Rückstellungen:Berlin und Länder einigen sich zur Lebensversicherung

Lesezeit: 3 min

  • Die Politik hat einen Kompromiss bei den Lebensversicherungen ausgehandelt.
  • Sie will damit neu regeln, wie die Rückstellungen für Kunden aus der Versicherung behandelt werden, die bis 1994 einen Vertrag abgeschlossen haben.
  • Das soll den Versicherten entgegenkommen.

Von Jonas Tauber, Berlin, und Herbert Fromme, Köln, Berlin/Köln

Die große Koalition und die Grünen haben sich auf einen Kompromiss zur Behandlung von Rückstellungen in der Lebensversicherung geeinigt. Damit können Mittel, die eigentlich nur Altkunden mit Verträgen aus den Jahren vor 1994 zur Verfügung stehen sollten, künftig in die großen Ausschüttungs- und Reservetöpfe der Versicherer wandern - und die Branche damit insgesamt stabilisieren.

Der Kompromiss wurde zwischen dem Berliner Finanz-Staatssekretär Michael Meister (CDU) und seinem schleswig-holsteinischen Pendant Philipp Nimmermann (Grüne) ausgehandelt und wird in einer Verordnung münden. "Uns ging es darum, dass die Interessen der Versicherten noch besser abgesichert sind", sagte Nimmermann.

Die gesetzliche Grundlage hatten Bundestag und Bundesrat schon 2014 durch eine Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) geschaffen.

Topf für Altkunden wächst seit Jahren an

Hintergrund ist die Behandlung von Versicherten-Milliarden, die vor mehr als 20 Jahren festgelegt wurde. Damals deregulierte die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl das Versicherungswesen. Die Gesellschaften mussten ihre Tarife nicht länger der Aufsicht zur Genehmigung vorlegen.

Der größte Teil der Versicherungswirtschaft war gegen die Deregulierung. Viele Verbraucherschützer machten sich Sorgen um die Interessen der Versicherten. Aus dem Grund kam es zu einer besonderen Regelung: Die Rückstellungen für die Kunden aus der Lebensversicherung, die bis 1994 einen Vertrag abgeschlossen hatten, mussten getrennt geführt werden von denen für Neukunden.

Dabei geht es bis heute um gewaltige Summen. Denn die klassische deutsche Lebensversicherung hat eine Besonderheit. Die den Kunden zustehenden Gewinne gehen zunächst in einen großen Topf, der irreführend Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) genannt wird - aber mit Beitragsrückerstattung nichts zu tun hat. In diesem großen Topf bleiben die Gewinne lange, bis sie den Kunden gutgeschrieben werden. Das System ist so konstruiert, dass ein Teil der Gewinne praktisch permanent in der Reserve bleibt. Das ist deshalb extrem wichtig für die Gesellschaften, weil ein Teil der RfB als Eigenmittel gilt.

Bei deutschen Versicherern stellen die Kunden zwei Drittel und mehr der Eigenmittel, sind damit also auch im Risiko, während die Aktionäre weniger als ein Drittel stellen. Je höher die RfB, desto stabiler ein Lebensversicherer. Die Konsequenz der Trennung von 1994: Die "Alt-RfB" darf eigentlich nur für die Altkunden verwendet werden, deren Zahl immer weiter zurückgeht. Dennoch ist der Topf weiterhin gut gefüllt, die meisten Experten schätzen rund 15 Milliarden Euro, einige 30 Milliarden Euro. Denn jeder ausscheidende Kunde lässt einen Rest zurück.

Dritter Topf kommt den Versicherern zugute

Nach der 1994 festgelegten Systematik hätten die Milliarden eigentlich den seither ausgeschiedenen und heute noch verbleibenden Altkunden zukommen müssen - aber keine Bundesregierung hat Schritte unternommen, die Zuteilung an sie zu regeln. Jetzt wird es keine Sonderausschüttungen für die Altkunden geben. Stattdessen kommen die Milliarden formal allen Versicherten zugute, vor allem aber den Versicherungsgesellschaften als höhere Eigenmittel. Die brauchen sie angesichts der Niedrigzinsen und der neuen Aufsichtsregeln Solvency II dringend.

Im geänderten Aufsichtsgesetz wird diese Nutzung durch die Schaffung eines dritten Topfes erreicht, die sogenannte "kollektive RfB". Dort hinein wandern Teile der Alt-RfB, die mit den Spargeldern heute ausgeschiedenen Kunden aufgebaut wurden, und Teile der "Neu-RfB". "Die Mittel der kollektiven RfB entlasten die Unternehmen, bei Aktiengesellschaften besonders die Aktionäre", moniert der Bund der Versicherten.

Deckelung soll für Ausschüttungen an Kunden sorgen

Die Grünen im Bundestag und in den Ländern befürchteten, dass die Gesellschaften zu wenig der in den RfB geparkten Gelder an die Kunden ausschütten und außerdem zu wenig echtes Eigenkapital bilden würden. Deshalb wird jetzt die Maximalgröße der neuen kollektiven RfB gesenkt. Laut Bundesregierung sollte sie eine Höhe erreichen können, die bis zu 80 Prozent der benötigten Eigenmittel eines Versicherers ausmacht. Jetzt sind es 60 Prozent. "Nach unserer Einschätzung ist eine Quote von 80 Prozent zu hoch", sagte der Grüne Nimmermann.

"Zweitens wollten wir die Rückführung an die einzelnen Bestände erleichtern", sagte er. Anders als ursprünglich vorgesehen ist die Rückführung von kollektiv in alt oder neu nun auch möglich, wenn die Obergrenze noch nicht erreicht ist. Die dritte Änderung sieht eine Evaluierung der RfB-Verordnung fünf Jahre nach Inkrafttreten vor. Das sorge für mehr Transparenz.

© SZ vom 18.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: