Steuerskandal:Die kleinen Steuersünder

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Die Deutschen empfinden das System als ungerecht und weltfremd - deshalb beschummeln viele das Finanzamt.

Alexander Hagelüken und Alexander Mühlauer

Klaus Zumwinkel ist das, was Fahnder einen dicken Fisch nennen. Bevor er als Post-Chef zurücktreten mußte, hat der 64-Jährige womöglich Millionen an Steuern hinterzogen - und hunderte andere Reiche offenbar auch. Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, wie sich die Deutschen gegenüber dem Finanzamt oder der Sozialversicherung verhalten. Wenn Reiche Millionen hinterziehen, obwohl sie schon Millionen haben, lässt sich das nicht mit den kleinen Fluchten manches Normalverdieners vor dem Gesetz vergleichen. Trotzdem: Zwischen den dicken Fischen tummeln sich viele kleine, die - für viel geringeren Gewinn - die Buchstaben des Gesetzes missachten.

Viele finden das deutsche Steuersystem ungerecht - und betrügen darum das Finanzamt. (Foto: Foto: dpa)

Steuergesetze erschweren Ehrlichkeit

Wer Abgaben an den Staat vermeidet, gehört einer Volksbewegung an. 60 Prozent der Bundesbürger halten es laut Umfragen für ein Kavaliersdelikt, bei der Steuererklärung ein wenig zu schummeln, wenn es nicht um Millionen Euro geht, sondern um ein paar hundert. Sie haben in vielen Fällen sogar das Gefühl, dass es ihnen das Gesetz schwer macht, völlig ehrlich zu bleiben.

Beispiel Putzfrau: Viele Reinigungskräfte bezahlen keine Lohnsteuer, und ihre Arbeitgeber führen keine Sozialabgaben ab, wozu sie auch bei einem Minijob bis 400 Euro Entgelt im Monat verpflichtet sind. Die Putzfrauen verlangen ihren Verdienst im Regelfall in bar. Wer darauf besteht, dass die Putzhilfe ihren Verdienst versteuert (was bei Gesamteinnahmen von mehr als 400 Euro verpflichtend ist), muss eine Absage befürchten. Argument: "Das lohnt sich für mich nicht."

Kosten-Nutzen-Kalkül

Der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Gary Becker hat sich mit zahlreichen praktischen Verhaltensweisen beschäftigt, auch mit Verstößen gegen das Gesetz. Er argumentiert, es gebe ein striktes Kosten-Nutzen-Kalkül. In Anlehnung an Becker haben der norwegische Ökonom Agnar Sandmo und sein britischer Kollege Michael Allingham eine Theorie der Steuerhinterziehung präsentiert. Das Ergebnis: Ein rationales Individuum hinterzieht umso mehr Steuern, je höher die zu erwartende Strafe ist. Das klingt paradox. Es erklärt sich daraus, dass eine umso höhere Strafe erwartet werden muss, je höher die hinterzogene Summe ist. Eine hohe potentielle Strafe zeigt also einen hohen potentiellen Nutzen an. Menschen schätzen nach dieser Theorie den möglichen Gewinn offenbar höher ein als das Risiko, tatsächlich erwischt zu werden (und so die hohe Strafe zu erhalten).

Wenn aus der Sicht des Steuerzahlers das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht stimmt, steigt der Anreiz, Steuern nicht zu zahlen. Unter Leistung verstehen die Ökonomen Lars Feld und Bruno Frey ganz allgemein eine gute und faire Politik. Wie hoch die Bereitschaft der Bevölkerung ist, Steuern zu hinterziehen, hängt vor allem vom Staat ab. Je besser die Politik und je zurückhaltender die Steuerbehörden, desto loyaler verhält sich der Bürger zum Fiskus. Es ist also nach dieser wissenschaftlichen Lesart der Staat, der Steuerhinterziehung provoziert. Je schlechter die Politik, desto schlechter die Steuermoral. Fühlen sich die Bürger fair behandelt, sind sie auch ehrlich, meinen die beiden Ökonomen.

Ungerechte Behandlung durch den Staat

In der gesellschaftlichen Realität haben offenbar viele Deutsche das Gefühl, dass sie vom Staat ungerecht behandelt werden. Weil das Gesetz ein Bild vom Alltag zeichnet, das aus ihrer Sicht weltfremd ist. Das Beispiel mit der Putzfrau ist nur eines von mehreren. Ähnlich schwierig ist es häufig für Bürger, eine Pflegekraft oder eine Kinderfrau völlig legal anzustellen. Wer früher per Haushaltsscheck eine Kinderfrau mit bestimmten Steuer- und Sozialabgabensätzen anstellen wollte, konnte sie nur eine bestimmte Stundenzahl beschäftigen. Oft suchen Kinderfrauen oder Pflegekräfte aber einen 40-Stunden-Job. Sie dann voll zu versichern und auf volle Steuerzahlung zu achten, kann für den privaten Arbeitgeber sehr teuer oder für die Fachkraft subjektiv finanziell unattraktiv sein. Bevor Familien gar keine Pflegekraft oder keine Kinderfrau bekommen, missachten sie häufig lieber die Buchstaben des Gesetzes.

Ähnlich in Versuchung geraten viele Bürger, wenn sie einen Handwerker brauchen. Da kommt schnell die Frage: Mit oder ohne Rechnung? Wer den Maler, Autolackierer oder Maurer bar auf die Hand entlohnt, spart sich die Mehrwertsteuer - immerhin 19 Prozent des Rechnungsbetrages. In diesen Fällen zählt allerdings das Argument nicht, das bei Putz- oder Kinderfrauen verwandt wird: Dass man legal niemanden bekommen würde.

In diesen Fällen geht es einfach darum, sich ein bisschen mehr Wohlstand zu gönnen, als man es sich unter den Bedingungen des Steuer- und Sozialabgabenstaates leisten könnte. Man müsste sonst eben die Renovierung des Hauses bescheidener ausfallen lassen oder auf etwas anderes verzichten.

Kosten für ein Bewerbungsgespräch, das es nie gegeben hat

Viele Deutschen haben das Gefühl, dass ihnen der Staat zu viel abverlangt. Deshalb reduzieren ihre Steuer, indem sie zum Beispiel den Weg zur Arbeit höher ansetzen, als er tatsächlich ist. Oder sie deklarieren Kosten für ein Bewerbungsgespräch, das es gar nicht gegeben hat. Oder sie geben einen privaten Restaurantbesuch als Geschäftsessen aus und Briefmarken auf einer Geburtstagsgrußkarte als solche auf einem Geschäftsbrief. Ob die Angaben in der Steuererklärung stimmen, können die Beamten in den Finanzämtern häufig schon aus Zeitgründen nicht kontrollieren. Ein Finanzbeamter im oberbayerischen Fürstenfeldbruck beispielsweise hat pro Fall etwa 16 Minuten Zeit zu prüfen, ob der Bürger ehrlich war oder nicht.

Das Gefühl, dass Selbständige oder die Reichen der Republik weniger Steuern zahlen als vorgeschrieben, bestärkt den Normalverdiener im Hinterziehen kleiner Beträge. Was die Steuermoral der Bürger betrifft, so wusste schon der Ökonom Adam Smith: "Eine Steuer, die auf Unverständnis stößt, ist eine große Versuchung zur Hinterziehung. Sie beeinträchtigt den Erwerbssinn der Bevölkerung." Nach 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland und zahllosen Steuerreformen haben viele Bürger offenbar das Gefühl, dass sie dem Staat weniger schuldig sind, als er von ihnen verlangt.

© SZ vom 18.02.2008/ang - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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