SZ-Serie: Reden wir über Geld:"Querdenker werden ausgebremst"

Lesezeit: 5 min

Der Berater Winfried Neun erklärt, warum Konzerne Veränderungen scheuen und die Deutschen sich zu sehr vor der Krise fürchten.

Markus Zydra

Winfried Neun, 46, hilft seit über 15 Jahren Firmen bei Veränderungsprozessen. Der Geschäftsführer der KOM Managementberatung in Allensbach hat Betriebswirtschaft und Psychologie studiert.

Winfried Neun: Hilft Firmen, sich zu verändern (Foto: Foto: oH)

SZ: Herr Neun, reden wir über Geld. Die meisten Experten erwarten für 2009 eine schlimme Rezession. Der Pessimismus kam über Nacht. Wie stark ist er für den Einbruch der Wirtschaft verantwortlich?

Winfried Neun: Vielleicht 30 Prozent der Rezession sind unausweichlich, der Rest ist hausgemacht. Wenn der Arzt dem Patienten dauernd sagt, er sei todkrank - obwohl es noch nicht diagnostiziert ist -, dann fühlt man sich durch die ständige Wiederholung krank, und auch der Mutigste wird vorsichtig.

SZ: Woher kommt der Pessimismus?

Neun: Die Finanzwirtschaft hat versagt, weil sie das Positive nicht verkauft. Der Staat hat doch Bankengarantien gegeben. Die Institute hätten dann einen Rundbrief an Firmenkunden schicken müssen, in dem steht, dass sie die Unternehmen nun erst recht stützen.

SZ: Feigheit bei den Großen?

Neun: Wir haben in der breiten Gesellschaft ein Selbstbewusstsein, das sich in der Politik und den Großkonzernen nicht widerspiegelt. Jede Krise ist eine Chance, um sich im Konkurrenzkampf neu durchzusetzen. Die heutige Lage ist sehr gut, wenn man keine Angst hat.

SZ: Die Autobauer jammern trotzdem.

Neun: Stimmt, doch im Energie- und Medizinsektor, ja selbst in der Bauindustrie gibt es mittelständische Unternehmen, die gut dastehen. Das Hauptproblem liegt in der Versorgung mit Geld. Die Banken sind rigoros und verlangen von Mittelständlern Absicherungen, für die man früher das Vierfache an Kredit bekommen hätte. Die Banken bremsen uns aus. Das ist fast sträflich.

SZ: Der deutsche Mittelstand ist stärker als viele Großkonzerne?

Neun: Ja, weil diese Betriebe flexibler sind. Doch zu sagen haben sie nichts. Bei der Kanzlerin sitzen doch wieder die gleichen Leute am Tisch, von denen die Probleme erzeugt wurden. So bewahren sie ihr eigenes System des Gigantismus.

SZ: Haben wir die Grenzen des Wachstums erreicht?

Neun: Beim Thema Wachstum haben wir viel zu lange ausschließlich geographisch gedacht. Jeder ist nach China gegangen, um dort dasselbe herzustellen, was man vorher in Deutschland produziert hat. Nun merken viele, dass es in China ganz andere Probleme gibt. Wir müssen künftig in den Geschäftsmodellen wachsen - und nicht räumlich.

SZ: Haben Sie ein Beispiel?

Neun: Ich kenne einen Hydraulikhersteller, der bis vor drei Jahren noch ausschließlich die Automobilindustrie beliefert hat. Statt blind allen anderen nach China zu folgen, hat der Konzernchef überlegt, wie er sich von der Automobilindustrie unabhängiger macht. Jetzt beliefert er die Medizintechnikbranche. Mit seiner Hydraulik werden Krankenhausbetten hoch- und runtergefahren.

SZ: Weniger Wachstum bedeutet weniger Arbeitsplätze.

Neun: Nicht unbedingt, Evonik und Daimler entwickeln nun eine Batterie für den Elektromotor der Zukunft. Das schafft neue Arbeitsplätze, obwohl rechnerisch kein Wachstum für die Wirtschaft entsteht - noch nicht. Langsames Wachstum ist sicherer für alle.

SZ: Müssen Konzerne immer maximalen Gewinn einfahren?

Neun: Ein gutes Unternehmen strebt keine absolute Gewinnmaximierung an, sonst läuft man Gefahr, die Grenze zwischen Profitabilität und Machbarkeit zu überschreiten. Wer Leute rauswirft und den Maschinenpark nicht erneuert, um den Profit zu maximieren, verliert.

SZ: Börsennotierten Unternehmen wird Gier vorgeworfen, wie ist das bei inhabergeführten Konzernen?

Neun: In der Regel wird dort immer eine höhere Eigenkapital- und Investitionsquote das Ziel sein. Diese Eigentümer übernehmen langfristig Verantwortung und würden nie hohe Risiken eingehen, um kurzfristig den Gewinn zu steigern.

Auf der nächsten Seite: Warum Leute in den Karrierezentren ausgebremst werden

SZ: Bei Börsenkonzernen sind die Vorstände nur Angestellte - da geht man eher Risiken ein.

Neun: Ja, deshalb sollten die Manager von Dax-Konzernen Anteile an der Firma halten und mit ihrem persönlichen Vermögen haften. Ein Handwerker haftet mit seinem Privathaus, ein Dax-Manager nicht.

SZ: Wie ändert man das?

Neun: Wenn die Firma einen Verlust macht, müssen die Manager diesen Verlust mittragen. Dafür kann ihr Gehalt auch sehr hoch sein, aber sie müssen das Geschäftsrisiko spüren. Dann entscheiden sie vorsichtiger und lassen sich noch umfassender informieren.

SZ: Das klingt sehr idealistisch.

Neun: Mag sein, dabei reicht das noch nicht einmal. Auch der Imageverlust eines Managers müsste eine größere Rolle spielen. Es ist doch bemerkenswert, dass bestimmte Leute immer wieder eine Firma in den Sand setzen und trotzdem später auf vergleichbaren Positionen sitzen.

SZ: Was hat Leistung heutzutage noch mit dem Gehalt zu tun?

Neun: Relativ wenig, das war früher anders. Sobald die persönlichen Grundbedürfnisse gedeckt sind, lässt sich zusätzliche Leistung nicht über mehr Gehalt steuern. Das ist vielmehr eine Bestechung des Angestellten, um kurzfristig exorbitante Leistung einzukaufen. Dazu gibt es das Versprechen auf eine Abfindung, wenn es schiefgeht. Da kann nichts Gutes bei rauskommen. Geld steht in keiner Beziehung mehr zur Leistung.

SZ: Wie wird denn da bestochen?

Neun: Viele Firmen bezahlen Außenmitarbeitern gute Grundgehälter, dennoch müssen sie noch Boni einführen, damit der Job, für den das Grundgehalt bezahlt wird, richtig gemacht wird. Der Mitarbeiter bekommt das Grundgehalt also für seine pure Anwesenheit, so irre läuft das bei uns ab. Aber es mangelt eben an Hochqualifizierten, deshalb haben die eine gute Verhandlungsposition.

SZ: Nur wenige Hochqualifizierte haben die Finanzkrise erkannt. Sind Führungskräfte geistige Massenware?

Neun: Es passiert häufig, dass Leute in den Karrierezentren ausgebremst werden. Weil sie nicht konform sind, weil sie Querdenker sind, weil sie kreativ sind, weil sie anders sind als die anderen.

SZ: Die stören also?

Neun: Ja, in vielen Unternehmen wird sehr konservativ gedacht. Sie sind aufgrund ihrer Größe nicht mehr steuerbar. Deshalb brauchen sie feste Regeln, und das panzert die Leute gedanklich ein. Bei uns wird Stillstand belohnt. Bricht einer aus, ist er seinen Posten meist los.

SZ: Dennoch werden die Unternehmen immer größer.

Neun: Dieses Paradigma des Gigantismus wird sich mittelfristig ändern. Statt träger Tanker brauchen wir Schnellboote. Die Evolution zeigt, dass nur Flexible und Anpassungsfähige überleben. Erfolg ist immer eine Vergangenheitsgröße, am nächsten Tag beginnt es bei null. Wirtschaften ist wie die Evolution, und diese Dynamik braucht querdenkende Leute.

SZ: Aber Markentanker überleben doch immer.

Neun: Nein, nehmen Sie den Modelleisenbahnhersteller Märklin. Die hatten sich so in ihren eigenen Namen verliebt und immer gesagt, ihnen könne nichts passieren. Falsch. Ob Daimler, Nokia, Infineon, alle denken, dass sie geschützt sind dank ihrer Marke. Aber auch sie müssen jeden Tag aufs Neue ihre Strategie überdenken.

SZ: Aber wenn es gut läuft in der Firma, dann will ich nichts verändern.

Neun: Das ist das Problem. Wir reagieren nur unter Leidensdruck. Wenn ich immer fettes Schweinefleisch esse und viel Alkohol trinke, braucht es einen Herzinfarkt, bevor ich mich gesünder ernähre. Das hat die Evolution so eingerichtet.

SZ: Dann verlangen Sie ja Unmögliches von Ihren Kunden.

Neun: Nein, wir müssen den intellektuellen Austausch im Team stärken. In diesem Team darf man nicht machtgierig sein. In Großkonzernen wird häufig strategisch argumentiert, um die eigene Karriere anzuschieben. Wir müssen aber sachorientiert arbeiten. Es fehlt der angstfreie Dialog über Chancen und Risiken, die unsere Änderungsträgheit überwinden könnten.

SZ: In Ihrer Firma auch?

Neun: Nein, bei uns wird offen diskutiert, aber es ist sehr schwer. Man braucht da als Chef eine ausgeprägte Kritikfähigkeit, wenn man einräumen muss, dass andere bessere Ideen haben.

© SZ vom 16.01.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: