Russlands Milliardäre:Reich - und politisch zahnlos

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Verborgen vor der Öffentlichkeit, haben sich Günstlinge Putins zu Oligarchen hochgearbeitet. Jetzt aber ist ihre Position gefährdet.

Sonja Zekri

Roman Abramowitsch ist kein Oligarch. Und Oleg Deripaska schon gar nicht. Oligarchie ist die Herrschaft der Wenigen, also meist die Herrschaft der wenigen Reichen.

(Foto: Grafik: SZ)

Forbes' jüngste Liste der reichsten Europäer zählt in Russland zwar 87 Milliardäre, mehr als überall sonst in Europa (Deutschland: 59).

Nur: Diese Milliardäre haben meist nichts zu sagen. Sie sind reicher als die erste Generation postsowjetischer Oligarchen wie die Medienzaren Boris Beresowskij und Wladimir Gussinskij oder der Yukos-Gründer Michail Chodorkowskij.

Sie besitzen Fußballclubs und viktorianische Häuser im Londoner Stadtteil Belgravia, sie urlauben in Courchevel oder ankern ihre Yachten vor St. Tropez. Politisch aber sind sie zahnlos. Russlands prominenteste Reiche haben so viel Biss wie ein Pinscher mit Diamantenhalsband.

Kein kritisches Wort seit dem Fall Chodorkowskij

Geld, Wohlstand, Wirtschaft nämlich sind in Russland Staatsangelegenheiten, Instrumente eines patriotischen Projektes, spätestens seit dem "Schaschlik-Pakt" im Mai 2000. Der damalige Präsident Wladimir Putin wies die Reichsten an, sich um ihr Geschäft zu kümmern - und nicht um Politik. Nicht alle hielten sich daran, überschätzten ihre Macht als Medienunternehmer oder Öl-Boss. Die Glücklicheren (Beresowskij, Gussinskij) jagte Putin ins Ausland, der Sturste (Chodorkowskij) sitzt im Gefängnis. Acht Jahre Arbeitslager für Chodorkowskij - seit diesem Urteil ist von den Milliardären kein kritisches Wort mehr gefallen.

Sie leben ja auch nicht schlecht. Schwindelerregende Energiepreise haben Russland reich gemacht, und heute schwimmen die Inhaber der großen Energie- oder Metallunternehmen wie Deripaska mit Rusal oder Mordaschow mit Severstal im Geld und verdrängen die Europäer von den Listen der Milliardäre. Die meisten von ihnen haben das politische Vakuum Anfang der Neunziger ausgenutzt, sind während der Hauruck-Privatisierung in zweifelhaften Manövern zu ihrem ersten Vermögen gekommen und haben dann ebenso klug wie rücksichtslos investiert.

Andere brillierten in der Perestroika beim Sprung über die Systemgrenze, verwandelten ihre trägen Sowjetministerien erfolgreich in Wirtschaftsunternehmen und sich selbst von Angehörigen der Nomenklatura in respektable Geschäftsleute. Walit Alekperow ist so einer, zu Sowjetzeiten stellvertretender Ölminister und heute Präsident des Ölkonzerns Lukoil, ein "roter Direktor" und heute der zehntreichste Mann Russlands.

Alle diese Tricks und Ungerechtigkeiten kennen die Russen nur zu gut, und auch wenn viele Menschen zwischen Kamtschatka und Kaliningrad das Gefühl haben, am neuen Wohlstand teilzuhaben, hält sich ihr Mitgefühl für die gezähmten Oligarchen in engen Grenzen.

Gewiss, der Chodorkowskij-Prozess spottete allen Ansprüchen auch der russischen Justiz, das Verfahren war schamlos inszeniert, eine exemplarische, eine politische Exekution. Aber würde Präsident Dmitrij Medwedjew den Ex-Yukos-Chef heute begnadigen, es wäre vor allem ein Zugeständnis an den Westen.

Ein paar Dinge über den neuen Wohlstand aber wissen die Russen nicht, weil sie sorgfältig verborgen werden, und eines der wichtigsten ist der Aufstieg einer neuen, mächtigen Klasse von Oligarchen, die es gelegentlich sogar auf die Forbes-Liste schaffen. Diese Neo-Oligarchen stammen aus dem engsten Umkreis des derzeitigen Ministerpräsidenten Putin, sie haben mit ihm in Sankt Petersburg oder schon in Dresden gearbeitet, teilen seine Sicht der Welt, manchmal auch die Vergangenheit beim KGB.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer die Silowiki sind

Anders als Abramowitsch sind Männer wie Igor Setschin, Vizepremier und Aufsichtsratschef von Rosneft, oder Sergej Iwanow, ebenfalls Vizepremier und Aufsichtsratschef der Vereinigten Flugzeugbauer-Korporation, Schöpfungen des Apparates, und zwar meist des Sicherheitsapparates. Sie sind "Silowiki", die "Männer der Macht" und verfügen über einen Reichtum, der so gewaltig wie schwer zu beziffern ist. In den großen Unternehmen kontrollieren sie Anteile im Gesamtwert von 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, schätzt Daniel Treisman, Politologe an der Universität von Los Angeles: "Und für Firmenübernahmen oder die Ausschaltung von Rivalen nutzten sie ihren Einfluss auf die Strafverfolgungsbehörden oder die Sicherheitsdienste", so Treisman.

Staat dominiert die Wirtschaft

Die Wirtschaftsbosse der Neunziger manipulierten Staat und Politik, entschieden sogar über Ministerposten und hielten sich für unbesiegbar. Heute aber dominiert der Staat die Wirtschaft. Die russische Soziologin Olga Kryschtanowskaja verfolgt seit Jahren die Durchdringung der wirtschaftlichen und politischen Eliten. Sie sagt: "In den Aufsichtsräten der großen staatlich kontrollierten Unternehmen wie Gazprom, Rosneft, Sberbank oder Aeroflot finden sich fast keine Top-Manager mehr, aber dafür über 90 Prozent Beamte."

Selbst zweitklassige Beamte bringen es so auf insgesamt 20 bis 25 Sitze in verschiedenen Aufsichtsräten. "Als ich das alles zusammengezählt habe, war ich schockiert: Wieso sind diese unbekannten Figuren so mächtig?" Einige dieser Nobodys, so vermutet die Soziologin, verfolgen keine eigenen Interessen, sondern erfüllen nur den Willen des Staats, vielleicht sogar die wirtschaftlichen Interessen Putins. Über welches Vermögen Russlands mächtigster Mann tatsächlich verfügt, weiß allerdings niemand. Der umtriebige Politologe Stanislaw Belkowskij propagiert seit langem die Zahl von 40 Milliarden Dollar, aber das kann stimmen oder nicht.

Als Schlüsselfigur gilt der Ölhändler Gennadij Timtschenko, dessen Schweizer Firma Gunvor Gerüchte über Gerüchte in höchsten Kreisen umgeben. Timtschenko, der demselben Judo-Verein angehört wie Putin, bestreitet jede nähere Verbindung. Aber die Soziologin Kryschtanowskaja hält die Offshore-Oligarchen, deren Geld auf Umwegen zurück nach Russland fließt, dennoch für eine wichtige Stütze des Systems Putin.

Die Frage ist nur: Wie zeitgemäß ist dieses System noch? Wie konkurrenzfähig ist eine Wirtschaft, in deren Chefetagen Beamte über Investitionen und Marktstrategien beraten? Als marktferne Monstren gelten die Staatskorporationen, ebenfalls eine Brutstätte neuer Oligarchen wie Sergej Tschemesow von Rostechnologi. Laut Gesetz sind diese neuen Konglomerate keine profitorientierten Unternehmen, sondern nicht-kommerzielle Organisationen, finanziert mit Staatskapital und vorgesehen für "soziale oder gesellschaftliche" Aufgaben.

"Russland kann sich modernisieren"

Macht der Betrieb bankrott, hat der Steuerzahler Pech gehabt. Per Gesetz wurden so etwa Rosnanotech gegründet für die Nanotechnologie, Rosatom für die Atomtechnologie und eben Rostechnologii, dessen Chef Tschemesow mit seiner Gier alles in den Schatten stellt. Tschemesow, ein alter Putin-Kumpel aus Dresdner Tagen, vielleicht ein Geheimdienstler, hat bereits Autowerke und Titanminen übernommen und winkt derzeit mit einer Liste von 500 weiteren Unternehmen, die er sich gern einverleiben würde.

Inzwischen aber sind die Tage der Silowiki in der Wirtschaft vielleicht schon gezählt. Die Symbiose aus Macht und Business war nötig, um den vermeintlich zerfallenden Staat zu festigen, aber sie passt schlecht zu einem Land an der Schwelle zur Welthandelsorganisation. Die jüngste Ankündigung, in den Staatskorporationen echte Aufsichtsräte mit echten Managern zu installieren, keine zahnlosen Beiräte mit Beamten, sei beispielsweise ein Hinweis darauf, dass man den Fehler eingesehen habe, sagt die Soziologin Kryschtanowskaja: "Inzwischen bin ich überzeugt, dass Russland sich tatsächlich modernisieren kann."

Nun müsse der Westen den Machtmenschen den Weg in eine respektable Laufbahn ebnen, empfiehlt Daniel Treisman, wo sie Gesetze achten und ihre Vergangenheit vergessen können. Alles andere wäre unklug - und riskant. Vielleicht löst sich das Problem von selbst: "Stalin hat Lenins alte Garde aus dem Weg räumen lassen. Die jüngsten Personalentscheidungen zeigen, dass dies mit den Silowiki in der Wirtschaft geschieht", sagt Kryschtanowskaja. Putin habe nichts dagegen. Nur selbst Hand anlegen könne er - aus Sentimentalität - nicht. Diese Aufgabe übernehme der neue Präsident.

© SZ vom 14.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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