Schulden bei Krankenkassen:Regierung will Wucherzinsen für Versicherte abschaffen

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Ob aus Unwissenheit oder akutem Geldmangel - viele Menschen zahlen in Deutschland keine Versicherungsbeiträge und schulden den Krankenkassen Milliarden. Die gehen mit hohen Nachforderungen und Wucherzinsen gegen die Nichtzahler vor. Mit einem neuen Gesetz will die Regierung nun gegensteuern.

Von Guido Bohsem, Berlin

Der Anrufer wollte nicht verraten, von wo er anrief. "Aus dem nahen europäischen Ausland", lautete seine Umschreibung. Auch seinen Namen wolle er nicht in der Zeitung lesen, betonte er. Er sei nämlich auf der Flucht, auf der Flucht vor seiner Krankenkasse. Diese überziehe ihn mit hohen Beitrags-Nachforderungen und Wucherzinsen. Der Betrag werde immer schneller immer höher - und das, obwohl er schon lange nicht mehr versichert sei. Er wisse nicht mehr weiter.

Vielen Menschen in Deutschland geht es ähnlich. Sie haben aus Unwissenheit oder aus akutem Geldmangel ihre Zahlungen an die gesetzlichen Krankenversicherungen eingestellt und erhalten nun hohe Nachforderungen. Das Gesundheitsministerium beziffert die Außenstände auf insgesamt zwei Milliarden Euro. Zumeist handelt es sich bei den Schuldnern um freiwillig Versicherte, in der Regel also Selbständige. Zumeist gehen Kassen völlig zu Recht gegen die Nichtzahler vor - wie übrigens auch die Kasse des Anrufers. Seit Anfang 2009 gilt nämlich in Deutschland eine Pflicht zur Krankenversicherung, für den Bereich der gesetzlichen Versicherung gilt die Pflicht sogar schon 18 Monate länger. Und Teil dieser Pflicht ist es eben, seine Beiträge zu zahlen.

Wer das nicht tut, muss Wucherzinsen zahlen. Pro Monat fallen fünf Prozent Säumniszuschläge an, im Jahr also satte 60 Prozent. So steht es im Gesetz, und das kann teuer werden. Wer als gesetzlich versicherter Selbständiger drei Jahre keinen Beitrag gezahlt hat, schuldet seiner Kasse 18.800 Euro. Etwa 8.800 Euro davon sind Säumniszuschläge. Zahlt er ein weiteres Jahr nicht, steht er mit knapp 30.000 Euro in der Kreide - mehr als die Hälfte davon Zinsforderungen. Die schwarz-gelbe Koalition will das nun ändern. Am Mittwoch soll das Kabinett dazu einen entsprechenden Gesetzesentwurf des Gesundheitsministeriums beschließen.

Einführung eines Nichtzahlertarifs

Zentraler Inhalt des Vorhabens ist es, die Wucherzinsen abzuschaffen. Der monatliche Säumniszuschlag soll von fünf Prozent auf ein Prozent gesenkt werden. Der höhere Zuschlag habe das Problem der Beitragsrückstände nicht gelöst. Er habe es vielmehr verschärft, lautet die Begründung des Ministeriums. Der Entwurf sieht bislang keine Neuregelung der aufgelaufenen Säumniszuschläge vor. In der Regierungskoalition gibt es aber durchaus ernst zu nehmende Forderungen, dies noch zu ändern. Klar ist: Die Kassen werden säumigen Zahlern auch weiterhin nur einen eingeschränkten Teil der Behandlungskosten erstatten - zum Beispiel Schmerzbehandlungen, Notoperationen und Schwangerschaften.

Nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen haben mit hohen Ausständen zu kämpfen. Auch die privaten Versicherungskonzerne beklagen eine steigende Anzahl von Nichtzahlern. Nach Angaben des PKV-Verbandes seien es zuletzt mehr als 150.000 gewesen, die den Versicherern mehr als eine halbe Milliarde Euro schuldeten.

Vor der Versicherungspflicht kündigten die Konzerne den säumigen Zahlern einfach. Das dürfen sie seit 2009 nicht mehr. Stattdessen sieht die gesetzliche Regelung vor, die zahlungsunfähigen Versicherten in den sogenannten Basistarif zu stecken. Der ist in etwa so ausgestattet wie das Leistungspaket der gesetzlichen Kasse, kostet aber in den meisten Fällen deutlich mehr als der Tarif, den sich die säumigen Zahler schon jetzt nicht leisten können.

Auch hier soll das neue Gesetz Abhilfe schaffen. Damit die Beitragsrückstände den Versicherten nicht endgültig über den Kopf wachsen, soll es nun einen Nichtzahlertarif geben. Dieser kommt nur für absolute Notfälle auf, und der Versicherte spart auch keinerlei Vorsorge für das Alter an. Dafür soll der Notfalltarif aber bezahlbar und für jeden gleich hoch sein. Um diesen Tarif zu finanzieren, werden die bereits bestehenden Rückstellungen der Nichtzahler um bis zu 25 Prozent reduziert. Auch diese Regelung soll bislang nur für die Zukunft gelten, denn auch die privaten Versicherer sind nicht bereit, auf die Außenstände zu verzichten.

© SZ vom 09.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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