Tricks der Pharmaindustrie:Überdosis Vitamine

Zu viel des Guten: Vitaminpräparate sind ein gutes Geschäft für die Pharmaindustrie. Dabei nutzen sie in den meisten Fällen nichts - und steigern in den schlimmsten Fällen das Krebsrisiko. Zu viele Pillen können krank machen.

Nicolas Peerenbom und Dorina Rechter

Mehr Vitamine sind immer besser? Eher nicht, denn wer sich normal ernährt, nimmt schon genug Vitamine zu sich. Und zusätzliche Präparate sind nicht nur unnötig, sie können sogar gefährlich sein. Weder Apotheker noch Hersteller klären die Verbraucher darüber auf. Wie mit einem populären Irrtum Geld verdient wird. Eine Recherche in Kooperation mit dem NDR.

Stress, ungesunde Ernährung - und trotzdem gesund und fit sein. Das geht schon, wenn man zum Ausgleich ein paar Vitaminpillen schluckt. Mehr als 25 Millionen Deutsche denken so und kaufen sich regelmäßig Vitaminpräparate und Mineralzusatzstoffe. In den Apotheken sind die Regale voll mit solchen Packungen.

Die meisten Menschen glauben, dass die Vitaminpillen, die dort verkauft werden, besonders wirksam sind. Sie werden häufig täglich eingenommen: gegen das schlechte Gewissen und um sich einfach gut und gesund zu fühlen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Zu viel kann krank machen. Und das wissen die wenigsten.

Überdosis Vitamine: Die Risiken

Matthias Riedl, Ernährungsmediziner aus Hamburg, warnt: "Wir wissen bei Vitamin C, dass es den Muskelaufbau behindert, dass es Steinleiden fördern kann und bei älteren Frauen auch Herzinfarkt und Schlaganfall bei höheren Dosen fördern kann." Männer, die längere Zeit Multivitaminpräparate zu sich nehmen, hätten ein verdoppeltes Prostatakrebs-Risiko.

Der Glaube, dass man viele Vitamine brauche, egal ob erkältet oder nicht, sei eine veraltete Vorstellung, entstanden aber erst in den vergangenen Jahrzehnten: "Nach dem Motto: Viel hilft viel", sagt Riedl. Zwar seien Vitamine zum Leben notwendig. Aber: "Wenn sie aber im Übermaß künstlich zugeführt werden, dann hat das negative Wirkungen: Mehr Krankenhausaufenthalte, mehr Krankheiten."

Die folgende, nicht vollständige Übersicht zeigt, was Wissenschaftler über mögliche Risiken von Vitaminpräparaten und Mineralstoffen bisher herausgefunden haben.

[] Zu viel Eisen, Magnesium, Multivitamintabletten: Ältere Frauen sterben früher, wenn sie regelmäßig zusätzliches Eisen, Magnesium und Multivitamintabletten zu sich nehmen. Das zeigte eine Langzeitstudie mit zehntausenden Frauen, die 55 Jahre oder älter waren.

[] Zu viel Vitamin A: Auf Dauer zu viel Vitamin A kann Beschwerden wie Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen hervorrufen.

[] Zu viel Betacarotin (Provitamin A): Wer als Raucher regelmäßig zu viel Beta-Carotin zu sich nimmt, hat ein um 18 Prozent gestiegenes Lungenkrebsrisiko (ATBC-Studie in Finnland). Eine US-Studie über den Zusammenhang von Betacarotin und Lungenkrebs (CARET-Studie) musste vorzeitig beendet werden, weil die Testpersonen deutlich häufiger an Krebs erkrankten.

[] Zu viel Vitamin D in Verbindung mit Kalzium: Ältere Frauen, die zusätzlich hohe Dosen an Vitamin D in Verbindung mit Kalzium konsumieren, haben ein erhöhtes Risiko, Nierensteine zu bilden. Eine weitere Studie mit Frauen im Alter von über 70 Jahren zeigte, dass hohe Dosen mit Vitamin D wesentlich häufiger zu Knochenbrüchen führen als bei den Testpersonen, die Placebos erhielten.

[] Zu viel Vitamin E: Männer haben ein um 17 Prozent erhöhtes Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken, wenn sie regelmäßig zu viel Vitamin E zu sich nehmen.

[] Zu viel Folsäure: Das Bundesforschungsinstitut für Ernährung warnt davor, dass viele handelsübliche Multivitaminsäfte mehr Folsäure enthalten, als auf der Verpackung angegeben ist. Zwar ist Folsäure ein wichtiges Vitamin, das zum Beispiel in Spinat oder Salat enthalten ist. Doch zu viel Folsäure verschleiert ein mögliches Defizit an Vitamin B-12. Zu wenig Vitamin B-12 kann Nervenschäden verursachen. Außerdem steht zu viel Folsäure im Verdacht, Krebs zu fördern.

Apotheker empfehlen trotzdem teure Vitamine

Weder Apotheker noch Hersteller warnen vor diesen Gefahren künstlicher Vitamine. Das hat eine Stichprobe des Senders NDR ergeben. Die Reporter wollten wissen, was Apotheken zur Vorbeugung gegen eine Erkältung empfehlen und wie sinnvoll der Rat ist. Das Resultat war ernüchternd.

Pharmalügen NDR

Mit versteckter Kamera hat der NDR die Beratung in Apotheken getestet.

Alle aufgesuchten Apotheker empfahlen ein teures Vitaminpräparat. Auf mögliche Wechselwirkungen zwischen Vitaminpräparaten und Medikamenten wurde ebenfalls nicht eingegangen. Zum Beispiel wirken sich Multivitaminpräparate auf eine Chemotherapie aus. Das gern als leichtes Antidepressivum eingesetzte Johanniskraut beispielsweise schwächt die Wirkung von Herzmedikamenten.

Vitamine in der Nahrung reichen

Eigentlich ist es ganz einfach. Wer gesund ist und sich normal ernährt, benötigt keine Nahrungsergänzungsmittel in Pillenform, also auch keine Vitaminpräparate. Mediziner Riedl warnt, dass zu viele künstliche Vitamine regelmäßig eingenommen gesundheitsschädlich sein können.

Um zum Beispiel die empfohlene Tagesmenge an Vitamin C zu sich zu nehmen, reicht schon eine halbe Paprika aus. Grundsätzlich ist Deutschland bei der Versorgung mit Vitaminen kein Mangelland. Das sehen auch kritische Ernährungsexperten wie Armin Valet von der Hamburger Verbraucherzentrale so. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitaminpräparaten in der Regel für überflüssig.

Nur in besonderen Fällen, bei ernsten Erkrankungen oder einer Schwangerschaft, könnten zusätzliche Vitamine sinnvoll sein, schreibt das BfR. So soll etwa zusätzliche Folsäure in der frühen Schwangerschaft gut für den Embyro sein.

Grundsätzlich aber braucht der Durchschnittsverbraucher keine Multivitaminpräparate. Und der oft suggerierte große Vitaminmangel in der Bevölkerung ist eine Erfindung der Pharmaindustrie.

Hinweis: Die Sendung "Die Tricks der Pharmaindustrie" ist am Montag, den 23. April, um 21 Uhr im NDR-Fernsehen zu sehen - direkt im Anschluss an das Verbrauchermagazin "Markt".

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