat die Forschung überholt", sagt Sakari Lemola, Psychologe an der Universität Basel. So sind die bisherigen Erkenntnisse weder besonders umfangreich noch sicher. Die Angaben zum Schlaf beruhen auf Selbstauskünften, die nicht unbedingt realistisch sein müssen. Auch ist bei dem Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Schlafproblemen nicht in jedem Fall klar, was Ursache ist und was Wirkung. Denkbar ist schließlich auch, dass vor allem diejenigen Heranwachsenden nachts zum Handy greifen, die ohnehin Schwierigkeiten mit dem Einschlafen haben.

Jugendliche müssen aber auch lernen, mit ihrer Autonomie umzugehen

Auch Lemola hat in einer Studie eine Korrelation zwischen abendlicher Smartphone-Nutzung und Schlafproblemen festgestellt. Er rät, in der Stunde vor dem Schlafen kein elektronisches Gerät mehr zu nutzen. Ansonsten sei ein individueller Blick auf die Kinder sinnvoller als pauschale Verbote. "Wie stark ein Kind durch die Mediennutzung beeinflusst wird, ist individuell sehr unterschiedlich", sagt der Forscher: "Es gibt Kinder die auf Licht zur Schlafenszeit sehr sensibel reagieren, anderen macht die Beleuchtung kaum etwas aus. Manche Jugendliche können gut abschalten, auch wenn sie vor dem Einschlafen noch auf Facebook waren oder Youtube-Videos schauten, anderen fällt dies schwerer."

Eltern sollten daher auf Warnhinweise achten: Einschlafprobleme, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, nachlassende Schulleistungen oder sogar depressive Verstimmungen könnten mit einer ungünstigen Mediennutzung zusammenhängen. Doch letztlich, so der Psychologe, sollten die Heranwachsenden auch die Chance haben zu lernen, mit der eigenen Autonomie umzugehen und ihr Verhalten selbst zu regulieren. "Dies ist eine Entwicklungsaufgabe, die zum Erwachsenwerden gehört."

Dabei könnte auch helfen, wenn die Eltern ihren eigenen Medienkonsum kontrollieren. Denn die Fixierung auf Bildschirme aller Art ist keine exklusive Angewohnheit der Jugend, wie britische Forscher zeigten. Mehr als 75 Prozent der Eltern überschritten auf ihren Fernsehsesseln die Zwei-Stunden-Empfehlung deutlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder es ihnen gleichtaten, lag achtmal höher als in Familien mit gemäßigtem TV-Konsum. Zwei Drittel der Eltern nutzten täglich zwei oder mehrere Geräte gleichzeitig. Dass ihre Kinder sich ebenfalls mehrere Bildschirme vor die Nase hielten, war 34-mal wahrscheinlicher als in der Vergleichsgruppe.

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