Reden wir über Geld: Pegah Ferydoni:"Die Flucht hat bei uns alles umgekippt"

Sie floh als Kind aus Teheran und lebte im Asylheim: Schauspielerin Pegah Ferydoni über Flucht, Neuanfang und ihre Rollen.

A. Fichter und H. Wilhelm

Bekannt wurde Pegah Ferydoni als streng muslimische Teenagerin Yagmur mit pinkem Kopftuch in der ARD-Vorabendserie "Türkisch für Anfänger". Überhaupt wird die 27-Jährige meist als Türkin angeheuert, obwohl sie im iranischen Teheran geboren wurde. Sie wuchs in Berlin auf und studierte Philosophie. Zuletzt spielte sie im Kinofilm "Ayla". Was wohl? Eine Türkin. Zeit für ein Gespräch über Geld, Familie und ein Leben auf der Flucht.

Pegah Ferydoni in "Ayla"

Pegah Ferydoni (links) in einer Szene des Kinofilms "Ayla" aus dem Jahr 2010.

(Foto: dpa)

SZ: Frau Ferydoni, reden wir über Geld. Ihre Familie ist aus dem Iran nach Deutschland geflohen, als Sie zwei Jahre waren. Sie lebten im Asylantenheim ...

Ferydoni: ... ja, unter Iranern ist es wichtig, einen Status zu haben und gastfreundlich zu sein. Das war ein Konflikt, weil wir nie Geld hatten und trotzdem etwas vorweisen mussten. Meine Mutter hat sich daran aufgerieben. Die Wohnung musste hübsch sein, es musste immer Essen auf dem Tisch stehen. Meine Mutter hat meine Spielsachen verschenkt, wenn wir nichts anderes hatten. Das war grausam, aber man überlebt es.

SZ: Hat die Flucht Sie geprägt?

Ferydoni: Ich erinnere mich nicht an die Flucht, aber ich habe sie im Blut. Kürzlich habe ich herausgefunden, dass schon meine Vorfahren im 17. Jahrhundert aus dem Kaukasus deportiert worden waren. Meine Eltern haben Krieg, Bürgerkrieg und Vertreibung aus dem Paradies erlebt, sie haben ihr Traumata an mich weitergegeben. Ich kann mich neuen Situationen anpassen, treffe schnell Entscheidungen - um zu überleben, muss man das. Und ich suche nach Sicherheit.

SZ: Was bedeutet das für Ihr Leben?

Ferydoni: Ich suche mir ganz oft neue Aufgaben im Leben. Aber ich kann mich immer nur kurz daran festhalten, ich binde mich nie lange. Ich suche Sicherheit, aber ich traue ihr nicht. Eine Situation, die mich unfrei macht und dominiert, beunruhigt mich. Dann muss ich da raus.

SZ: Sie flüchten?

Ferydoni: Ich will mir das zumindest immer offenhalten. Es gibt einen Moment, immer wenn mein Kontostand unter einen bestimmten Betrag fällt, sagen wir 4000 Euro, dann bekomme ich Panik. Obwohl es noch mehr Geld ist, als andere Menschen besitzen. Aber ich muss immer genug habe, um morgen nach Südafrika fliegen zu können, oder nach China.

SZ: Sie waren noch nie verschuldet?

Ferydoni: Nein. Ich habe so gewirtschaftet, dass ich immer genug Geld habe, um in den nächsten Monaten davon zu leben, abzuhauen oder was ganz anderes machen zu können.

SZ: Können Sie Menschen vertrauen?

Ferydoni: Ich hab' eine große Sehnsucht danach, aber es ist mir selten möglich. Ich kann selten Dinge abgeben, ich will am liebsten alles selbst machen. Ich muss einen Menschen wirklich lieben, um mich fallen lassen zu können.

SZ: Ihre Eltern haben sich nach der Flucht getrennt.

Ferydoni: Ja. Durch die Flucht ist bei uns alles umgekippt, wie Dominosteine. Meine Eltern waren politisch und künstlerisch aktiv. Sie haben sich mit dem Regime im Iran angelegt und wurden zur Flucht getrieben. Meine Mutter war Anfang 20, mein Vater Ende 20. Sie mussten eine neue Sprache lernen und waren von der Heimat komplett abgeschnitten. Da war so viel Trauer und Verlust. Ich beobachte das bei vielen Exil- Iranern. Sie haben diese tiefe Verzweiflung: "Wir hatten mal eine ganz große Kultur, die ist nicht mehr und jetzt sitzt da ein Scheiß-Regime und haut dem eigenen Volk auf den Kopf." Das ist ein ganz großer Schmerz.

SZ: Hatten die Eltern bei all der Trauer überhaupt Aufmerksamkeit für Sie?

Ferydoni: Ich habe mit der Trauer meiner Eltern konkurriert wie mit einem Geschwisterchen. Obwohl meine Eltern ja auch geflohen sind, um mir ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber ich musste wirklich um die Aufmerksamkeit meiner Eltern ringen, weil sie so verhaftet waren in diesem Verlust.

SZ: Was haben Sie gemacht, um die Aufmerksamkeit zu kriegen?

Ferydoni: Ich spielte den Kasper, erzählte Witze, imitierte andere. Das ist nun das Fundament meines Berufes.

"Über den Schmerz wird nicht gesprochen"

SZ: Was haben Ihre Eltern gearbeitet?

Ferydoni: Meine Eltern lernten sich auf dem Teheraner Konservatorium kennen, meine Mutter spielte Violine und Horn im Orchester, sang, tanzte und malte. Mein Vater spielte Tuba und Trompete im Orchester. Doch in Deutschland konnten sie nie in diesen Berufen arbeiten. Hier haben sie versucht, mit Tagesjobs Geld zu verdienen.

SZ: Was haben sie gemacht?

Ferydoni: Ganz niedere Dinge, um uns durchzubringen. Dass die hiesige Scheindebatte um Fachkräftemangel mir auf die Nerven geht, ist untertrieben. Man hat Jahrzehnte lang Abschlüsse und Qualifikationen von Zugezogenen geflissentlich übersehen.

SZ: Wie war es im Asylantenheim?

Ferydoni: Für mich als Kind war es in Ordnung, es war ein geschützter Raum, da waren viele Kinder und wir haben zusammen Feste gefeiert. Aber für meine Eltern war es erniedrigend. Wissen tue ich es nicht, ich frage meine Eltern, aber sie wollen nicht antworten. Über den Schmerz wird nicht gesprochen, über die Not auch nicht. Man ist dankbar und froh, aufgenommen worden zu sein. Doch unten drunter schwillt die Angst.

SZ: Und dann wählten Sie ausgerechnet einen so unsicheren Job?

Ferydoni: Mein Beruf ist der idiotischste Beruf, den man aufnehmen kann, wenn man sicherheitsbedürftig ist. (lacht) Ich weiß nie, was morgen ist, ob ich Arbeit habe und Brot. Bei einem Unfall habe ich keine Absicherung. Aber seit dem Film "Türkisch für Anfänger" ist Gott sei Dank immer genug da. Manchmal kriege ich trotzdem einen Herzinfarkt, dann denke ich: Ich will einen ordentlichen Job. Das ist alles widersprüchlich, das gebe ich zu.

SZ: Wollten Ihre Eltern auch, dass etwas Ordentliches aus Ihnen wird?

Ferydoni: Klar war immer der Traum da, dass ich viel Geld verdiene und wir irgendwann ein großes Haus haben.

SZ: Haben Sie sich unter Druck gefühlt?

Ferydoni: Gott sei Dank kam die Liebe dazwischen. Meine Mutter hat sich verliebt und ist nach Frankreich gezogen. Und so war ich mit 16 Jahren allein und mir konnte keiner mehr was vorschreiben. Ich war mit einem Schlag ganz allein und frei von Erwartungen.

SZ: Auch traurig?

Ferydoni: Es war wieder ein großer Verlust, aber daran hatte ich mich ja gewöhnt. Meiner Mutter hat das Herz geblutet, mich hat es wahnsinnig geschmerzt. Aber wenn man so einen Weg hinter sich hat, dann weiß man, dass das Leben schmerzt. Aber dieser Schmerz hat auch Vorteile: Man lernt viel. Woody Allen sagt: "Humor ist Tragödie plus Zeit."

SZ: Ist Ihre Mutter glücklich geworden?

Ferydoni: Ich hoffe es.

SZ: Und Sie?

Ferydoni: Wenn ich so zurückblicke auf mein kurzes langes Leben, dann spüre ich schon ein bisschen Stolz, ja. Ich habe das gut geschafft bis jetzt und bin zuversichtlich für die Zukunft. Und meine Eltern und ich haben heute ein sehr freundschaftliches Verhältnis.

"Ich spiele diese Frauen nicht als Opfer"

SZ: Versuchen Sie, diese Erkenntnisse auch in Ihren Rollen zum Ausdruck zu bringen? Man hat den Eindruck, Sie spielen oft Opfer.

Ferydoni: Ich spiele diese Frauen nicht als Opfer. Das ist mir wichtig. Zum Beispiel "Ayla", ein türkisches Mädchen in einem Film über einen drohenden Ehrenmord. Sie macht Fehler, klar, aber sie übernimmt Verantwortung für ihr eigenes Schicksal. Auch in "Women Without Men": Da spiele ich ein junges Mädchen, das vergewaltigt wird, und sehr darunter leidet. Zum Opfer wird sie trotzdem nicht. Weil sie sich entscheidet weiterzumachen. In guten Büchern und Filmen gibt es immer einen Ausweg aus der Not.

SZ: Wovon haben Sie mit 16 gelebt, nachdem Ihre Mutter nach Frankreich gezogen war?

Ferydoni: Ich habe Schüler-Bafög bekommen und gearbeitet. Ich habe mich in die Berliner Nachtszene geworfen, viele Dinge gesehen und erlebt und gutes Geld verdient. Ich hab gekellnert, Gästelisten betreut in Diskotheken, an der Garderobe oder an der Tür gearbeitet. (lacht) Mein Gott, es ist absurd, was man da sieht. Ich habe Schlägereien geschlichtet und Blut von Klowänden gewaschen.

SZ: Mit 16?

Ferydoni: Ja, und ich hab' die Hälfte des Geldes meiner Mutter geschickt. Anstandshalber, das macht man so bei uns. Aber nun mache ich das nicht mehr.

SZ: Als Kind haben Sie den Kasper gespielt, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Sind Sie auch deshalb Schauspielerin geworden, weil Sie gesehen werden wollen?

Ferydoni: Ich denke, es ist etwas zutiefst Menschliches, gesehen werden zu wollen. Das hat jedes Kind, jeder Mensch. Es wird uns abtrainiert. Besonders in Deutschland wird uns weisgemacht, wir dürfen das nicht.

SZ: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Beruf?

Ferydoni: Ich glaube, dass ich als Schauspielerin selbst für meine eigenen hohen Ansprüche schon recht weit bin. Und ich denke, dass meine Eltern stolz auf mich sind, was mich sehr glücklich macht. Jetzt würde ich gerne noch einen Doktor in Philosophie machen.

SZ: Warum das denn?

Ferydoni: Ich weiß, es ist total albern, aber das macht was her. Stellen Sie sich vor, wenn ich am Set stehen und meinen Kollegen sagen würde: Für Sie ab heute Frau Dr. Ferydoni, das fänd' ich irgendwie klasse. (lacht) Ich schreibe die Arbeit auch ganz allein, das schaffe ich. Versprochen.

SZ: Warum Philosophie?

Ferydoni: Es gab so einen Schlüsselmoment auf dem Gymnasium. Eine Lehrerin hat uns einen Film über Gadamer gezeigt. Gadamer und Hermeneutik - die Kunst des Verstehens und die Kunst des Perspektivwechsels. Das hat mich total fasziniert und ich dachte: Gut, dann kann man wirklich aus jedem Unfall, der einem passiert im Leben, etwas lernen. Alles ist irgendwie sinnvoll. So kann man jedem Wink des Schicksals folgen, ohne bitter zu werden oder religiös (lacht).

SZ: War das ein Trost für Sie?

Ferydoni: Ja. Das war etwas, was ich schon immer gespürt habe. Aber nun hatte ich die Theorie dazu.

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